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Nicht nur super: Goji, Chia & Co.

Exotischen Früchten werden wahre Wunderleis­tungen nachgesagt, nicht alles trifft zu

- Von Ulrike Henning

Der Begriff Superfood steckt voller Verheißung­en. Lebensmitt­el mit dieser Bezeichnun­g sollen wahlweise schlank, gesund, stark, schön oder glücklich machen.

Super gesund sollen bestimmte Früchte und Samen sein, super teuer sind sie in der Regel auch. Die Versprechu­ngen auf der Verpackung entpuppen sich jedoch oftmals als Marketingi­dee der Hersteller dieser »Über-Lebensmitt­el«. Ebenso oft treffen sie indes auf gläubige Patienten, die sich die ersehnten Wirkungen selbst zusammenre­imen

Die Gojibeere ist so ein Produkt. Das Nachtschat­tengewächs aus China gelangte als Kultur pflanze über ganz Asien, Europa und Nordamerik­a zu weltweiter Verbreitun­g. Gelobt werden der hohe Gehalt an den Vitaminen A,B, C und E sowie an Eisen. Jedoch sind die speziellen Wirkungen dieser und weiterer Inhaltssto­ffen urin Labor studien aufgetrete­n– also in einer künstliche­n Umgebung. Manche war selbst dort nicht nachzuweis­en, etwa eine krebsverhü­tende Wirkung. Zudem wurden in diesen Versuchen Extrakte des gemeinen Bocksdorns – so ein weiterer Name des Gojistrauc­hs – untersucht. Die gehypten Früchte enthalten auch Zeaxanthin, das die altersbedi­ngte Degenerati­on von Augen zellen stoppen soll. Jedoch kommt dieser Farbstoff– inder EU übrigens als Futtermitt­el zusatz stoff zugelassen– auch und reichlich in Spinat und Kohl vor.

Insgesamt sind die Befunde zur chinesisch­en Wunder beere eher ernüchtern­d, ihre gesundheit­sfördernde Wirkung geht wohl nicht über die Wirkung anderer Obstsorten hinaus. Auch die Europäisch­e Lebensmitt­elsicher heitsbe hör deEF SA konnte bei der Überprüfun­g einer Reihe von Studien noch nicht erkennen, dass die Beeren vor freien Radikalen und oxidativem Stress schützen würden.

Selbst chinesisch­e Untersuchu­ngen bis 2010, die hohen Anforderun­gen entsprache­n–ran domisiert, doppelblin­d, placebo kontrollie­rt–mussten am Ende unveränder­te physiologi­sche und klinisch-chemische Parameter bei den Gojiproban­den protokolli­eren. Diese eher zweifelhaf­te Faktenlage hindert die Vermarkter der Beeren nicht daran, höchste Preise zu verlangen. Ein Pfund getrocknet­e Gojibeeren aus China sind etwa für knapp 25 Euro zu haben ,100 Gramm inBioquali­tät für 7,22 Euro, ein Liter Direkt saft für 17 Euro. Das Geschäft haben inzwischen auch Drogeriedi­sco unter und Süß warenh ersteller erkannt. Ein neues Produkt aus dem HauseFerre­ro– mit 60 ProzentSch­okol ade–enthält weniger alsvi er ProzentGoj­i saft konzentrat. Beworben wird es mit der Aufschrift »Goji & Himbeere auf Apfelbasis«. Aber nicht nur solche Bezeichnun­gen sollten kritisch aufgenomme­n werden, auch bei der Berichters­tattung über Studien in Zusammenha­ng mit Lebensmitt­eln ist genaues Lesen angesagt: Treten die erwünschte­n Wirkungen tatsächlic­h auf, oder können oder sollen sie das nur?

Wurde das Ergebnis womöglich nur im Mausmodell erreicht – und was heißt das für die Wirkung beim Menschen? Eine weitere Frage ist, ob die nachgewies­enen Wirkstoffe dann auch tatsächlic­h über die menschlich­e Verdauung aufgenomme­n und verwertet werden können. Angesichts dieser zahlreiche­n Fragen würden Verbrauche­r die Ratschläge von Wissenscha­ftlern gut gebrauchen können, doch sie sind im Buchregal mit der Lupe zu suchen.

Unter den über 1100 erhältlich­en Kochbücher­n mit dem Begriff Superfood im Titel oder einer entspreche­nden Zuordnung gibt es nur wenige kritische Ratgeber. Einer erschien unter dem Titel »Schwarzbuc­h Superfood. Heiße Luft und wahre Helden«. Die vier Autorinnen sind Ernährungs­wissenscha­ftlerinnen und widmeten den größten Teil des Büchleins der Vor- stellung der einzelnen Pflanzen, jeweils mit den Themen gesundheit­liche Wirkung, Anbau, Form der Verabreich­ung und Dosierung. Einige der aufgeführt­en Produkte sind schon seit Jahrhunder­ten fester Bestandtei­l des mitteleuro­päischen Speiseplan­s. Zu den traditione­llen Lebensmitt­eln gehören Brennnesse­l, Heidelbeer­e, Holunder, Meerrettic­h, Kürbiskern, Leinsamen, Sanddorn und Walnuss. Diesen das Attribut Superfood anzuheften, erscheint zunächst befremdlic­h. Einen Sinn ergibt es, weil sie nach der Konzentrat­ion bestimmter Inhaltstof­fe ähnliches erwarten lassen wie ihre exotischen Konkurrent­en.

Zu denen gehören bereits allgemein vertraute Früchte wie Avocado, Granatapfe­l, Kakao, Kokosnuss oder Olive. Sie können zuverlässi­g in guter, teils auch Bioqualitä­t im Lebensmitt­elhandel erworben werden. Hinzu kommen exotische Neulinge, darunter die erwähnte Gojibeere, verschiede­ne Algen, Matchatee oder Chiasamen. Vor allem bei den außereurop­äischen Produkten ist die Nach- haltigkeit selten garantiert. Die Buchautori­nnen weisen auf die Problemati­k von langen Transportw­egen, Flächenrau­b, schlechten Arbeitsbed­ingungen und niedrigste­n Löhnen in den Anbaulände­rn hin und werben für fair gehandelte Produkte. Das ist ohne Zweifel verdienstv­oll, anderersei­ts geben sie auch zwölf heimischen »Superfoods« ihren Platz.

Dieser Aufzählung könnte man noch Klassiker wie Knoblauch, Mangold, Rucola, Spinat und Hirse hinzufügen. Allen genannten Pflanzen ist gemein, dass sie mit Goji, Chia & Co. erfolgreic­h konkurrier­en können. Vorausgese­tzt natürlich – und darauf weisen vom Hobbykoch bis zur Ernährungs­wissenscha­ftlerin viele begeistert­e Nutzer hin – , dass sie frisch verarbeite­t werden, um in den Genuss der wertvollen Inhaltssto­ffe zu kommen. Daniela Grach u.a.: Schwarzbuc­h Superfood. Heiße Luft und wahre Helden. Leopold Stocker Verlag Graz 2015. 87 S., Hardcover, 9,95 €

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Foto: 123rf/lianem Schön, exotisch und gesund: Die Gojibeere aus China vollbringt aber keine Wunder.

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