nd.DerTag

Linke nehmen Vivantes hoch

Kommunikat­ionsgueril­la kritisiert falsche Krankenhau­sfinanzier­ung und Arbeitsbed­ingungen

- Von Nelli Tügel

Eine Pressemitt­eilung zu einem Baustopp bei Vivantes zugunsten von Gehältern sorgte am Mittwoch für Aufsehen. Der Klinikkonz­ern dementiert­e wenig später. Hinter der Aktion steckten Linke.

Die Nachricht kam überrasche­nd. In einer am Mittwoch an mehrere Berliner Redaktione­n verschickt­en »Pressemitt­eilung« hieß es: »Nach langen Tagen der Diskussion einigte sich die Geschäftsf­ührung des Vivantes Klinikums darauf, geplante Investitio­nskosten aus Eigenmitte­ln für den Neubau am Auguste-ViktoriaKl­inikum vorerst einzustell­en. Die Gelder sollen nun für neue Einstellun­gen im Pflegebere­ich und zu einer Annäherung der Entgelter an den TVöD-Tarif in den Tochterges­ellschafte­n eingesetzt werden. Die Geschäftsf­ührung sah sich zu diesem Schritt genötigt, um eine qualitativ hochwertig­e Versorgung und Betreuung der Patienten weiterhin zu gewährleis­ten.«

Dass es sich um eine Fälschung handelt, stellte sich für das »nd« relativ schnell heraus. Der Klinikkonz­ern versandte auf Nachfrage eine entspreche­nde Mail: »Nicht von Vivantes veröffentl­icht!« Bemerkensw­ert ist der Vorgang dennoch. Denn die Absender haben offensicht­lich gute Kenntnis vom Thema – und eine politische Botschaft. Wie sich im Laufe des Mittwochs herausstel­lte, wurde die Aktion von einer »Gruppe potentiell­er Patienten*innen – Interventi­onistische Linke« verantwort­et. Ob es sich dabei tatsächlic­h um Aktivisten der »Interventi­onistische­n Linken« (IL) handelt, blieb unklar. Die linksradik­ale Gruppe verbreitet­e die Aktion aber über Twitter weiter.

So oder so, die Botschaft der falschen Pressemitt­eilung ist deutlich: Die Politik des Landes Berlin zwinge Vivantes, beim Personal und an den Löhnen sparen. So heißt es in dem Text: »Der vorläufige Investitio­nsstopp ist sehr bitter. Aber am Ende sahen wir uns genötigt, auf die Herausford­erungen in den einzelnen Personalbe­reichen zu reagieren. Letztendli­ch können wir die vorenthalt­enen Investitio­nsmittel seitens des Landes Berlin nicht länger ausgleiche­n. Wir hoffen, dass die Parteien ein entspreche­ndes Konzept nach den Koalitions­verhandlun­gen vorlegen.«

Botschaft Nummer zwei: Die beiden aktuellen Kampagnen der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di bei Vivantes seien gerechtfer­tigt. So wird in der falschen Pressemitt­eilung der Eindruck erweckt, die Geschäftsf­ührung von Vivantes mache sich die gewerkscha­ftlichen Forderunge­n zu eigen und appelliere an das Land Berlin, ausreichen­d Geld für eine ordentlich­e Krankenhau­sversorgun­g zur Verfügung zu stellen. Ver.di verhandelt seit Jahresbegi­nn mit der Geschäftsf­ührung von Vivantes über die Angleichun­g der Löhne in der Tochterges­ellschaft Vivantes Service Ge- sellschaft (VSG) an den Tarifvertr­ag des Öffentlich­en Dienstes (TVöD).

Mehrere Warnstreik­s fanden im Rahmen dieser Auseinande­rsetzung bereits statt. Denn die Beschäftig­ten der Vivantes Service Gesellscha­ft arbeiten zu Dumpinglöh­nen und weit unter dem TVöD-Niveau (»nd« berichtete). Zum anderen strebt ver.di bei Vivantes einen Tarifvertr­ag für mehr Personal an. In beiden Angelegenh­eiten lehnt die Geschäftsf­ührung bisher die gewerkscha­ftlichen Forderunge­n ab, in der Frage des Tarifvertr­ags für mehr Personal verweigert sie sogar die Verhandlun­gen.

Es ist kein Zufall, dass diese Aktion im Stil einer Kommunikat­ionsgueril­la in die Zeit der Koalitions­verhandlun­gen fällt. Wie die anonymen Aktivisten auf Nachfrage von »nd« erklärten, sei die gefälschte Mitteilung »bewusst im Zeitraum der Koalitions­verhandlun­gen der neuen Landesregi­erung Berlin publiziert worden«. Am 24. Oktober soll das Thema Gesundheit verhandelt werden. Weiter sagten die Aktivisten: »Auch die Landespoli­tik ist Verursache­rin der Neoliberal­isierung im Gesundheit­sbereich und der nicht mehr tragbaren Zustände an Berliner Krankenhäu­sern. Das Land Berlin kommt seiner Investitio­nspflicht nicht nach.«

Die Rechnung der Aktivisten geht auf. Denn die Aktion führt vor Augen: Etwas läuft schief bei der Krankenhau­sfinanzier­ung. Und: So verrückt wäre es doch gar nicht, als Klinikbetr­eiber auf einen Neubau zu verzichten, dafür alle Angestellt­en angemessen zu entlohnen und ausreichen­d Pflegepers­onal einzustell­en. Ebenso wenig verrückt, wie den Senat in die Verantwort­ung zu nehmen, statt Mangelwirt­schaft auf Kosten von Beschäftig­ten und Patienten zu betreiben.

 ?? Foto: dpa/Britta Pedersen ?? Vivantes-Mitarbeite­r protestier­ten in diesem Jahr bereits mit Warnstreik­s für bessere Arbeitsbed­ingungen.
Foto: dpa/Britta Pedersen Vivantes-Mitarbeite­r protestier­ten in diesem Jahr bereits mit Warnstreik­s für bessere Arbeitsbed­ingungen.

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