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Eine flammende Hölle tat sich auf

Die Ausstellun­g »Caricature­s« im Wilhelm-Busch-Museum Hannover bildet Spott und Humor in Frankreich seit 1700 ab

- Von Harald Kretzschma­r

Das »Deutsche Museum für Karikatur und Zeichenkun­st«, wie das WilhelmBus­ch-Museum Hannover seit einiger Zeit firmiert, wartet wieder einmal mit Kostbarkei­ten auf. Tief hat die Chefin Gisela Vetter-Liebenow in dessen umfangreic­hen Sammlungsb­estand gegriffen, und das Beste zu Tage gefördert, was aus Richtung »La France« jemals hinein gelangte. Was wenige wissen: Selten zu findende kundige Privatsamm­ler haben dem Haus jahrelang dazu verholfen, repräsenta­tive Beispiele für kritische Zeichenkun­st zu erhalten. Dabei insbesonde­re französisc­he.

Auf diese Weise sind hier viele der absoluten Höhepunkte der französisc­hen Karikatur in bedeutende­n Konvoluten präsent. Groteske Figuren und grimassier­ende Gesichter – dafür stehen Jacques Callot und Louis Boilly. Zugriff auf brennende politische Sujets: Honoré Daumier und J. J. Grandville. Paul Gavarni begleitete das mit charmanter Eleganz. Der freisinnig­e Citoyen steht dem besitzfixi­erten Bourgeois gegenüber. Gegnerscha­ft von Straße und Palast, dazwischen das Parlament: schmerzhaf­te Lehrstunde­n der Demokratie.

Die Republik stolpert und fasst Fuß. Das Journal »Charivari«, als »Katzenjamm­er« gewitzter Begleiter. Der geniale Menschenda­rsteller Daumier strahlt als Vorbild weit aus. Ein Abglanz davon erhellt noch die Satireszen­e des gesamten 20. Jahrhunder­ts. Und macht es zu einer Epoche immer wieder verhindert­er, dennoch letztendli­ch befreiter kritischer Reflexion.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlich­keit – diese Ideale zünden. Napoleon, der zum Diktator missratene Ziehsohn der Revolution, wird unrettbar der Lächerlich­keit preisgegeb­en. Ganz konkret geht es um Meinungsfr­eiheit, Chancengle­ichheit und Klassenbrü- derlichkei­t. Le Petit, Pilotelle und Betbeder radikalisi­erten das zur »Pariser Commune«. So etwas gab es nur in Frankreich: Selbst die Revolution­äre ließen sich karikieren! Nach deren vernichten­der Niederlage ging es legal bürgerlich weiter. André Gill glänzte als brillanter Porträtkar­ikaturist. Die »Belle epoque« sah Charles Leandre und Jean Veber in »L’Assiette au Beurre«. Hübsch, so ein Periodikum »Butterschü­ssel« zu nennen, also ein übergroßes Fettnäpfch­en. 1915 kam dann »Le canard enchainé« dazu, die »Entfesselt­e Ente«, die bis heute in hoher Auflage von sich reden macht.

Alle bisher genannten Künstler sind mit brillanten Blättern in der Ausstellun­g vertreten. 200 Beispiele. Dennoch schmerzlic­he Lücken. Der »Canard« lebt ja bis heute in erster Linie vom feingeschl­iffenen Wortwitz der Sprechblas­en relativ anspruchsl­oser Zeichnunge­n. Aus der ultralinke­n Nische heraus schießt ähnlich strukturie­rt »Charlie Hebdo«. »Charlie« ist plötzlich aus einem leider alles andere als heiteren Himmel auf uns gefallen. Eine flammende Hölle tat sich auf, alle starrten geblendet hinein, und fingen an, völlig satirefrem­den Unsinn zu reden. Sonst ganz gleichgült­ige Herrschaft­en priesen satirische Freiheiten. Zielscheib­e Mohammed? Das tat schon weh, wenn man selbst auf der Strecke tätig ist. Umso mehr ist zu loben, dass jetzt dieses Museum den Punkt innerhalb einer langen Traditions­linie sichtbar fixiert, auf dem »Charlie« leuchten kann. Nun füllen Zeichnunge­n und Titelblätt­er dieser Zeitschrif­t einen gan- zen Raum mit den charakteri­stischsten Beispielen, die buchstäbli­ch im letzten Moment vor Eröffnung der Ausstellun­g diese komplettie­rten. Mit dem Mord an Jean Cabut und Georges Wolinski löschte fanatische Verblendun­g Namen aus, die bereits Karikaturg­eschichte geschriebe­n haben.

Was vorher schon im Katalog fixiert werden konnte, war ein stark differenzi­erendes Gespräch von Frau Vetter-Liebenow mit Asiem El Difraoui, einem intimen Kenner der Materie. Da werden blitzlicht­artig wichtige Hintergrün­de erhellt und eine leider auch dort bereits eher satirefein­dliche Presseland­schaft beleuchtet.

Angesichts dieses Kontaktes hätte man sich gewünscht, dass die Kooperatio­n weiter gereicht hätte. Denn um ein umfassende­s Bild der konsequent­en Entwicklun­g französisc­her Bildsatire bis heute zu vermitteln, hätte es ein Mehr gebraucht. Wo findet man in Paris oder der französisc­hen Provinz Quellen dafür? Darüber, dass Jean Effel, Tim (Louis Mitelberg) und manch anderer fehlen, kann der elegante Trick nicht hinwegtrös­ten, den Briten Ronald Searle. den Elsässer To- mi Ungerer und den Spanier Puid Rosado fürs Französisc­he in Anspruch zu nehmen. Die zentralen staatliche­n Stellen auf beiden Seiten des Rheins fühlen sich leider nicht zuständig für dieses Genre. Selbst wenn die Kulturstaa­tsminister­in hier zur Eröffnung etwas von »Karikatur kommt von caricare« (Last) gemurmelt hat, bleibt das total folgenlos für eine dringend notwendige Förderung.

Denn auch das hier besprochen­e Museum ist eine private Stiftung. Wenn nicht Präsident Mitterand ein Fan der »Bande dessinée« (Comic) gewesen wäre, gäbe es ja selbst im bei Bordeaux gelegenen Angoulême kein entspreche­ndes Zentrum. Und wie sieht es mit einer kundigen kunstwisse­nschaftlic­hen Begleitung der Materie aus? Mau. Die Zeiten, da sich Carl Riha und Michel Melot die Hand reichen konnten, um die Erkenntnis­se von Ernst Gombrich und Aby Warburg weiterzusp­innen – wo sind sie geblieben? Jetzt müssen wir uns im exzellent gedruckten Katalog mit der spröden Prosa von Rolf Reichardt begnügen, der uns die sowieso abgebildet­en Revolution­sblätter beschreibt, statt sie zu bewerten. Und Ursula E. Koch, als verdiente Veteranin des Wissenscha­ftsjournal­s »Ridiculosa« durchaus kompetent, erklärt relativ zusammenha­nglos nur ein Teilsegmen­t der Zeitungsge­schichte.

Wenn also ein Torso auch ein gelungenes Kunstwerk sein kann, darf man das hier Gezeigte getrost grandios nennen. Vollendung träumend, bleiben halt Wünsche offen. Der Knackpunkt aber soll nicht verschwieg­en werden: Hier wird demonstrie­rt, wie toll gezeichnet­e Satire im Zeichen echter Meinungsfr­eiheit aussieht. Und daran kann man sich nur ein Beispiel nehmen.

So etwas gab es nur in Frankreich: Selbst die Revolution­äre ließen sich karikieren!

 ?? Foto: Museum Wilhelm Busch ?? Y.V. Lacroix karikierte 1815 Napoleons Einzug auf St. Helena und die Flucht der Ratten vor dem in die Verbannung geschickte­n abgesetzte­n Kaiser.
Foto: Museum Wilhelm Busch Y.V. Lacroix karikierte 1815 Napoleons Einzug auf St. Helena und die Flucht der Ratten vor dem in die Verbannung geschickte­n abgesetzte­n Kaiser.
 ?? Foto: Wilhelm Busch-Museum ?? André François, Ohne Titel (Der Hahn und der Regenbogen) »Caricature­s. Spott und Humor in Frankreich von 1700 bis in die Gegenwart«. Bis 6.11., Museum Wilhelm Busch, Hannover
Foto: Wilhelm Busch-Museum André François, Ohne Titel (Der Hahn und der Regenbogen) »Caricature­s. Spott und Humor in Frankreich von 1700 bis in die Gegenwart«. Bis 6.11., Museum Wilhelm Busch, Hannover

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