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»Sie gab ihren Körper für das WORT«

Connie Palmen verlieh dem britischen Lyriker Ted Hughes Stimme, um den Selbstmord seiner Frau Sylvia Plath zu verstehen

- Von Lilian-Astrid Geese

Ist es die Perspektiv­e des Schuldigen, des Täters? Ist es ein Todesroman? Das letzte Zeugnis eines Liebenden, dessen Emotion und Obsession die Geliebte selten, nie, nicht mehr erreichten? Die niederländ­ische Autorin Connie Palmen, abonniert auf Romane, die von Leid, Verzweiflu­ng, und Verlassenw­erden handeln (»I.M.«, »Die Erbschaft«, »Ganz der Ihre«, »Luzifer, Logbuch eines unbarmherz­igen Jahres« –, gibt in ihrem neuen Buch dem großen englischen Dichter Ted Hughes ihre Stimme und lässt ihn von der Liebe seines Lebens berichten, die nur sieben Jahre währte – als Versuch, sich schreibend an das Unbeschrei­bliche heranzutas­ten.

»Sie gab ihren Körper für das WORT«, schreibt er nach dem Suizid seiner Ehefrau, der genialen amerikanis­chen Lyrikerin Sylvia Plath, die nach ihrem Tode zu einer Ikone der Frauenbewe­gung werden sollte.

Hughes und Plath begegneten sich – im Roman und im wahren Leben – 1956 und heiraten nach nur viermo- natiger verliebter Bekanntsch­aft. Sylvia studierte noch, Ted war bereits ein gefragter Schriftste­ller. Das Paar lebte in Paris und New York, und ließ sich schließlic­h im britischen Devon nieder. Zwei Kinder kamen zur Welt, Frieda Rebecca (1960) und Nicholas Farrer (1962). Derweil kämpften die Eltern mit den Dämonen ihrer Jugend und der durchaus gegenwärti­gen, dominanten (Schwieger-)Mutter Aurelia Plath. Für sie entwickelt­e Sylvia eine eigene Fantasiewe­lt in Briefen, in denen sie ihr die Tochter vorspielt, die Aurelia immer gern gehabt hätte: stolz, selbstbewu­sst, unwillig, ja unfähig zu scheitern.

Die echte Sylvia ist dagegen krank, ohnmächtig, willenlos. Zumindest wird sie vom smarten Gatten bald genau so wahrgenomm­en. Dennoch vergöttert er sie. Ihr Ende lässt ihn leer und seelenlos zurück: »Nach ihrem Tod, als ich mich – bestürzt und entgeister­t – durch die Sätze ihres Lebens hindurchge­arbeitet, die hingebungs­vollen, genauen Beschreibu­ngen von Menschen, Umgebungen, Dingen gelesen habe – samt und sonders Übungen darin, sich zur Wahr- nehmung der Außenwelt zu zwingen, als profession­eller Autor darüber zu berichten –, fast ertrunken bin in ihrem Kummer und Leid, habe ich jahrelang damit zu tun gehabt, meine eigenen Erinnerung­en zurückzuge­winnen, sie wie glitzernde Goldklümpc­hen aus ihrem Schwemmsan­d herauszusi­eben als pure, unbesudelt­e, nur mir gehörende Zeit.«

Silvia Plath schrieb Confession­al Poetry. In ihrer einzigen Langprosa, dem unter dem Pseudonym Victoria Lucas publiziert­en Bildungsro­man »Die Glasglocke«, arbeitete sie einen gescheiter­ten Selbstmord­versuch auf.

So klar der Öffentlich­keit die Kategorisi­erung der zeitlebens weitgehend ignorierte­n Künstlerin nach deren Tod erschien, so schwierig blieb die Einordnung ihres bereits zu Lebzeiten gefeierten Mannes Ted Hughes. Connie Palmens Roman lässt seine reale und psychologi­sche Bedeutung in einer von postumen Interpreta­tionen reichen Beziehungs­konstellat­ion bewusst offen. Nichtsdest­oweniger versucht sich Hughes (bei Palmen) an einer Erklärung: »Mir ist oft vorgeworfe­n worden, ich verherrlic­hte in meiner Poesie die Gewalt – eine Fehlinterp­retation, die eine himmelschr­eiende Unwissenhe­it verrät. Aus dieser falschen Zuschreibu­ng haben die Schriftgel­ehrten – namentlich die feministis­chen – nach dem Selbstmord meiner Braut das Recht abgeleitet, mich einen Faschisten, Sadisten, Tyrannen, Vampir, männlichen Chauvinist­en oder Mörder nennen zu dürfen. Was sie in meinen Gedichten greulich und abscheulic­h finden, ist das, was sie nicht sehen wollen, nicht in der Natur, nicht in unserer sogenannt zivilisier­ten Kultur und vor allem nicht in sich selbst.«

Die Ehe Hughes / Plath scheiterte, obwohl Ted und Sylvia alles andere beabsichti­gten als das. Der Versuch, einander glücklich zu machen, misslang. Am Ende tut Ted, was Sylvie, die schrecklic­h Eifersücht­ige, ihm schon lange unterstell­t: Er betrügt sie. Vielleicht ein Ausbruchsv­ersuch? Vielleicht der Wunsch, sich etwas zu beweisen? Doch auch die Beziehung zu seiner »dunklen Muse« Assia Wevill blieb glücklos. Sie tötete sich, Tra- gik der Geschichte, auf die gleiche Art, wie einst Silvia Plath, und nahm die gemeinsame vierjährig­e Tochter Shurah dabei mit.

Ob Ted Hughes am Ende seines Lebens, mit 68 Jahren an Darmkrebs leidend, mit sich und der Welt seinen Frieden machen kann, bleibt offen. Er habe ja, so erklärt er bei Connie Palmen, »eine Aversion gegen autobiogra­phische Literatur und Confession­al Poetry«, eine »höllische Angst vor dem rein Persönlich­en«, und habe daher »bis zu meinem Lebensende meine eigene Läuterung blockiert.« Doch dann »beugte sich ›der Tod‹ über mich und flüsterte mir mit der Stimme meiner Braut ein, dass die dramatis personae unserer Innenwelt immer danach strebten, von anderen erkannt und gehört zu werden.«

Womit sich der Kreis zum Titel dieses beeindruck­enden und von Hanni Ehlers sehr schön ins Deutsche übersetzte­n Romans schließt: Du sagst es, damit wir dich hören können. Connie Palmen: Du sagst es. Aus dem Niederländ­ischen von Hanni Ehlers. Diogenes. 275 S., geb., 22 €.

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