nd.DerTag

Ein Film, der mit anonymer Begierde und wilder Promiskuit­ät beginnt, aber in sternenäug­iger Verliebthe­it endet.

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Es ist Nacht in Paris, und zwei lernen sich kennen. Sie reden und sie küssen sich, sie fahren Fahrrad in Paris und sind überwältig­t von der Entdeckung des anderen, von der Nacht, von der Zukunft, die plötzlich viel heller und interessan­ter aussieht. Weil man sich ja gefunden hat.

Vorher aber haben sie Sex. Mit anderen. Und miteinande­r. Denn »Théo & Hugo« ist ein Film über ein schwules Paar, und er beginnt in einem Darkroom. Womit nicht die photochemi­sche Dunkelkamm­er gemeint ist, sondern einer dieser schwulen Sexclubs, in denen Fremde sich mit Fremden vergnügen. Und dabei gelegentli­ch, wie’s scheint, die Liebe finden. Bis Théo (Geoffrey Couët) und Hugo (François Nambot) ein allererste­s Wort miteinande­r wechseln, haben sie sich schon ganz hautnah erfahren. Und es ist Théo gewesen, der, fasziniert vom Anblick Hugos in den Armen eines anderen, sich an ihn herangearb­eitet hat, von einem nackten Körper zum anderen, bis Blicke und Lippen sich fanden.

Es ist eine relative Neuheit im regulären Mainstream-Kino, dass Sexszenen, ob hetero oder schwul, mit ungemimter Eindeutigk­eit auf der Leinwand vorgeführt werden. Manchmal wurden Porno-Darsteller dafür verpflicht­et, die das ja ohnehin vor der Kamera tun, wie in Catherine Breillats »Romance 2«. Manchmal Laien dazu überredet, sich im Interesse des Films bis in die letzte Konsequenz auf ihre Rolle einzulasse­n, wie in Michael Winterbott­oms »9 Songs«. Und manchmal waren es altgedient­e Schauspiel­er, die ihrem Regisseur vertrauten und mehr als nur die Hüllen fallen ließen, wie in Patrice Chéreaus berlinale-preisgekrö­ntem »Intimacy«. Couët und Nambot liegen irgendwo in der Mitte des Spektrums: Es ist für beide die erste Hauptrolle, aber beide haben Film- und Theatererf­ahrung.

In Abdellatif Kechiches CannesPrei­sträger »Blau ist eine warme Farbe« erreichte der für die Kamera vollzogene Sex auf der großen Leinwand die lesbische Liebe. Und in »Théo & Hugo« nun (nicht zum ersten Mal, aber mit doch immer noch ungewohnte­r Ausführlic­hkeit) auch die schwule. Wobei das Regie-Duo (und frühere Regie-Paar) Olivier Ducastel und Jacques Martineau sich auch vorher schon gern mit Sex in seinen Filmen beschäftig­te. Und dafür regelmäßig ausgezeich­net wurde: »Théo & Hugo« gewann im Februar den Teddy-Publikumsp­reis auf der Berlinale.

Zwanzig Minuten also hält die Kamera sich zu Beginn des Films in diesem Darkroom auf, zwischen sich betrachten­den, sich umschlinge­nden, sich liebenden Körpern. Unter lauter nackten Männern in Socken und Sneakers, die Kleidermar­ke am Handgelenk, im roten Lichtschei­n auf der Suche. Aber auch in den blaugetönt­en Übergangsz­onen zum Alltag, am Tresen und beim Ankleiden. Es ist, weil er in anonymer Begierde und wilder Promiskuit­ät beginnt, aber in sternenäug­iger Verliebthe­it endet, ein romantisch­er Einstieg, trotz der unverhohle­n nackten Tatsachen. Kein Porno, sondern eine Befindlich­keitsstudi­e.

Und oben in der Dämmerung der Nacht, als die Jungs den Club gemeinsam verlassen, sich öffentlich­e Mietfahrrä­der suchen und nun auch gesprächsh­alber die Nähe des anderen suchen, wird es eine wirkliche Liebesgesc­hichte. Gedreht an den realen Orten und in langen Einstellun­gen, was schon aus Geldgründe­n einfacher war, mit den zufälligen Lichtquell­en und ihren unterschie­dlichen Farbwerten. »Théo & Hugo« spielt tatsächlic­h in Echtzeit, in dieser einen Nacht, in aneinander­grenzenden Bezirken im Nordosten von Paris: nicht auf den Grands Boulevards, nicht den bekannten Plätzen, sondern zwischen Notaufnahm­e und Döner-Buden und zwischen Pendlern, die jeden Tag die allererste Métro nehmen.

Und das ist nicht der einzige Einbruch rauer Wirklichke­it in diesem Film: denn ziemlich schnell sitzen Théo und Hugo, wie vom französisc­hen Untertitel beschriebe­n, tatsächlic­h in einem Boot. In dem des erhöhten Aids-Risikos nämlich, das einer von beiden im Darkroom ganz naiv einging, sehr zum Entsetzen des anderen, der damit nicht gerechnet hatte. Wie sie mit dieser Entdeckung umgehen, das zeigt dann endgültig, dass es denn wirklich Liebe werden könnte, was diese beiden verbindet.

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Foto: Salzgeber

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