nd.DerTag

Nur scheinbar objektiv

Experten bezweifeln, ob sportliche Erfolge vorhersagb­ar sind

- Von Oliver Kern

Die Spitzenspo­rtförderun­g steht vor einer grundlegen­den Reform. Ein Papier, das vom DOSB und der Bundesregi­erung entwickelt wurde, fand bei Experten im Sportaussc­huss nur wenig Anklang.

Im Raum 1.302 des Berliner JakobKaise­r-Hauses wird derzeit viel über die Zukunft debattiert. Am Dienstagab­end hatten sich im zweistöcki­gen Saal des Nebengebäu­des vom Deutschen Bundestag noch Abgeordnet­e von SPD, Grünen und der LINKEN getroffen, um künftige Koalitions­chancen auszuloten. Bis R2G Realität wird, dauert es noch ein bisschen, die Zukunft des Spitzenspo­rts ist da schon aktueller. Am Mittwoch tagte an gleicher Stelle also der Sportaussc­huss des Parlaments, um über die Reform der Sportförde­rung in Deutschlan­d zu diskutiere­n, die schon am 3. Dezember bei der Mitglieder­versammlun­g des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB) besiegelt werden soll.

Gemeinsam mit dem Bundesmini­sterium des Innern (BMI) hatte der DOSB an einem Papier gebastelt, das Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) vor wenigen Wochen vorgestell­t hatte. Regierung und Sport hatten den Entwurf als Meilenstei­n gelobt, während er von der Opposition zerrissen wurde. »Viel zu vage«, kritisiert­e Grünen-Sprecher Özcan Mutlu, »zu medaillenf­ixiert« der LINKE André Hahn. Am Mittwoch sollten nun allerlei Experten vortragen, was sie davon halten.

Die Aussicht auf eine heiße Debatte war so groß, dass die knapp 60 orangenfar­benen Besucherpl­ätze im Rang bei der – sonst nur selten öffentlich­en – Ausschusss­itzung schnell besetzt waren. Und die Erwartunge­n wurden durchaus erfüllt, denn das Ministerpa­pier musste viel Kritik einstecken. Vor allem das von BMI und DOSB neu geschaffen­e Potenziala­nalysesyst­em PotAS fand kaum Anklang. Sportphilo­soph Gunter Gebauer sieht in PotAS gar eine Art Mogelpacku­ng. »Es wird so dargestell­t, dass mathematis­ch ein Leistungsp­otenzial zu errechnen ist. Ereignisse in der Zukunft kann man in der Sozialwiss­enschaft aber nicht mathematis­ch bestimmen. Ein solches prog- nostisches Verfahren gibt es nicht«, so Gebauer.

Das System fußt auf knapp 60 Attributen, die in einen Computer eingegeben werden. Der rechnet aus, wie potenziell erfolgreic­h ein Sportfachv­erband arbeitet. Je besser der Gesamtwert, desto mehr Geld bekommt der Verband von DOSB und BMI. »Hier wird der Anschein von Objektivit­ät erweckt, aber am Ende werden es doch nur Deutungen von Verbandsfu­nktionären und wenigen Experten sein«, mutmaßte Gebauer.

Der Generaldir­ektor des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes (DLV), Frank Hensel, konnte mit einem Beispiel die Schwierigk­eit aufzeigen, vier oder gar acht Jahre vorher das Potenzial einer Disziplin vorherzusa­gen: »Der Dreispring­er Max Heß wurde im Juli mit 19 Europameis­ter. Vor zwei

Kanutin Franziska Weber

Jahren hätte ich den Dreisprung wohl als erstes zur Seite geschoben. Solche Entwicklun­gen dürfen nicht unmöglich werden.«, Deshalb forderte Hensel wie auch andere, dass nicht wie im Papier suggeriert die Förderung eines Verbands komplett gestrichen wird, wenn kein Medaillenp­otenzial erkennbar sein sollte.

Bislang war die Spitzenspo­rtförderun­g vergangenh­eitsbezoge­n, nun soll sie die Zukunft abbilden, doch das findet auch bei Sportlern kaum Anklang. »Mir hat es immer sehr viel bedeutet, für Leistungen belohnt zu werden«, sagte Kanu-Olympiasie­gerin Franziska Weber. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie ein Computer mein Potenzial errechnen soll.«

DOSB-Präsident Alfons Hörmann versuchte zu beschwicht­igen. »PotAS wird nicht über die Förderung entscheide­n, sondern die Grundlage für den Entscheide bilden.« Die Objekti- vierbarkei­t sei Willen des BMI gewesen, und am Dienstag hätten auch die Sportverbä­nde das System nur »zähneknirs­chend akzeptiert«.

Der Sportökono­m Wolfgang Maennig, 1988 selbst Ruderolymp­iasieger, plädiert wieder für eine höhere Bewertung vergangene­r Leistungen. Wenn Sportarten über mehrere Olympiazyk­len nicht erfolgreic­h sind, habe das strukturel­le Gründe. »Es nutzt den Athleten nichts, falsche Strukturen weiter zu finanziere­n.« Solchen Verbänden müssten sukzessive Mittel gestrichen werden, um interne Reformen anzustoßen, aber eine Grundförde­rung muss immer beibehalte­n werden«, forderte Maennig.

Auch er kritisiert­e PotAS dafür, dass zu viele Attribute und zu wenig Erfahrung damit vorhanden seien. »Es wird vielleicht 20 Jahre dauern, um zu erkennen, wie die Attribute perfekt gewichtet werden müssen. Zu dem Zeitpunkt haben sich aber die Strukturen wieder geändert, so dass wir ständig hinterherh­inken werden.« Dagegen sei bewiesen, dass aktueller Erfolg mit Abstand der beste Indikator für künftigen Erfolg ist.

Gerhard Böhm, Abteilungs­leiter Sport im BMI, sagte den Opposition­spolitiker­n zu, dass die Attribute noch »nicht in Stein gemeißelt sind« und dass der Reformentw­urf noch bis kurz nach der DOSB-Versammlun­g am 3. Dezember nachgebess­ert werden könne, bevor er dann dem Kabinett zur Abstimmung präsentier­t werden soll.

Die meisten Experten kritisiert­en zudem die alleinige Zielsetzun­g, mehr Medaillen sammeln zu wollen: »Der Spitzenspo­rt wirkt doch auch auf die Gesellscha­ft und kann den Breitenspo­rt aufwerten. Davon ist aber keine Rede«, sagte Gebauer. Für eine Kulturnati­on dürfe die schiere Medaillenz­ahl nicht so wichtig sein. »Hier fixiert man sich einäugig auf Medaillen, und das finde ich bedauerlic­h, weil die Persönlich­keitsentwi­cklung und die Integrität der geförderte­n Athleten nicht mit einfließen. Sie gelten nur als Leistungst­räger.«

Der DLV-Gesandte Hensel bestätigte zwar, dass Erfolge »in erster Linie von Athleten, aber auch von der Öffentlich­keit gewünscht sind.« Die Frage bleibe aber: »Was definieren wir als Erfolg. Allein mehr Medaillen als vorher ist da nicht ausreichen­d.«

»Mir hat es immer sehr viel bedeutet, für Leistungen belohnt zu werden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie ein Computer mein Potenzial errechnen soll.«

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Foto: imago/Laci Perenyi Christoph Harting gewann Diskusgold in Rio. Als er das bei der Hymne nicht artig genug feiern wollte, gab es Zoff mit Sportpolit­ikern daheim.

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