Nur scheinbar objektiv
Experten bezweifeln, ob sportliche Erfolge vorhersagbar sind
Die Spitzensportförderung steht vor einer grundlegenden Reform. Ein Papier, das vom DOSB und der Bundesregierung entwickelt wurde, fand bei Experten im Sportausschuss nur wenig Anklang.
Im Raum 1.302 des Berliner JakobKaiser-Hauses wird derzeit viel über die Zukunft debattiert. Am Dienstagabend hatten sich im zweistöckigen Saal des Nebengebäudes vom Deutschen Bundestag noch Abgeordnete von SPD, Grünen und der LINKEN getroffen, um künftige Koalitionschancen auszuloten. Bis R2G Realität wird, dauert es noch ein bisschen, die Zukunft des Spitzensports ist da schon aktueller. Am Mittwoch tagte an gleicher Stelle also der Sportausschuss des Parlaments, um über die Reform der Sportförderung in Deutschland zu diskutieren, die schon am 3. Dezember bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) besiegelt werden soll.
Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern (BMI) hatte der DOSB an einem Papier gebastelt, das Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vor wenigen Wochen vorgestellt hatte. Regierung und Sport hatten den Entwurf als Meilenstein gelobt, während er von der Opposition zerrissen wurde. »Viel zu vage«, kritisierte Grünen-Sprecher Özcan Mutlu, »zu medaillenfixiert« der LINKE André Hahn. Am Mittwoch sollten nun allerlei Experten vortragen, was sie davon halten.
Die Aussicht auf eine heiße Debatte war so groß, dass die knapp 60 orangenfarbenen Besucherplätze im Rang bei der – sonst nur selten öffentlichen – Ausschusssitzung schnell besetzt waren. Und die Erwartungen wurden durchaus erfüllt, denn das Ministerpapier musste viel Kritik einstecken. Vor allem das von BMI und DOSB neu geschaffene Potenzialanalysesystem PotAS fand kaum Anklang. Sportphilosoph Gunter Gebauer sieht in PotAS gar eine Art Mogelpackung. »Es wird so dargestellt, dass mathematisch ein Leistungspotenzial zu errechnen ist. Ereignisse in der Zukunft kann man in der Sozialwissenschaft aber nicht mathematisch bestimmen. Ein solches prog- nostisches Verfahren gibt es nicht«, so Gebauer.
Das System fußt auf knapp 60 Attributen, die in einen Computer eingegeben werden. Der rechnet aus, wie potenziell erfolgreich ein Sportfachverband arbeitet. Je besser der Gesamtwert, desto mehr Geld bekommt der Verband von DOSB und BMI. »Hier wird der Anschein von Objektivität erweckt, aber am Ende werden es doch nur Deutungen von Verbandsfunktionären und wenigen Experten sein«, mutmaßte Gebauer.
Der Generaldirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Frank Hensel, konnte mit einem Beispiel die Schwierigkeit aufzeigen, vier oder gar acht Jahre vorher das Potenzial einer Disziplin vorherzusagen: »Der Dreispringer Max Heß wurde im Juli mit 19 Europameister. Vor zwei
Kanutin Franziska Weber
Jahren hätte ich den Dreisprung wohl als erstes zur Seite geschoben. Solche Entwicklungen dürfen nicht unmöglich werden.«, Deshalb forderte Hensel wie auch andere, dass nicht wie im Papier suggeriert die Förderung eines Verbands komplett gestrichen wird, wenn kein Medaillenpotenzial erkennbar sein sollte.
Bislang war die Spitzensportförderung vergangenheitsbezogen, nun soll sie die Zukunft abbilden, doch das findet auch bei Sportlern kaum Anklang. »Mir hat es immer sehr viel bedeutet, für Leistungen belohnt zu werden«, sagte Kanu-Olympiasiegerin Franziska Weber. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie ein Computer mein Potenzial errechnen soll.«
DOSB-Präsident Alfons Hörmann versuchte zu beschwichtigen. »PotAS wird nicht über die Förderung entscheiden, sondern die Grundlage für den Entscheide bilden.« Die Objekti- vierbarkeit sei Willen des BMI gewesen, und am Dienstag hätten auch die Sportverbände das System nur »zähneknirschend akzeptiert«.
Der Sportökonom Wolfgang Maennig, 1988 selbst Ruderolympiasieger, plädiert wieder für eine höhere Bewertung vergangener Leistungen. Wenn Sportarten über mehrere Olympiazyklen nicht erfolgreich sind, habe das strukturelle Gründe. »Es nutzt den Athleten nichts, falsche Strukturen weiter zu finanzieren.« Solchen Verbänden müssten sukzessive Mittel gestrichen werden, um interne Reformen anzustoßen, aber eine Grundförderung muss immer beibehalten werden«, forderte Maennig.
Auch er kritisierte PotAS dafür, dass zu viele Attribute und zu wenig Erfahrung damit vorhanden seien. »Es wird vielleicht 20 Jahre dauern, um zu erkennen, wie die Attribute perfekt gewichtet werden müssen. Zu dem Zeitpunkt haben sich aber die Strukturen wieder geändert, so dass wir ständig hinterherhinken werden.« Dagegen sei bewiesen, dass aktueller Erfolg mit Abstand der beste Indikator für künftigen Erfolg ist.
Gerhard Böhm, Abteilungsleiter Sport im BMI, sagte den Oppositionspolitikern zu, dass die Attribute noch »nicht in Stein gemeißelt sind« und dass der Reformentwurf noch bis kurz nach der DOSB-Versammlung am 3. Dezember nachgebessert werden könne, bevor er dann dem Kabinett zur Abstimmung präsentiert werden soll.
Die meisten Experten kritisierten zudem die alleinige Zielsetzung, mehr Medaillen sammeln zu wollen: »Der Spitzensport wirkt doch auch auf die Gesellschaft und kann den Breitensport aufwerten. Davon ist aber keine Rede«, sagte Gebauer. Für eine Kulturnation dürfe die schiere Medaillenzahl nicht so wichtig sein. »Hier fixiert man sich einäugig auf Medaillen, und das finde ich bedauerlich, weil die Persönlichkeitsentwicklung und die Integrität der geförderten Athleten nicht mit einfließen. Sie gelten nur als Leistungsträger.«
Der DLV-Gesandte Hensel bestätigte zwar, dass Erfolge »in erster Linie von Athleten, aber auch von der Öffentlichkeit gewünscht sind.« Die Frage bleibe aber: »Was definieren wir als Erfolg. Allein mehr Medaillen als vorher ist da nicht ausreichend.«
»Mir hat es immer sehr viel bedeutet, für Leistungen belohnt zu werden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie ein Computer mein Potenzial errechnen soll.«