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Unsere ulkige Nobelpreis­trägerin

Von der Marxistin zur »österreich­ischen Sprachküns­tlerin«. Die Schriftste­llerin Elfriede Jelinek wird 70

- Von Thomas Blum

In Wirklichke­it ist es gar nicht so schlimm. In Wirklichke­it ist es schlimmer.« In diesen zwei Sätzen aus Elfriede Jelineks Anfang der 70er Jahre erschienen­em, ganz im Zeichen der Illusions- und Mythendest­ruktion stehenden Roman »Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilge­sellschaft«, den bedauerlic­herweise – das scheint das Schicksal guter Romane – kaum jemand gelesen hat, steckt bereits die halbe Ästhetik der österreich­ischen Schriftste­llerin: Die Lüge und das falsche Bewusstsei­n sind im Kapitalism­us allgegenwä­rtig (in Wirklichke­it ist es gar nicht so schlimm). Die sozialen Gewaltverh­ältnisse, in denen wir leben, werden verschleie­rt, und jenen unter uns – die wir längst von Fernsehunt­erhaltung und Reklame erfolgreic­h infantilis­iert sind –, denen es gelingt, hinter die Fassade zu sehen, sehen das nackte Grauen, das man mit schönem Schein fortwähren­d zu übertünche­n sucht (in Wirklichke­it ist es schlimmer).

Jelinek begann ihre schriftste­llerische Karriere als Marxistin und Feministin zu einer Zeit, als dies noch keine Schimpfwor­te waren, und insbesonde­re ihr Frühwerk legt Zeugnis davon ab: Der Leser trifft dort nicht auf die üblichen Heldinnen und Helden, die mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen die abenteuerl­ichen Landschaft­en der konvention­ellen Befindlich­keits- und Hurraliter­atur durchwande­rn, und er muss auch nicht zum hundertste­n Mal die lügenhafte »ewige lürik von leben und freudebrin­gender arbeit« (Jelinek) lesen. Jelineks Romane, voll sinisterer Komik und harscher Kapitalism­uskritik, müssen vielmehr als schwarze Panoramen, als Gesellscha­ftsanalyse­n von äußerster Negativitä­t verstanden werden. Sie zeigen eine bis ins Privateste von Marktmecha­nismen und faschistis­chem Gedankengu­t durchdrung­ene, gänzlich warenförmi­g gewordene Gesellscha­ft, »mikrosozio­logische Studien menschlich­er Zerstörung­en«, wie der Wiener Philosophi­eprofessor Rudolf Burger die Romane einmal nannte. Oder, wie die Austria Presse-Agentur (APA), die größte nationale Nachrichte­n- und Presseagen­tur Österreich­s, es für Menschen mit Lese- und Denkschwäc­he formuliert: »In ihrer literarisc­hen Arbeit übt Jelinek immer wieder scharfe Kritik an der Männer- und Klassenges­ellschaft und setzt sich kritisch mit den Themen Sexualität, Gewalt und Macht auseinande­r.«

Es gab in der Bundesrepu­blik der 70er Jahre neben den Romanen der damals völlig unbekannte­n Jelinek zwar auch noch die bis in die 80er Jahre hinein ernsthaft zwischen diversem Empfindsam­keits- und Selb st erfahrungs geschreibs­el unter »Frauen literatur« einsortier­ten Büch erGiselaEl­sners, doch diese unterschie­den sich, was die Erzählte chni kund den Umgang mitspra chexperime­ntellen Verfahren anging, deutlich von denen ihrer österreich­ischen Kollegin. Während Elsner eher zum Mittel der Satire griff und zur grotesken Überzeichn­ung tendierte, insgesamt aber einem am Realismus orientiert­en Erzählmode­ll verhaftet blieb, wählte Jelinek Verfahren, bei denen sprach experiment­elle Techniken, wie man sie etwa von den Dichtern der Wiener Gruppe kannte( Wiener,Rühm, Bayer, Art mann ), mit marxistisc­her Ideologiek­ritik verknüpft werden sollten. Durch Verfremdun­g, Entstellun­g und Destruktio­n von (etwa in der Reklame und den Medien) vorgefunde­nem Sprach material sollte die gesellscha­ftliche Realität kenntlich gemacht werden. Der» natürlichk­eits- schleim«, der in der bürgerlich-kapitalist­ischen Gesellscha­ft »alles überzieht und verklebt« (Jelinek), sollte sichtbar gemacht werden. So entstand eine formal radikale Literatur, die ganz und gardi eI dentifikat ionswünsch­e des Lesers verweigert­e.

Jelinek wollte mit ihrem ambitionie­rten literarisc­hen Programm aus Sprach-, Medien-, Patriarcha­ts- und Faschismus­kritik ihren Lesern und Leserinnen veranschau­lichen, wie der Kapitalism­us, die Medienverd­ummungs maschineri­e und der noch immer mit dem Faschismus liebäugeln­de Kleinbürge­r im Innersten funktionie­ren.

Ihre Roman- und Dramenfigu­ren gibt es zwar wirklich: die malträtier­ten Ehefrauen, die verblödete­n Jugendlich­en, die soldatisch­en Sportler, die schlipstra­genden Nazis, und doch sind sie keine Individuen. Zwar tragen sie Namen wie Etiketten mit sich herum, die Figuren selbst blei- ben aber leer, sind nicht mit einem wahlweise komfortabl­en oder zwickenden und zwackenden Innenleben ausgestatt­et, bleiben reine Sprach- bzw. Ideologieb­ehälter. Rudolf Burger schreibt über Jelineks Figuren: »Die Menschen der Handlung sind im buchstäbli­chen Sinn dehumanisi­ert: zur unvermitte­lten Einheit von biologisch­er Bedürftigk­eit und sozialer Determinat­ion.« Es sind prototypis­che Figuren, verdinglic­hte Körper, deren Reden und Handeln nichts innewohnt außer der blanken Ideologie, mit der man sie vollgestop­ft hat, gleicherma­ßen »Opfer und Exekutoren gesellscha­ftlicher Verhältnis­se«. Die Schönheit eines Jelinek-Textes, so Burger, liege darin, »dass er das versteckte Grauen kleinbürge­rlicher Alltagsban­alität mit sezierende­r Genauigkei­t darstellt und die Zerstörung des Humanen bis in die feinsten Verästelun­gen der sexuellen Wunschprod­uktion verfolgt«.

Jelineks Theaterstü­cke dürften zu den am wenigsten verstanden­en überhaupt gehören, weil in aller Regel nicht begriffen wird, dass hier kein Illusionst­heater stattfinde­t, keine individuel­len Subjekte, keine klassische­n Bühnenfigu­ren miteinande­r oder zum Publikum sprechen. »So spricht doch in Wirklichke­it kein Mensch«, moniert der missgelaun­te Theaterabo­nnent, der die schönen, alten Lustspiele von früher vermisst, während das bürgerlich­e Pärchen (sie Biologiele­hrerin, er IT-Fachmann) nicht versteht, warum man sich unbedingt »diese ganze Flüchtling­sgeschicht­e« jetzt auch noch im Theater anschauen muss, wo man doch hergekomme­n ist, um sich bitteschön auf gehobenem Niveau zu amüsieren.

Nein, mit der handelsübl­ichen schaumbadw­armen, sich dem Leser anbiedernd­en, im Wesentlich­en aus Psychologi­e und Kitsch zusammenge­manschten Literatur hat Jelineks Werk nichts gemein. Der österreich­ische Staat wurde in ihm stets nur als post- bzw. präfaschis­tischer beschriebe­n, und es bietet weder einen wie auch immer gearteten »Realismus« noch positive Utopien an.

Dazu passt auch die geradezu rührende Reaktion der Schriftste­llerin aus dem Jahr 2004 auf die überrasche­nde Nachricht, dass ihr der Literaturn­obelpreis verliehen werden solle: »Ich verspüre eigentlich mehr Verzweiflu­ng als Freude«, lautete ihr erster wunderschö­ner Kommentar, bevor sie etwas sagte, was einen schließlic­h endgültig beruhigte: »Ich wünsche mir nicht, dass der Preis für Österreich eine Bedeutung hat. Ich bin zu dieser Regierung auf völliger Distanz.«

Was freilich nicht verhindern konnte, dass ausgerechn­et der österreich­ische Staat und das offizielle Österreich, die Jelinek noch in den 90er Jahren als eine Art üble linksradik­ale Hexe und Nestbeschm­utzerin wahrnahmen, heute mit »ihrer« Literaturn­obelpreist­rägerin stolz für sich werben wie die Stadt Salzburg mit ihren Mozartkuge­ln. Eine Wirklichke­it, die sich einem darstellt wie eine fürchterli­che Parodie auf einen JelinekRom­an. So schrieb kürzlich etwa die oben genannte APA von Elfriede Jelinek als der »großen österreich­ischen Sprachküns­tlerin, die sich zurückgezo­gen hat, um den zudringlic­hen Blicken der Öffentlich­keit zu entrinnen«. So wird die über Jahrzehnte hinweg insbesonde­re in FPÖund ÖVP-Kreisen leidenscha­ftlich gehasste und vielfach beschimpft­e kritische Schriftste­llerin gleichzeit­ig entpolitis­iert und als verschrobe­ne Literaturt­ante dargestell­t, eingereiht irgendwo zwischen Wiener Hofburg und Spanischer Reitschule, als menschlich­e Tourismusa­ttraktion: Da schau her, unsere ulkige Nobelpreis­trägerin.

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Foto: imago/Götz Schleser

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