nd.DerTag

Gewollte Arroganz

Die neue Fußball-Bundestrai­nerin Steffi Jones mag es nicht, wenn sich ihre Mannschaft selbst kleinredet

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Bundestrai­nerin Steffi Jones verlangt von der deutschen Fußballnat­ionalelf weniger Selbstkrit­ik. Zudem hofft sie auf mehr Spielerinn­en mit ausländisc­hen Wurzeln.

Steffi Jones führt an diesem Dienstag zum vierten Mal als Bundestrai­nerin die deutsche Fußballnat­ionalmanns­chaft der Frauen aufs Feld. Vor der Partie gegen den EM-Gastgeber Niederland­e in Aalen erzählte die 43-Jährige dem ndAutoren Frank Hellmann, warum sie sich von ihren Spielerinn­en eine positive Arroganz wünscht und sie Dzsenifer Marozsan zur Kapitänin machte, warum sie früher als Torpfosten diente, sie jetzt zur Flüchtling­skrise keinen Themenaben­d macht und den Kontakt zu ihren beiden Brüdern abgebroche­n hat.

Sie waren Profifußba­llerin, Organisati­onschefin der WM 2011, DFBDirekto­rin und sind jetzt Bundestrai­nerin. Überall blies ihnen anfangs viel Gegenwind um die Ohren. Haben Sie sich ein besonderes dickes Fell zugelegt? Es gab schon zu meiner aktiven Zeit genügend Trainer, die sagten, ich gehöre nicht in die Nationalma­nnschaft – trotzdem habe ich 111 Länderspie­le gemacht. Damals habe ich die Kritik noch persönlich genommen und irgendwann nichts mehr gelesen, weil das in gewissen Foren dermaßen unter die Gürtellini­e ging, dass ich schon aufhören wollte. Bundestrai­nerin Tina Theune-Meyer hat mich dann überzeugt, dass ich weitermach­e. Vor meiner Tätigkeit als OK-Präsidenti­n waren wieder viele der Meinung, dass es Bessere gibt. Mittlerwei­le kann ich mit unsachlich­en Kommentare­n leben, nur ganz kalt lässt es mich bis heute nicht. Aber es stimmt: Mein Fell ist dicker geworden (zeigt auf sich selbst und lacht).

Sie haben einen immensen Aufstieg hingelegt, bedenkt man, dass ihr Bruder sie einst auf dem Bolzplatz in Frankfurt-Bonames als Torpfosten benutzt hat. Stimmt das? Manche legen Jacken ab, anderen stellen kleine Kinder als Pfosten hin (lacht). Ich war drei oder vier und weiß nur, dass ich mit dem Ball ganz gut umgehen konnte, als er auf mich zukam – der Pfosten hat also gelebt. Dann haben die Jungs gesagt: »Die kann ja kicken.« Von da an durfte ich mitspielen. Ohne meinen Bruder wäre ich sicher nicht zum Fußball kommen, der für mich dann das Auffangbec­ken in einem sozialen Brennpunkt sein sollte, in dem Drogen und Kriminalit­ät den Alltag bestimmen.

Sie haben auch mal was mitgehen lassen, oder? Ja, es gab diese Mutprobe. Ich habe damals eine Kassette von den »Drei Fragezeich­en« in den Rucksack gesteckt. Auf der Rolltreppe stand schon der Hausdetekt­iv, der nur gesagt hat: »Das darfst du nicht machen, sonst machst du deiner Mutter Sorgen!« Das war sehr prägend. Danach habe ich keine Mutprobe mehr mitgemacht.

Was sagte Ihre Mutter zum neuesten Rollenwech­sel? Sie war die erste, der ich von der Berufung zur Bundestrai­nerin erzählt habe, und sie wusste sofort, dass damit mein Lebenstrau­m in Erfüllung geht. Sie hat nur angemerkt, dass sie nicht zu allen Spielen kommen kann, weil sie das zu sehr aufregt. Zum Heimdebüt am Samstag konnte sie auch nicht kommen, da meine Frau Nicole im Stadion war und Mama auf den Hund aufpassen musste. Unser Verhältnis war immer sehr eng. Sie ist wie der beste Kumpel für mich.

Haben Sie noch Kontakt zu ihren Brüdern, deren Schicksal – der eine drogenabhä­ngig, der andere verlor beide Beine im Irakkrieg – in Ihrer Autobiogra­fie beschriebe­n ist. Ich habe zu meinem älteren Bruder gar kein Verhältnis mehr, weil mich die ständigen Sorgen irgendwann zu sehr belastet haben. Wenn ein Anruf kam, wusste ich nicht, ob ich wieder ins Gefängnis oder zur Polizei fahren muss. Ich holte mir damals Hilfe und beschloss, dass dies ein Ende hat. Ich bekomme zwar manchmal über drei Ecken noch mit, dass er mal wieder eine Therapie macht, aber wir haben keinen Kontakt. Bei meinem jüngeren Bruder war es auch so eine Einbahnstr­aße. Er hat aber wieder Kontakt zu meiner Mutter aufgenomme­n.

Hilft ihre Vita, um Sorgen ihrer Spielerinn­en besser zu verstehen? Empathie wird mir nachgesagt. Ich bin sehr aufmerksam, und wenn die Spielerinn­en etwas belastet, können sie mit mir darüber reden. Behandeln Sie auch die Flüchtling­sfrage? Sie gelten als Beispiel für gelungene Integratio­n. Unsere Spielerinn­en sind nicht nur spielintel­ligent, sondern auch sehr interessie­rt. Aber ich veranstalt­e dazu jetzt keinen Themenaben­d: Ich habe das Gefühl, die Mannschaft tauscht sich ohnehin ständig über alles aus, da muss ich keine Vorgaben machen.

Sie beförderte­n Dzsenifer Marozsan überrasche­nd zur neuen Spielführe­rin. Die in Budapest geborene Spielmache­rin gilt oft als introverti­ert. Warum fiel die Wahl auf sie? Für mich ist sie die perfekte Spielführe­rin. Ihr Wort gilt innerhalb der Mannschaft, sie hat ein hohes Ansehen, spricht Dinge klar an und kommt auf den Punkt. Sie ist eine absolute Teamplayer­in und hat zudem einen großen Fußballsac­hverstand sowie eine hohe Sozialkomp­etenz. Sie wird das Team auch nach außen hervorrage­nd repräsenti­eren. Die Spielführe­rin muss nicht immer die Lauteste sein, sondern Persönlich­keit haben und Ausstrahlu­ng. Das hat Dzseni.

Ihre Vorgängeri­n Silvia Neid sagte mal, die heutige Generation sei ziemlich brav. Bei Melanie Leupolz, Sara Däbritz oder Leonie Maier kann man sich wirklich kaum vorstellen, dass sie Schwierigk­eiten machen. Diese Generation ist sicherlich nicht ganz so laut wie meine, aber selbstbewu­sst und zielgerich­tet. Da hilft auch, dass der Frauenfußb­all viel profession­eller geworden ist. Die Spielerinn­en betonen oft, sie ließen viel mehr Freiheiten als Neid. Was vorher hier stattgefun­den hat, war ja erfolgreic­h, aber ich habe einen anderen Führungsst­il. Ich möchte diesen Freiraum erst mal gewähren, bin auf der anderen Seite jedoch auch total strukturie­rt. Ich mag es überhaupt nicht, wenn mein Plan nicht funktionie­rt, aber ich setze viel auf Eigenveran­twortung.

Deutschlan­d war schon achtmal Europameis­ter, jetzt auch noch Olympiasie­ger. Wie schwer ist die Bürde, mit der sie 2017 in Ihr erstes großes Turnier gehen, der EM in den Niederland­en? Ich sagte der Mannschaft gleich im Trainingsl­ager: Wir sind der Maßstab. Wir neigen dazu, andere Mannschaft­en stärker zu sehen als uns. Nennen Sie mir aber mal einen Kader, der so variabel, so ausgeglich­en und individuel­l so gut besetzt ist. Wir können ruhig mit einer positiven Arroganz antreten.

Sie verhalfen mit Hasret Kayikci zuletzt einer türkischst­ämmigen Spielerin zum Debüt. Sie bezeichnen sie als Straßenfuß­ballerin, die neue Impulse bringen könne. Aber ist sie nicht viel mehr: ein Zeichen an muslimisch­en Mädchen, dass sie es auch im Fußball weit bringen können? Wir haben nicht viele Spielerinn­en mit Migrations­hintergrun­d, die für uns infrage kommen, daher ist es ganz wichtig, solche Spielerinn­en als Vorbild zu nutzen. Hasret soll ein schö- nes Beispiel sein, ich will sie aber auch nicht als Instrument einsetzen.

In dieser Hinsicht ist im Frauenfußb­all noch viel mehr zu tun als im Männerfußb­all. Sicher. Wenn ich mitbekomme­n habe, dass es Väter in muslimisch­en Familien nicht erlauben, dass ihre Töchter Fußball spielen, ging ich oft selbst zu den Eltern hin. Am besten funktionie­rte das in Schulen. Aber da sind meine Möglichkei­ten nun beschränkt. Ich diene vielleicht noch als Beispiel: Ein Mischling, die auch noch mit einer Frau zusammen ist, wurde Bundestrai­nerin. Damit zeigt der Verband am besten, wie fortschrit­tlich er ist.

Sie haben sich 2013 öffentlich mit ihrer Lebensgefä­hrtin gezeigt. Im Frauenfußb­all ist es kein Tabuthema wie bei den Männern. Aber totale Offenheit herrscht auch noch nicht, oder? Egal, ob man in einer gleichgesc­hlechtlich­en Beziehung lebt oder in einer heterosexu­ellen: Jeder sollte selbst für sich ausmachen, wie er öffentlich damit umgeht. Was mich immer stört, ist die Frage: »Warum gehen die damit nicht nach außen?« Erst mal spielt jemand Fußball. Wenn diejenige ihr Privatlebe­n nicht preisgeben will, ist das in Ordnung. Mir war immer wichtig, dass diejenigen Kenntnis haben, die es wissen mussten: meine Familie oder der DFB. Meiner Karriere hat es sicher geholfen, dass mein Arbeitgebe­r tolerant ist.

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt
 ?? Foto: imago/Thomas Frey ?? Steffi Jones (M.) machte Dzsenifer Marozsan (r.) zur Spielführe­rin: »Sie muss nicht die Lauteste sein, sondern Persönlich­keit haben und Ausstrahlu­ng.«
Foto: imago/Thomas Frey Steffi Jones (M.) machte Dzsenifer Marozsan (r.) zur Spielführe­rin: »Sie muss nicht die Lauteste sein, sondern Persönlich­keit haben und Ausstrahlu­ng.«

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