nd.DerTag

Tierwohl ohne Tierschutz

»Pro Vieh« verlässt das Werbeproje­kt der deutschen Agrarwirts­chaft

- Von Robert D. Meyer

Es sollte das Prestigepr­ojekt werden, um das Vertrauen der Verbrauche­r in die durch Skandale erschütter­te Fleischwir­tschaft zurückzuge­winnen. Doch seit Montag dürfte klar sein: Nach nur zwei Jahren bleibt von der »Initiative Tierwohl« nicht viel übrig, die von der deutschen Agrarlobby selbst gegründet wurde. Am Montag erklärte »Pro Vieh« als letzte verblieben­e Tierschutz­organisati­on ihren Rückzug. »Vom ursprüngli­ch erarbeitet­en Tierwohlko­nzept blieb nach Gründung der Gesellscha­ft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierha­ltung für ›Pro Vieh‹ am Ende zu wenig Tierschutz übrig«, begründete der Verein seine Entscheidu­ng.

Den endgültige­n Ausschlag gaben letztlich eine Reihe von Enthüllung­en über die miserablen Haltungsbe­dingungen in Ställen, die auch durch die Initiative zertifizie­rt werden. Kern des Projekts ist aber die Idee, genau solche Skandale zu verhindern. Dafür erhalten die etwa 3200 teilnehmen­den Landwirte Geld, um dieses in Maßnahmen für mehr Tierschutz zu investiere­n. Die Finanzieru­ng von aktuell 85 Millionen Euro jährlich übernehmen große Einzelhänd­ler wie Aldi, Rewe und Real, die die Mehrkosten wiederum mit je vier Cent pro Kilo verkauften Fleischs veranschla­gen. Doch die anfänglich­e Euphorie von »Pro Vieh« schlug rasch in Ernüchteru­ng um. Inzwischen sei den Tierschütz­ern klar, dass es nur darum gehe, »vielen Betrieben möglichst billig Tierwohl« zu bescheinig­en. Viele Millionen würden für »Alibi-Tierwohl« verschwend­et, beklagt Vorstandsm­itglied Udo Hansen.

Als Beispiel nannten die Tierschütz­er unter anderen viel zu geringe reale Verbesseru­ngen. So stehe jedem Mastschwei­n dank der »Initiative Tierwohl « lediglich zusätzlich­er Platz in der Größe eines A4-Blattes zur Verfügung, das versproche­ne zusätzlich­e »organische Beschäftig­ungsmateri­al« erschöpfe sich in aller Regel in einer einfachen Holzlatte. Inzwischen sei klar geworden, dass mit freiwillig­en Verpflicht­ungen der Branche nichts zu bewegen sei.

Der Abgang von »Pro Vieh« liest sich weitestgeh­end ähnlich wie die Begründung des »Deutschen Tierschutz­bundes«, der bereits im September seinen Austritt verkündet hatte. Auch da hieß es, die »Initiative Tierwohl« setze bei der Produktion von Fleisch einfach weiter auf Quantität. Foodwatch nannte das Projekt einen »schlechten PRGag«, der die Lebensbedi­ngungen nicht bedeutend verbessere.

Trotz dieser vernichten­den Kritik und dem Rückzug aller Tierschutz­organisati­onen halten die verblieben­en Lobbyverbä­nde an ihrem Projekt fest. Noch am Freitag hatte der Präsident des Deutschen Bauernverb­andes, Joachim Rukwied, Ausschau nach Möglichkei­ten gehalten, die » Initiative Tierwohl« durch neue Partner zu retten. Auf dem Landwirtsc­haftlichen Unternehme­rtag in Oldenburg erklärte Rukwied, er könne sich eine Zusammenar­beit mit dem von Bundesland­wirtschaft­sminister Christian Schmidt (CSU) geplanten »Tierwohl-Label« vorstellen, das Anfang 2017 präsentier­t werden soll. Die Bedingung: Die »Initiative Tierwohl« müsse mehr Geld erhalten. Auch mittels Fördermitg­liedschaft­en wolle man mehr finanziell­e Mittel einspielen.

Rukwied sieht bisher keinen Grund für Zweifel am Erfolg. Noch am Donnerstag sagte er, mit der »Initiative Tierwohl« sei ein »historisch­er Fortschrit­t« gelungen. Ein Fortschrit­t, dem die Tierschütz­er abhanden gekommen sind.

Newspapers in German

Newspapers from Germany