Tierwohl ohne Tierschutz
»Pro Vieh« verlässt das Werbeprojekt der deutschen Agrarwirtschaft
Es sollte das Prestigeprojekt werden, um das Vertrauen der Verbraucher in die durch Skandale erschütterte Fleischwirtschaft zurückzugewinnen. Doch seit Montag dürfte klar sein: Nach nur zwei Jahren bleibt von der »Initiative Tierwohl« nicht viel übrig, die von der deutschen Agrarlobby selbst gegründet wurde. Am Montag erklärte »Pro Vieh« als letzte verbliebene Tierschutzorganisation ihren Rückzug. »Vom ursprünglich erarbeiteten Tierwohlkonzept blieb nach Gründung der Gesellschaft zur Förderung des Tierwohls in der Nutztierhaltung für ›Pro Vieh‹ am Ende zu wenig Tierschutz übrig«, begründete der Verein seine Entscheidung.
Den endgültigen Ausschlag gaben letztlich eine Reihe von Enthüllungen über die miserablen Haltungsbedingungen in Ställen, die auch durch die Initiative zertifiziert werden. Kern des Projekts ist aber die Idee, genau solche Skandale zu verhindern. Dafür erhalten die etwa 3200 teilnehmenden Landwirte Geld, um dieses in Maßnahmen für mehr Tierschutz zu investieren. Die Finanzierung von aktuell 85 Millionen Euro jährlich übernehmen große Einzelhändler wie Aldi, Rewe und Real, die die Mehrkosten wiederum mit je vier Cent pro Kilo verkauften Fleischs veranschlagen. Doch die anfängliche Euphorie von »Pro Vieh« schlug rasch in Ernüchterung um. Inzwischen sei den Tierschützern klar, dass es nur darum gehe, »vielen Betrieben möglichst billig Tierwohl« zu bescheinigen. Viele Millionen würden für »Alibi-Tierwohl« verschwendet, beklagt Vorstandsmitglied Udo Hansen.
Als Beispiel nannten die Tierschützer unter anderen viel zu geringe reale Verbesserungen. So stehe jedem Mastschwein dank der »Initiative Tierwohl « lediglich zusätzlicher Platz in der Größe eines A4-Blattes zur Verfügung, das versprochene zusätzliche »organische Beschäftigungsmaterial« erschöpfe sich in aller Regel in einer einfachen Holzlatte. Inzwischen sei klar geworden, dass mit freiwilligen Verpflichtungen der Branche nichts zu bewegen sei.
Der Abgang von »Pro Vieh« liest sich weitestgehend ähnlich wie die Begründung des »Deutschen Tierschutzbundes«, der bereits im September seinen Austritt verkündet hatte. Auch da hieß es, die »Initiative Tierwohl« setze bei der Produktion von Fleisch einfach weiter auf Quantität. Foodwatch nannte das Projekt einen »schlechten PRGag«, der die Lebensbedingungen nicht bedeutend verbessere.
Trotz dieser vernichtenden Kritik und dem Rückzug aller Tierschutzorganisationen halten die verbliebenen Lobbyverbände an ihrem Projekt fest. Noch am Freitag hatte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, Ausschau nach Möglichkeiten gehalten, die » Initiative Tierwohl« durch neue Partner zu retten. Auf dem Landwirtschaftlichen Unternehmertag in Oldenburg erklärte Rukwied, er könne sich eine Zusammenarbeit mit dem von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) geplanten »Tierwohl-Label« vorstellen, das Anfang 2017 präsentiert werden soll. Die Bedingung: Die »Initiative Tierwohl« müsse mehr Geld erhalten. Auch mittels Fördermitgliedschaften wolle man mehr finanzielle Mittel einspielen.
Rukwied sieht bisher keinen Grund für Zweifel am Erfolg. Noch am Donnerstag sagte er, mit der »Initiative Tierwohl« sei ein »historischer Fortschritt« gelungen. Ein Fortschritt, dem die Tierschützer abhanden gekommen sind.