Aufforderung zum Aufklären
Thüringens Ministerpräsident beklagt Vorverurteilung bei Flüchtlingssuizid
Die Empörung war groß. Schaulustige sollen angeblich einen Flüchtling zum Sprung aus dem Fenster ermutigt haben. Die Polizei sieht dafür keine Anzeichen.
Schmölln. Nach dem Suizid eines jugendlichen Flüchtlings in Schmölln kritisiert der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) eine reflexhafte Verurteilung Ostdeutschlands. Das sei »bitter«, denn die Flüchtlingsarbeit in Thüringen sei sehr vorbildlich, sagte Ramelow im Deutschlandfunk: »Fremdenfeindlichkeit ist kein ostdeutsches Problem, sondern ein weit in Europa verbreitetes Problem.« Derweil zeigten sich Kirchenvertreter am Montag betroffen von dem Suizid. Die Christen im ostthüringischen Schmölln wollten nun ein Zeichen der Mitmenschlichkeit setzen und eine Gedenkandacht oder ein Friedensgebet abhalten, erklärte der evangelische Diakon Christoph Schmidt.
Keine Belege für Anstachelung Nach weiteren Ermittlungen geht die Polizei nicht davon aus, dass Augenzeugen den jungen Somali zu der Tat aufforderten. »Nach jetzigem Kenntnisstand ist das nicht der Fall«, sagte ein Sprecher der Landespolizeidirektion am Montag. Zuvor hatte bereits Ministerpräsident Ramelow angezweifelt, dass sich das Geschehen so wie beschrieben zugetragen habe. Noch am Wochenende hatte es entsprechende Medienberichte gegeben.
Der wahrscheinlich noch minderjährige Flüchtling war am Freitag vom Fensterbrett seiner Wohnung im fünften Stock eines Plattenbaus gesprungen und an seinen Verletzungen gestorben. Schaulustige sollen ihn mit Rufen wie »Spring doch« zu der Tat aufgefordert haben. Die angeblichen Aufforderungen hatten bundesweit für Entsetzen gesorgt. Aussagen von Schmöllns Bürgermeister Sven Schrade (SPD) hatten darauf hingedeutet. Die Polizei prüft nun auch, ob sie wegen Hasskommentaren im Internet Strafverfahren einleiten wird.
Die vermeintlichen Äußerungen seien sehr schnell »kolportiert« worden, sagte der Polizeisprecher. »Diejenigen, die das am Anfang gesagt haben, konnten das in der Zeugenbefragung nicht mehr deutlich verifizieren.« Eine Mitarbeiterin der Einrichtung, die minderjährige Flüchtlinge betreut, will entsprechende Rufe gehört haben. Bei einer Befragung durch die Polizei bestätigten sich zumindest Worte wie »Spring doch« nicht.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) erklärte im Deutschlandfunk, das Geschehen habe möglicherweise eine andere Entwicklung gehabt. Ein Nachbar, der den Flüchtling nach eigenen Angaben zum Sprung aufforderte, habe das jedoch bezogen auf den Sprung in das von der Feuerwehr aufgespannte Sprungtuch getan, sagte Ramelow. »Am Ende bleibt es bei einem schlimmen Todesfall eines jungen Menschen, der seine Verzweiflung nicht aushalten konnte.«
Ermittlungen zum Hergang Der Thüringer Flüchtlingsrat verlangte am Montag die lückenlose Aufklärung des Geschehens. Das tragische Ereignis werfe viele Fragen zum Krisenmanagement auf. Was habe dazu geführt, dass trotz des Einsatzes von Psychiatrie, Jugendhilfe, Polizei und Rettungsdienst der Suizid nicht verhindert werden hätte können, heißt es in einer Erklärung. Der Flüchtling war wegen psychischer Probleme in Behandlung und wurde erst kurz vor dem Vorfall aus einer Fachklinik entlassen.
Nach Angaben des Thüringer Bildungsministeriums werden minderjährige unbegleitete Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Thüringen von Fachleuten medizinisch und psychologisch untersucht, um etwa ein psychisches Trauma zu diagnostizieren. Für traumatisierte Jugendliche stünden therapeutische Angebote zur Verfügung.
Nach Angaben einer Sprecherin des Landkreises Altenburger Land, zu dem Schmölln gehört, versuchen die Behörden nun Kontakt zur Familie des Jugendlichen herzustellen. Dabei gehe es auch um die Frage, wo der er beigesetzt werde.