Wenn Meinung Wissen vorauseilt
Schmölln? Was ist das? So hätten noch vor wenigen Tage viele von denen gefragt, die nun ganz genau Bescheid wissen über dieses Rassistennest im Thüringischen. Am Freitag hatte sich dort aus dem fünften Stock eines Plattenbaus (sic!) ein 15-jähriger Somalier in den Tod stürzte. Schaulustige sollen den Suizid gefilmt und den Flüchtling zum Springen aufgefordert haben. So las man es in vielen Blättern, auch im »nd«.
Journalisten beurteilen Dinge oft falsch, wenn sie zu große Nähe zulassen. Was nicht bedeutet, dass man mit wachsender Entfernung Geschehnisse besser beurteilen kann. Noch wird von der Polizei untersucht, ob jemand wirklich »Spring doch!« oder Ähnliches gerufen hat. Und wenn ja, warum?
Schmölln insgesamt scheint medial aber mit dem falschen Stempel markiert worden zu sein. Typisch ostdeutsch! Rostock, Hoyerswerda, Bautzen ... Rassismus pur – und so grundfalsch wie Reaktionen, die auf Hass in Mölln oder Solingen verweisen. Das ist ungerecht gegenüber jenen, die – hier wie dort – Mitmenschlichkeit leben.
Zugleich schreckt allzu grobe Draufsicht jene ab, die ihr Menschsein (noch) nicht öffentlich bekennen. Gewiss, die Masse ist gegen Pe- gida und Konsorten. Gewiss, man muss diese Masse wecken, auf dass sie sich rührt. Doch ganz gewiss gelingt das nicht, indem man sie mit rechtem Bodensatz verrührt.
Wir leben in einem Land, in dem inzwischen jede Art von Niedertracht für möglich gehalten werden muss. Wer sich zudem die zahlreichen widerlich-höhnischen Reaktionen auf den Freitod des jungen Mannes im virtuellen Raum anschaut, dem läuft nicht von ungefähr die Galle über. Umso mehr muss man sich mit all jenen verbünden, die von der Reaktion zur Aktion gefunden haben. Gedacht mit den Möglichkeiten der Medien heißt das auch, über jene zu berichten, die Notwendiges und damit oft viel Gutes tun. In Schmölln, im Landkreis Altenburger Land und darüber hinaus.
Bodo Ramelow, der Ministerpräsident von Thüringen, hat in seinen wöchentlichen Kabinettsrunden Integration als ständigen Tagesordnungspunkt gesetzt. Nicht nur, weil sich das für einen Linken so gehört. Thüringen, das in den Nachwendejahrzehnten mangels Perspektiven vor allem junge engagierte Menschen ziehen lassen musste, hat urplötzlich eine neue Chance auf Zukunft.
Auch deshalb lobt Ramelow oft Helmut Peter, den Geschäftsführer der gleichnamigen Autohaus- Gruppe, als Zukunftsgestalter. Peter hatte – als der Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Kanzleramtsminister Peter Altmaier, mal wieder pauschal die Industrie abbürstete, weil die keine Flüchtlinge ausbilde – öffentlich widersprochen: »Geben Sie mir 20 und ich bilde sie aus!«
Im thüringischen Nordhausen werden nun 16 Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien und Irak zum Kfz-Mechatroniker ausgebildet. Um das zu sichern, hat sich der Lehrherr nicht nur einmal mit Behörden angelegt und eifrigen Abschiebern mit dem Rechtsanwalt gedroht.
Der jedoch hilft nicht, wenn man junge Flüchtlinge überzeugen will, eine Ausbildung zu beginnen. Die dauert bei Peter wie anderenorts dreieinhalb Jahre. Deutschkenntnisse vorausgesetzt. Der Verdienst als Azubi ist nicht üppig, die Anforderungen an Lernbereitschaft und Disziplin sind dagegen hoch. Viele Flüchtlinge wünschen sich dagegen einen rascheren Weg und ein besseres Auskommen, auch weil sie ihre Familien in der Heimat unterstützen wollen.
Sicher, der Suizid des jungen Somalier ist – zumal uns die Motive gänzlich unbekannt sind – geeignet für schnelle Schlagzeilen. Schwer darstellbar dagegen ist die Mühe alltäglicher Integrationsarbeit. Die Zehntausenden, die sie leisten, wollen und brauchen keine Schlagzeilen. Nur ein wenig mehr Achtung täte bisweilen gut. Also: Danke!