Chance in Aleppo vertan
Kampfgruppen im Osten der Stadt hielten sich nicht an die Waffenruhe
Eine von Syrien und Russland ausgerufenen mehrtägige Waffenpause in und um Aleppo ist gescheitert. Auch am Montag wurde wieder gekämpft. Fünf Tage lang hatten die russische und die syrische Luftwaffe ihre Angriffe auf den Osten von Aleppo und das Umland eingestellt. Ziel der einseitigen Maßnahme war es, Zivilisten, Kranke und Verletzte aus der Kampfzone zu evakuieren. In Abstimmung mit den Vereinten Nationen und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz standen Rettungswagen und Busse bereit, um die Evakuierten abzutransportieren. Notunterkünfte waren ebenso vorbereitet wie Essen und medizinische Versorgung. Aufständischen, die abziehen wollten, war freies Geleit in die benachbarte Provinz Idlib garantiert worden. Aufständische, die ihre Waffen abgeben wollten, sollten in ein Amnestieprogramm eingegliedert werden.
Würden sich Kämpfer der NusraFront (inzwischen Front zur Eroberung von Syrien), von Ahrar al-Sham und anderer Al-Qaida-naher Gruppen zum Abzug bereit erklären, wollte der UN-Sondervermittler Staffan De Mistura persönlich für deren Sicherheit garantieren. Deren Rückzug aus OstAleppo und damit ihre Trennung von den »moderaten Rebellen« war das eigentliche Ziel der Maßnahme. Wäre es gelungen, hätte ein Waffenstillstand mit den verbliebenen Gruppen vereinbart werden können, und die Zivilisten hätten nicht aus dem Osten von Aleppo evakuiert werden müssen.
Vorbereitet worden war die Waffenpause von lokalen, syrischen Versöhnungskomitees und internationalen Vermittlern, die mit oppositionellen Vertretern im Osten von Aleppo verhandelt hatten. Auf diese Weise konnten in Syrien bereits 840 lokale Waffenstillstände vereinbart werden, teilte das »Russische Zentrum für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien« mit. Mehr als 10 000 syrische Kämpfer haben nach Angaben des Ministeriums für nationale Versöhnung in Damaskus bereits ihre Waffen niedergelegt.
Parallel zu den lokalen Gesprächen fanden Verhandlungen mit den Sponsoren der Kampfgruppen in der Türkei, in Saudi-Arabien, Katar und Kuwait sowie auf europäischer Ebene und mit den USA statt. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier empfing kurz hintereinander die Außenminister von Kuwait und Katar in Berlin. Der saudische Außenminister Adel al-Jubair hatte allerdings schon zuvor deutlich gemacht, dass sein Land bereits dabei sei, die Kampfgruppen in Syrien (»moderate bewaffnete Opposition«) weiter aufzurüsten.
Sprecher der Nusra-Front und ihrer Verbündeten hatten allerdings von Anfang an deutlich gemacht, dass sie die Waffenpause ablehnten. Schon Tage vor Beginn der Waffenpause berichteten Aktivisten aus den Versöhnungskomitees, dass die Kämpfer die Stadtviertel in Ost-Aleppo militärisch abgeriegelt hätten. Offenbar sollte die Zivilbevölkerung gehindert werden, die gekennzeichneten Korridore zu erreichen. Vier Mitglieder der lokalen Verwaltung in Ost-Aleppo wurden erschossen, als sie bei einer Versammlung in Al-Sakhour die Evakuierung der Zivilisten besprachen, berichtete die libanesische Tageszeitung »As Safir«. Ze-Alnourayn, eine kleine bewaffnete Gruppe, lieferte sich Berichten zufolge Gefechte mit der Nusra-Front und Ahrar al-Sham.
Letztgenannte hatten demnach Demonstrationen von Zivilisten in Bustan al-Kasr und Al Fardous angegriffen, auf denen das Recht gefordert worden war, evakuiert zu werden. Die Nationale Koalition (Etilaf) wiederum veröffentlichte Fotos und Berichte von Protesten in Ost-Aleppo, die sich »gegen die von Russland geplante »Evakuierung« aussprachen. »Die Demonstranten forderten den Sturz des Assad-Regimes und die Vertreibung der russischen und iranischen Invasoren«, hieß es in einer Erklärung aus Istanbul.
Korrespondenten u.a. des britischen Senders ITV berichteten, dass während der fünftägigen Waffenpause keine Luftangriffe geflogen wurden. Die Kampfgruppen aus dem Osten Aleppos hätten hingegen permanent den Westen der Stadt und besonders die humanitären Korridore beschossen. Nach dem offiziellen Ende der Waffenruhe haben die Kampfgruppen nun eine neue Großoffensive auf Aleppo angekündigt. Riad Seif, Mitglied im Politischen Komitee der Nationalen Koalition, machte Russland für die Lage in der Stadt und das Scheitern aller Waffenruhen bisher verantwortlich. Moskau unterstütze die Politik des »Assad-Regimes«, das im Rahmen einer »Kampagne der Massenvertreibung« die Bevölkerung zwingen wolle, Aleppo zu verlassen. Russland hat am Montag eine erneute Waffenruhe für Aleppo vorerst ausgeschlossen. Weil sich Rebellengruppen nicht an die dreitägige Feuerpause gehalten hätten, sei die Frage nach einer Neuauflage derzeit nicht relevant, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow.