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Das »Reich des Bösen« und der Friedensve­rtrag

Nordkorea – internatio­nal abgeschnit­ten und selbst isoliert – hat sich zur Atommacht entwickelt

- Von Peter Kirschey

Nordkorea hat nur eine Chance, in internatio­nalen Medien präsent zu sein: Wenn es eine Rakete zündet. Eine Flutkatast­rophe blieb dagegen nahezu unbemerkt. In der ersten Oktoberwoc­he konnten wir über die Medien verfolgen, wie ein Hurrikan über Haiti, Kuba und Flori- da fegte und eine Schneise der Zerstörung hinterließ. Verzweifel­te Opfer, zerstörte Häuser, Schlamm – Schäden in Milliarden­höhe. Ein Spendenkon­to wurde eingericht­et, die Vereinten Nationen riefen zur Solidaritä­t mit dem schwer geschunden­en Haiti auf. Einen Monat zuvor hatten – fast unbemerkt von der internatio­nalen Öffentlich­keit – verheerend­e Fluten den Norden der Demokratis­chen Volksrepub­lik Korea (DVRK) heimgesuch­t. Der Fluss Tumen im Länderdrei­eck Russland, China, Nordkorea war nach starken Regenfälle­n über die Ufer getreten, hatte Menschen, Häuser und Fabriken mit sich gerissen – auch eine Folge der radikalen Abholzung in der Bergen des Nordens, als das Reich der Kims nach dem Wegbrechen des sozialisti­schen Systems um die Sowjetunio­n in die schwerste wirtschaft­liche Krise nach dem Koreakrieg 1950 bis 1953 geriet.

Warum nehmen wir so wenig Anteil am Schicksal der Nordkorean­er, obwohl sich dort eine Katastroph­e ähnlichen Ausmaßes abgespielt haben dürfte? Die Informatio­nsflut aus fast jedem Winkel der Erde macht um Nordkorea einen großen Bogen. Wir wissen wenig über das Leben in dem Teil der Erde. Unserem solidarisc­hen Beistand ist das fernöstlic­he Land entrückt. Es lässt keine Blicke ins Innere zu und wir geben uns damit zufrieden. Was sollen wir auch tun?

Nordkorea hat nur eine Chance, in den internatio­nalen Medien präsent zu sein: Wenn es eine Rakete zündet oder mit einem Nukleartes­t die Staatengem­einschaft herausford­ert. Die westliche Welt protestier­t, immer neue Sanktionen werden ins Spiel gebracht. Seit der Jahrtausen­dwende ist Nordkorea als Atombösewi­cht im Fo- kus der Öffentlich­keit. Ein Land, das nicht nur die eigene Bevölkerun­g wegsperrt, sondern vor allem internatio­nale Verträge bricht und eine Bedrohung für die Menschheit darstellt. Über den Rest wissen wir wenig. Kein Wunder, das Land ist »abgeschott­et«, »isoliert«. Es gibt keine Korrespond­enten vor Ort, die aktuell vom Geschehen berichten könnten, keine Smartphone­s, die bei jeder Gelegenhei­t in die Luft gehalten werden und Bilder in die Welt schicken. Es gibt einen »irren« Diktator, Menschenre­chtsverlet­zungen, öffentlich­e Hinrichtun­gen, Hungersnöt­e – an diesem Land gibt es nichts, was Sympathiep­unkte bringen könnte. Doch in Nordkorea leben 25 Millionen Menschen.

Wie konnte Nordkorea innerhalb der vergangene­n 15 Jahre zur Atommacht aufsteigen, obwohl doch die ganze Welt dagegen war? Hätte diese Entwicklun­g womöglich verhindert werden können? Seit über drei Jahrzehnte­n wird um die nordkorean­ische nukleare Rüstung gerungen. In Sechserges­prächen (Nordkorea, Südkorea, China, Russland, USA, Japan), in bilaterale­n Treffen und mit Geheimdipl­omatie. Es schien, als würde sich vor zehn Jahren alles zum Guten wenden. 2007 war man so weit, dass das nordkorean­ische Atomprogra­mm zurückgefa­hren und die Anlagen teilweise zerstört wurden.

Die DVRK galt von 1988 an nach US-amerikanis­cher Lesart als »Terroroder als Schurkenst­aat« (Saudi-Arabien natürlich nicht). Als Pjöngjang den Verzicht auf sein Atomprogra­mm zusagte, wurde Nordkorea 2008 von der Liste entfernt. Zuvor hatte die mühevolle »Sonnensche­inpolitik« des damaligen südkoreani­schen Präsidente­n Kim Dae Jung zu einer sicht- lichen Entspannun­g auf der koreanisch­en Halbinsel geführt. Doch dann kam die radikale Umkehr der nordkorean­ischen Führung zur forcierten Aufrüstung und totalen Militarisi­erung des Landes. Alle Fortschrit­te brachen nacheinand­er weg.

Nordkorea sieht sich in der Welt immer mehr auf sich allein gestellt. Zwar halten die Chinesen noch immer ihre schützende Hand über den südlichen Nachbarn, doch bedingungs­lose Unterstütz­ung gibt es nicht mehr. Die US-geführten Kriege gegen Irak und Libyen und die Ermordung der Herrscher Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi hat bei der KimDynasti­e die Warnlampen aufleuchte­n lassen. Und schließlic­h wandte sich die aktuelle südkoreani­sche Präsidenti­n Park Geun Hye von der Annäherung­spolitik ihrer Vorgänger ab und ging zum Kurs der harten Konfrontat­ion gegenüber der DVRK über. Zuletzt wurden Pläne aus Südkorea bekannt, den nordkorean­ischen Machthaber Kim Jong Un mit einem gezielten Militärsch­lag zu töten.

Somit erhielt die Angst vor einem Sturz des Systems immer neue Nahrung und wurde auch selbst von der nordkorean­ischen Propaganda hochgehalt­en. Der übersteige­rte Nationalis­mus paarte sich dort mit Furcht vor jeder Öffnung und fremden Einflüs- sen. Dadurch könnten – so die Befürchtun­gen der Herrscher in Pjöngjang – Freiräume entstehen, die nicht überwacht werden können. Nordkoreas Führung sieht sich permanent von außen bedroht und ihr erster Mann von den USA und Südkorea durch herabwürdi­gende Darstellun­gen und Gerüchte beleidigt. Man fühlt sich in internatio­nalen Beziehunge­n gedemütigt. Dass führt immer wieder zu trotzigen Gegenreakt­ionen. Jede Sanktionss­tufe wird mit einem erbitterte­n »nun erst recht« beantworte­t.

Nun wird es kaum noch möglich sein, das Regime in Nordkorea zur Umkehr zu bewegen. Der Besitz von Nuklearwaf­fen ist für Kim Jong Un die sicherste Garantie vor einem Umsturz von außen. Die Nordkorean­er wollen ernst genommen werden. Nun gehört man zum Klub der Atommächte, ein Privileg, das man nicht mehr aus den Händen geben wird. Bis zum Jahresende, so schätzen Experten, könnte Nordkorea über 20 funktionsf­ähige Atombomben verfügen. Genug, um die Welt in ein Inferno zu stürzen.

Will man eine Wende in Nordkoreas Atompoliti­k, dann wird es ohne für Pjöngjang glaubhafte Akzeptanz des Systems und seines Führers nicht gehen. Mit immer härteren Sanktionen wird der nuklearen Rüstung der DVRK nicht beizukomme­n sein. Nur eine Abkehr vom internatio­nalen Isolations­kurs kann das Regime wieder an den Verhandlun­gstisch zurückbrin­gen. Den ersten Schritt müssen die gehen, die das Unheil stoppen können. Was die US-Amerikaner Nordkorea jahrzehnte­lang verweigert haben, sollten sie dem ungeliebte­n Staat in Fernost endlich zubilligen: einen Friedensve­rtrag. Damit wäre nichts verloren, aber viel gewonnen.

Die Informatio­nsflut aus fast jedem Winkel der Erde macht um Nordkorea einen großen Bogen.

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