Das »Reich des Bösen« und der Friedensvertrag
Nordkorea – international abgeschnitten und selbst isoliert – hat sich zur Atommacht entwickelt
Nordkorea hat nur eine Chance, in internationalen Medien präsent zu sein: Wenn es eine Rakete zündet. Eine Flutkatastrophe blieb dagegen nahezu unbemerkt. In der ersten Oktoberwoche konnten wir über die Medien verfolgen, wie ein Hurrikan über Haiti, Kuba und Flori- da fegte und eine Schneise der Zerstörung hinterließ. Verzweifelte Opfer, zerstörte Häuser, Schlamm – Schäden in Milliardenhöhe. Ein Spendenkonto wurde eingerichtet, die Vereinten Nationen riefen zur Solidarität mit dem schwer geschundenen Haiti auf. Einen Monat zuvor hatten – fast unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit – verheerende Fluten den Norden der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) heimgesucht. Der Fluss Tumen im Länderdreieck Russland, China, Nordkorea war nach starken Regenfällen über die Ufer getreten, hatte Menschen, Häuser und Fabriken mit sich gerissen – auch eine Folge der radikalen Abholzung in der Bergen des Nordens, als das Reich der Kims nach dem Wegbrechen des sozialistischen Systems um die Sowjetunion in die schwerste wirtschaftliche Krise nach dem Koreakrieg 1950 bis 1953 geriet.
Warum nehmen wir so wenig Anteil am Schicksal der Nordkoreaner, obwohl sich dort eine Katastrophe ähnlichen Ausmaßes abgespielt haben dürfte? Die Informationsflut aus fast jedem Winkel der Erde macht um Nordkorea einen großen Bogen. Wir wissen wenig über das Leben in dem Teil der Erde. Unserem solidarischen Beistand ist das fernöstliche Land entrückt. Es lässt keine Blicke ins Innere zu und wir geben uns damit zufrieden. Was sollen wir auch tun?
Nordkorea hat nur eine Chance, in den internationalen Medien präsent zu sein: Wenn es eine Rakete zündet oder mit einem Nukleartest die Staatengemeinschaft herausfordert. Die westliche Welt protestiert, immer neue Sanktionen werden ins Spiel gebracht. Seit der Jahrtausendwende ist Nordkorea als Atombösewicht im Fo- kus der Öffentlichkeit. Ein Land, das nicht nur die eigene Bevölkerung wegsperrt, sondern vor allem internationale Verträge bricht und eine Bedrohung für die Menschheit darstellt. Über den Rest wissen wir wenig. Kein Wunder, das Land ist »abgeschottet«, »isoliert«. Es gibt keine Korrespondenten vor Ort, die aktuell vom Geschehen berichten könnten, keine Smartphones, die bei jeder Gelegenheit in die Luft gehalten werden und Bilder in die Welt schicken. Es gibt einen »irren« Diktator, Menschenrechtsverletzungen, öffentliche Hinrichtungen, Hungersnöte – an diesem Land gibt es nichts, was Sympathiepunkte bringen könnte. Doch in Nordkorea leben 25 Millionen Menschen.
Wie konnte Nordkorea innerhalb der vergangenen 15 Jahre zur Atommacht aufsteigen, obwohl doch die ganze Welt dagegen war? Hätte diese Entwicklung womöglich verhindert werden können? Seit über drei Jahrzehnten wird um die nordkoreanische nukleare Rüstung gerungen. In Sechsergesprächen (Nordkorea, Südkorea, China, Russland, USA, Japan), in bilateralen Treffen und mit Geheimdiplomatie. Es schien, als würde sich vor zehn Jahren alles zum Guten wenden. 2007 war man so weit, dass das nordkoreanische Atomprogramm zurückgefahren und die Anlagen teilweise zerstört wurden.
Die DVRK galt von 1988 an nach US-amerikanischer Lesart als »Terroroder als Schurkenstaat« (Saudi-Arabien natürlich nicht). Als Pjöngjang den Verzicht auf sein Atomprogramm zusagte, wurde Nordkorea 2008 von der Liste entfernt. Zuvor hatte die mühevolle »Sonnenscheinpolitik« des damaligen südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung zu einer sicht- lichen Entspannung auf der koreanischen Halbinsel geführt. Doch dann kam die radikale Umkehr der nordkoreanischen Führung zur forcierten Aufrüstung und totalen Militarisierung des Landes. Alle Fortschritte brachen nacheinander weg.
Nordkorea sieht sich in der Welt immer mehr auf sich allein gestellt. Zwar halten die Chinesen noch immer ihre schützende Hand über den südlichen Nachbarn, doch bedingungslose Unterstützung gibt es nicht mehr. Die US-geführten Kriege gegen Irak und Libyen und die Ermordung der Herrscher Saddam Hussein und Muammar al-Gaddafi hat bei der KimDynastie die Warnlampen aufleuchten lassen. Und schließlich wandte sich die aktuelle südkoreanische Präsidentin Park Geun Hye von der Annäherungspolitik ihrer Vorgänger ab und ging zum Kurs der harten Konfrontation gegenüber der DVRK über. Zuletzt wurden Pläne aus Südkorea bekannt, den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un mit einem gezielten Militärschlag zu töten.
Somit erhielt die Angst vor einem Sturz des Systems immer neue Nahrung und wurde auch selbst von der nordkoreanischen Propaganda hochgehalten. Der übersteigerte Nationalismus paarte sich dort mit Furcht vor jeder Öffnung und fremden Einflüs- sen. Dadurch könnten – so die Befürchtungen der Herrscher in Pjöngjang – Freiräume entstehen, die nicht überwacht werden können. Nordkoreas Führung sieht sich permanent von außen bedroht und ihr erster Mann von den USA und Südkorea durch herabwürdigende Darstellungen und Gerüchte beleidigt. Man fühlt sich in internationalen Beziehungen gedemütigt. Dass führt immer wieder zu trotzigen Gegenreaktionen. Jede Sanktionsstufe wird mit einem erbitterten »nun erst recht« beantwortet.
Nun wird es kaum noch möglich sein, das Regime in Nordkorea zur Umkehr zu bewegen. Der Besitz von Nuklearwaffen ist für Kim Jong Un die sicherste Garantie vor einem Umsturz von außen. Die Nordkoreaner wollen ernst genommen werden. Nun gehört man zum Klub der Atommächte, ein Privileg, das man nicht mehr aus den Händen geben wird. Bis zum Jahresende, so schätzen Experten, könnte Nordkorea über 20 funktionsfähige Atombomben verfügen. Genug, um die Welt in ein Inferno zu stürzen.
Will man eine Wende in Nordkoreas Atompolitik, dann wird es ohne für Pjöngjang glaubhafte Akzeptanz des Systems und seines Führers nicht gehen. Mit immer härteren Sanktionen wird der nuklearen Rüstung der DVRK nicht beizukommen sein. Nur eine Abkehr vom internationalen Isolationskurs kann das Regime wieder an den Verhandlungstisch zurückbringen. Den ersten Schritt müssen die gehen, die das Unheil stoppen können. Was die US-Amerikaner Nordkorea jahrzehntelang verweigert haben, sollten sie dem ungeliebten Staat in Fernost endlich zubilligen: einen Friedensvertrag. Damit wäre nichts verloren, aber viel gewonnen.
Die Informationsflut aus fast jedem Winkel der Erde macht um Nordkorea einen großen Bogen.