Mexikos Regierung will keine linken Lehrer
David Bacon über Widerstand und Repression rund um die Bildungsreform von Präsident Enrique Peña Nieto
In Mexiko gibt es eine große Kontroverse über die Bildungsreform, die von der neoliberalen Regierung unter Enrique Peña Nieto 2013 gestartet wurde. Seit Mitte Mai streikte ein Teil der Lehrer, zum Schuljahresbeginn Ende August blieben viele Klassenzimmer geschlossen. Nun wurde der Streik Mitte September beendet. Mehr als eine Atempause im Konflikt? Nein. Der Konflikt wurde mitnichten beigelegt. Es war eine taktische Entscheidung der Lehrer, wieder zu unterrichten. Zum einen war es kein landesweiter Streik, sondern nur in den vier Bundesstaaten Guerrero, Oaxaca, Chiapas und Michoacán. Dort ist die progressive Lehrervereinigung CNTE (Nationale Koordination der Erziehungsarbeiter) besonders stark. Die CNTE grenzt sich seit 1979 von der offiziellen Lehrergewerkschaft SNTE (Nationale Gewerkschaft der Erziehungsarbeiter) als oppositionelle Strömung ab, ist aber weiter Teil der SNTE. Die SNTE konnte dem Streik nichts abgewinnen. Die Rückkehr in die Klassenräume hat sicher damit zu tun, dass die Lehrer weiter gute Beziehungen zu den Eltern haben wollen, die wünschen, dass ihre Kinder was lernen. Und sicher hat auch die harte Repression des mexikanischen Staates dazu beigetragen, dass die Lehrer ihre Strategie überdacht haben.
Das Oberziel des Streiks war, die Regierung zu Verhandlungen über die Bildungsreform zu zwingen. Steht sie zur Diskussion? Leider nein. Über die grundlegenden Inhalte der Bildungsreform wird überhaupt nicht gesprochen. Und insgesamt hat sich der Konflikt sogar verschärft, seit am 19. Juni elf Demonstranten bei einer Straßenblockade in Nochixtlán im Bundesstaat Oaxaca ums Leben kamen. Mit dem Streik sollte die Regierung auch dazu gebracht werden, ihre Verantwortung anzuerkennen und Rechenschaft abzulegen, was sie bis heute verweigert.
Das erinnert an den Fall von Ayotzinapa, wo zwei Jahre nach dem Verschwinden von 43 Lehramtsstudenten noch keine Aufklärung seitens des Staates betrieben wurde ... In der Tat. Der Streik ging zwar nicht exakt um das Verschwinden der 43 Lehramtsstudenten in Ayotzinapa, aber diese Geschehnisse haben die Lehrer stark aufgebracht und nicht nur die Lehrer, sondern große Teile der Gesellschaft. Ein Teil der Bildungsreform der Regierung zielt auch darauf, Lehrstätten wie diese in Ayotzinapa zu schließen, weil dort sozial engagierte Lehrer ausgebildet werden. Dort ist linkes Denken sehr stark verbreitet. Ein ehemaliger Absolvent ist Lucio Cabañas, der legendäre Guerillaführer der Partei der Armen (PDLP), die ab den 70er Jahren in Guerrero kämpfte. Claudio X. González Guajardo, Unternehmer und Präsident der Organisation »Mexicanos Primeros«, die sich für die Privatisierung des Bildungssystems einsetzt, hat die Studenten von Einrichtungen à la Ayotzinapa als ein Bündel Guerilleros bezeichnet und die Regierung aufgefordert, dass sie dieses Problem lösen soll. Das Bildungsministerium hat das zugesagt. Und die Lehrer der CNTE wehren sich dagegen. Denn an diesen Ausbildungsstätten studieren fast ausnahmslos Männer aus armen, ländlichen Familien, die später auf dem Land unterrichten sollen. Diese Lehranstalten sind eine der wenigen offenen Türen für Kinder armer Familien zum Studieren. Diese Absolventen sind meist sehr gesellschaftskritisch, was der Regierung und der Wirtschaft nicht behagt. Die mutmaßlichen Morde von Ayotzinapa sind bisher nicht aufgeklärt worden, wie steht es um Nochixtlán? In Sachen Nochixtlán gibt es keine Bewegung seitens der mexikanischen Regierung, den Ereignissen auf den Grund zu gehen. Wie sollte es? Es war ja die mexikanische Regierung selbst, die den Auftrag zur Auflösung der Blockade gab.
Es gab mehrere Dialoge zwischen der Regierung und der CNTE. Außer ein paar Konzessionen in Bezug auf die Lehrerevaluation ist dabei nicht herausgekommen, oder? Nein. Die Regierung hat auch nicht zugestimmt, die Evaluierung grundsätzlich infrage zu stellen. Was passiert ist, dass bei der Umsetzung des Evaluierungsprozesses sich Tausende Lehrer geweigert haben, sich den Test zu unterziehen. Sie wurden entlassen – rund 4000. In den Verhandlungen seit Nochixtlán hat die Regierung zugestanden, sie wieder einzustellen. Aber am Evaluierungsprozess hält sie fest. Sie ist bereit, mit den Lehrern über viele Dinge zu reden, aber nicht über die Bildungsreform an sich.
Wer steht hinter den rebellierenden Lehrern in der politischen Landschaft Mexikos? Vorab: Die SNTE ist die größte Gewerkschaft Lateinamerikas und wurde seit den 40er Jahren kooperativ mit anderen Gewerkschaften in die bis 2000 währende Alleinherrschaft der Partei der Institutionellen Revolution (PRI) eingebunden, die 2012 mit Enrique Peña Nieto die Regierung zurückerobert hat. Mit der kooperativen Strategie wurde zeitweise durchaus auch die Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiter erreicht, bis in den 80er Jahren die neoliberale Wende eingeleitet wurde. Die CNTE hat sich dem von Anfang an widersetzt. Ihre Gründung in den 70er Jahren ist als eine Reaktion auf das Massaker an 200 bis 300 friedlich demonstrierenden Studenten im Stadtteil Tlatelolco von Mexiko-Stadt 1968 zu verstehen. Die CNTE ist seit ihren Ursprüngen stark angewachsen und spielt im Allgemeinen eine sehr große Rolle innerhalb der mexikanischen Linken. Als zum Beispiel die linke Partei der demokratischen Re- volution (PRD) von Andrés Manuel López Obrador 2000 die Regierungsgeschäfte im Bundesdistrikt Mexiko-Stadt übernahm, wurden viele Lehrer in die Verwaltung geholt. CNTE-Mitglieder finden sich in vielen linken Bereichen. Zum Beispiel Luis Hernández Navarro, der als Journalist und Leitartikler der renommierten linken Tageszeitung »La Jornada« arbeitet. Wegen dieses Einflusses möchten die Regierung und die großen Unternehmen gerne die CNTE zerschlagen, die SNTE soll unbehelligt bleiben, sie ist ja ein »guter« Verbündeter. Den Streik zu brechen, war für die Regierung sehr wichtig, um einen gewichtigen Gegner der Reformpolitik ob Bildungsoder Arbeitsreform, in die Schranken zu verweisen. Man darf nicht vergessen, dass viele Lehrer in den ländlichen Gebieten eine führende Rolle in den Gemeinden spielen und die Leute mobilisieren können, was der Regierung ein Dorn im Auge ist. Ist die CNTE weg, ist der Weg für die Reformen der Regierung frei.
Wie Sie erwähnt haben, hat Mexikos Regierung ein umfassendes neoliberales Reformprogramm auf der Agenda. Sehen Sie rund um die CNTE Widerstand, der das stoppen kann? In vielen Teilen Lateinamerikas hat sich der Wind ja politisch nach rechts gedreht. Die Auseinandersetzung über Mexikos Ausrichtung läuft seit langer Zeit. Der erste neoliberale Vorstoß reicht in die Mitte der 80er Jahre zurück. Dann kam eine Verfassungsreform Anfang der 90er noch bevor 1994 das Freihandelsabkommen NAFTA mit den USA und Kanada in Kraft trat. All das war umkämpft, aber die Neoliberalen setzten sich durch.
Die USA macht Druck auf neoliberale Reformen in Mexiko, auch in Sachen Bildungsreform. Die Konzepte dafür kommen aus den USA, die Standardisierung der Bildung ohne Berücksichtigung lokaler Besonderheiten, politische und radikale Inhalte aus dem Unterrichtsstoff zu entfernen und so weiter, wie es in Mexiko geplant ist. Solche Konzepte werden zum Beispiel von der Gates-Stiftung im Interamerikanischen Dialog verbreitet. Druck auf neoliberale Bildungsreformen gibt es so nicht nur in Mexiko, sondern in ganz Lateinamerika. Mexiko ist nur eine Arena, in der dieser Kampf ausgefochten wird. Die CNTE steht somit nicht nur gegen die eigene Regierung und den Business-Sektor, sondern auch gegen die USA. Deswegen wird es ein langer Kampf. Einen schnellen Durchbruch für die linken Kräfte wird es da nicht geben, zumal die mexikanische Linke selbst sehr zersplittert ist. Und selbst wenn sie organisiert ist und die Präsidentschaftswahlen gewinnt wie Cárdenas 1988 oder AMLO 2006, wird per Wahlbetrug ein Sieg verhindert. 1988 fielen einfach die Wahlcomputer aus ... Es wird noch eine Weile dauern, bis in Mexiko die Linke obsiegt.