Leben in Deutschland, arbeiten in Polen
Das Uckermark-Dörfchen Mescherin ist auf ganz besondere Weise mit dem Nachbarland verbunden – jeder fünfte Bewohner stammt von dort
Vor allem situierte Polen erobern immer mehr Brandenburgs Nordosten. Für Orte wie Mescherin an der Oder ist das ein Segen. Angler werfen ihre Ruten aus, eine Motorjacht steuert in gleißender Herbstsonne den Oder-Kai von Mescherin an, Enten schnattern schwimmend auf dem Fluss: Das Uckermark-Dörfchen im äußersten Nordosten Brandenburgs ist ein idyllisches Fleckchen. Es zählt 400 Einwohner, fast jeder Fünfte Einwohner verfügt über einen polnischen Pass. »Mescherin gilt als größte Polen-Ansiedlung Brandenburgs«, erklärt Marta Szuster in fließendem Deutsch.
Die 36-Jährige lebt mit ihrem Mann Krzysztof seit sechs Jahren in Staffelde, einem Ortsteil von Mescherin. Alle drei Kinder wurden hier geboren. »Wir fühlen uns pudelwohl. Von den deutschen Nachbarn sind wir sofort angenommen worden.«
»Zu Anfang war das schon komisch. Was wollen Leute hier, die nicht unsere Sprache sprechen?«, gibt ihre Nachbarin Sandy Cornelius zu. Das habe sich schnell gelegt, weil sie sich zügig integriert haben. »Marta sitzt heute sogar im Gemeinderat«, hebt Cornelius hervor. 2014 bei den Kommunalwahlen erhielt sie auf Anhieb 23 Prozent der Stimmen.
Der Umzug in die Uckermark ist den Szusters nicht schwer gefallen. »Ich habe als Kind lange in Hamburg gelebt.« Mit 18 ist sie zurück, hat in Stettin ihren Mann kennengelernt und ist nach Gryfino gezogen. »Er hat im Kraftwerk einen guten Job«, sagt sie. Per Zufall entdeckten sie auf der anderen Oderseite in Staffelde einen Hof und kauften ihn gleich. »In Stettin hätte ich für das gleiche Geld gerade mal eine Zwei-Raum-Wohnung bekommen«, sagt Szuster. Über ihre offene Art hat sie schnell Anschluss gefunden, hat sich gut vernetzt.
»Meine Kleine geht in Tantow in die Kita. Dort hat sie viele polnische Kinder als Freunde. So kommen auch wir Eltern schnell in guten Kontakt«, fügt Nachbarin Cornelius an.
»Die Polen waren für Dörfer wie Mescherin die Rettung. Viele Deutsche haben die Region verlassen. Die vielen alten Häuser, die es hier gab, wären alle eingefallen«, sagt der Ortsvorsteher Volker Schmidt-Roy. Heute steht kein einziges Haus mehr leer. »Nur wenn jemand stirbt, ist noch etwas zu haben«, fügt er an.
Weil so viele junge Familien kamen, konnten Kitas und Schulen gehalten werden. »Einige standen vorher vor dem Aus, erklärt SchmidtRoy. Er erinnert sich, dass die ersten Polen Ende 2007 nach dem Beitritt ihres Landes zum Schengen Abkommen gekommen seien als die Grenzkontrollen entfielen.
Rechte Anfeindungen wie vor Jahren im benachbarten Löcknitz, das zu Mecklenburg-Vorpommern gehört, habe es in Mescherin nie gegeben. »Das liegt vielleicht daran, dass wir hier niemanden etwas wegnehmen«, sagt Szuster. »Man muss ehrlich sagen, dass die, die kommen, nicht am unteren Ende der Einkommenskette leben. Die bringen Geld mit, Wissen und vor allem Engagement«, fügt Schmidt-Roy an.
»Wenn es den polnischen Leuten gut geht, hilft uns das auch«, betont er. So haben sich im polnischen Stargard ein Reifen- und ein Kranhersteller niedergelassen. Im nahen Penkun leben etliche Ärzte, die in Stettin oder Schwedt arbeiten.
Schmidt-Roy räumt aber ein, dass es nach wie vor Probleme mit der grenzüberschreitenden Kriminalität gebe. »Die Lage ist als Gewerbetreibender an der offenen Grenze nicht einfach«, sagt Christan Richert, der in Mescherin eine Autowerkstatt betreibt. Er hat wegen der Einbrüche seine Fenster mit Gittern gesichert und eine Videoüberwachungsanlage installiert. Schuld sei aber die Organisierte Kriminalität, an den neuen Nachbarn liege es nicht, sagt er. »Auch sie müssen mit Einbrüchen leben«, ergänzt der Mescheriner Olaf Schön.
Brandenburgs Landeszentrale für politische Bildung findet das neue Mescherin etwas Besonderes ist. Sie hat dem Dörfchen eine eigene Ausstellung in Potsdam gewidmet. Gegenden wie die Uckermark kämpften seit Jahrzehnten mit Bevölkerungsschwund. Nun sorgten gerade polnische Nachbarn für Belebung. »Ich war echt verblüfft, was dort passiert«, sagt dort Martina Schellhorn.