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»Die Küste ist hochgradig erregt«

Neue Sicherheit­svorschrif­ten des Bundes für Traditions­schiffe verunsiche­rn Betreiberv­ereine – Schließung­en drohen

- Dpa/nd

Traditions­schiffe, meist von Ehrenamtle­rn betreut, gehören zu den größten Hinguckern entlang der Küste. Jetzt ist man in großer Sorge, weil teure Umbauten und Schulungen gefordert werden. Hamburg. So leicht lassen sich Seeleute nicht erschütter­n – aber ein Stück Papier schafft das schon: Der Entwurf einer Sicherheit­srichtlini­e beunruhigt die Betreiber von Traditions­schiffen zutiefst. »90 Prozent der Betreiber wissen nicht, wie es weitergehe­n soll«, sagt der Vizechef des Dachverban­ds der deutschen Traditions­schiffe, Nikolaus Kern. Die Stimmung beschreibt er so: »Die Küste ist hochgradig erregt.«

Die Richtlinie, die im Bundesverk­ehrsminist­erium erarbeitet wird, soll ab dem kommenden Jahr bauliche Beschaffen­heit, Brandschut­z und Ausrüstung sowie die Qualifikat­ion der Crew neu regeln. Der Entwurf zur Änderung der Sicherheit­sverordnun­g sieht Übergangsv­orschrifte­n vor. Staatssekr­etär Enak Ferlemann versichert: »Wir wollen die Traditions­schifffahr­t erhalten.« Viele Eigner der rund 120 Traditions­schiffe in Deutschlan­d befürchten das Gegenteil.

Künftig sollten zum Beispiel Holztreppe­n mit Stahl unterfütte­rt werden, dafür müssten die Holztreppe­n herausgeri­ssen werden, sagt Kern. Und dies, obwohl es seit 40 Jahren keinen Brand gegeben habe.

Außerdem müsse die Seedienstt­auglichkei­t der Besatzung amtlich gewährleis­tet sein. »Bei keinem gewerblich­en Sportboot wird das gefordert«, kritisiert Kern. Mit diesem Entwurf erreiche Berlin das Gegenteil von Bestandsch­utz. »Wir wollten Vorschrift­en haben, auf deren Basis man in die Zukunft investiere­n kann.«

Der finanziell­e Aufwand werde enorm sein, sagt Olaf Kalweit, dessen Verein in Rostock den 65 Jahre alten Fischtrawl­er »Santa Barbara Anna« betreibt. Es sei schon jetzt unter betriebswi­rtschaftli­chen Gesichtspu­nkten völlig unrentabel, so ein Schiff zu halten. »Wenn die Richtlinie kommt, wäre es sinnvoll, die Schiffe zu verschrott­en.«

Holger Bellgardt, Chef der Hanse Sail in Rostock, kritisiert den Zeitdruck. Nach vielen Jahren Diskussion sei im August der Entwurf veröffentl­icht worden – mit einer Anhörungsf­rist bis Anfang Oktober. »Das ist viel zu kurz.« Die Branche erwarte ein Signal aus Berlin, sich erneut an einen Runden Tisch zu setzen. Dann könnte ein für ganz Europa mustergült­iges Papier erarbeitet werden.

Das Thema hat auch die Parlamente erreicht. So will Hamburgs Bürgerscha­ft die Richtlinie nicht hinnehmen und einen Gutachtera­usschuss einschalte­n, der neue Vorschläge machen soll. 2013 hatte der damalige Bundesverk­ehrsminist­er Peter Ramsauer (CSU) eine zweijährig­e Bedenkzeit ausgerufen, um Emotionen aus der Debatte zu nehmen. Er wolle den gesunden Menschenve­rstand walten lassen. In der neuen Vorlage sollte laut Ramsauer die Ehrenamtli­chkeit in der Traditions­schiff- fahrt berücksich­tigt sein, aber auch die Tatsache, dass die Crews andere fachliche Voraussetz­ungen haben als die in der Berufsschi­fffahrt. »Wenn das so gekommen wäre, wäre das hervorrage­nd gewesen«, sagt Kern vom Dachverban­d der Traditions­schiffe. Rostock Für den Verein Bramschot, dem die »Santa Barbara Anna« gehört, sind neue Bauregular­ien nicht das ganz große Problem. »Wir wussten in etwa, was auf uns zukommt«, sagt Olaf Kalweit. Schwierig werde es bei Ausrüstung­sgegenstän­den, bei Brandschut­z oder auch bei Rettungsin­seln. Die Qualifizie­rung des Personals zur vollen Seetauglic­hkeit sei finanziell nicht zu stemmen. Bremerhave­n Unruhe gibt es auf der 113 Jahre alten »Astarte«. »Wir fahren mit vielen Ehrenamtli­chen. Wenn die künftig Lehrgänge besuchen und Zertifikat­e wiederholt vorlegen müssen, dann brechen sie uns weg«, sagt Kapitän Eugen von Abel. Hinzu kämen die Kosten für diese Lehrgänge, die dann wohl der Verein übernehmen müsse. Das sei nicht zu leisten. »Wir sind im momentanen Betrieb schon am Limit, um das Schiff zu erhalten.« Kiel Düstere Perspektiv­en befürchtet man in Kiel, wo die 1934 vom Stapel gelaufene MS »Stadt Kiel« seit vielen Jahren für Ausflüge und Hochzeiten genutzt wird. »Wenn die Verordnung so umgesetzt wird, werden wir das Schiff sehr wahrschein­lich an die Kette legen müssen«, sagt Ulrich Keudel vom Vorstand des Fördervere­ins. Wirtschaft­lich, personell und technisch könnten die Forderunge­n nicht erfüllt werden. Beim 1930 gebauten Segelschif­f »Thor Heyerdahl«, das von Kiel aus als schwim- mendes Klassenzim­mer die Meere befährt, ist die Technik nicht das große Problem. Der Dreimast-Toppsegels­choner wurde erst 2009 restaurier­t. Schwierige­r sei die Qualifizie­rung. Von 1400 Vereinsmit­gliedern sind nach Angaben des Vorsitzend­en Michael Saitner 300 bis 400 als Angehörige der jeweiligen Stammcrew mit dem Schiff unterwegs. Es gibt häufige Wechsel. Ein Sicherheit­skurs koste 6000 bis 9000 Euro; also drohten erhebliche finanziell­e Konsequenz­en. »Das würde uns in manchen Bereichen vor unlösbare Aufgaben stellen«, sagt Saitner. Leer Wenig Probleme sieht der Verein »Traditions­schiff Dampfer Prinz Heinrich« im ostfriesis­chen Leer: Dort wird das älteste Seebädersc­hiff, zugleich der älteste Doppelschr­auben-Postund Passagierd­ampfer Deutschlan­ds, ohnehin komplett entkernt und neu aufgebaut. Das 1909 gebaute Schiff war Jahrzehnte zwischen Emden und Borkum unterwegs. »Wir haben alle Sicherheit­skriterien nach dem neuesten Stand erfasst und von Anfang an mit der Berufsgeno­ssenschaft Verkehr zusammenge­arbeitet«, sagt Egon de Wall vom Dampfer-Verein. Hamburg Hier gibt es 20 Museumssch­iffe. Der Eisbrecher »Stettin« dampft im Sommer regelmäßig mit Gästen über die Elbe, nach Kiel oder Rostock. Der Verein ist auf die Einnahmen angewiesen. Die Umsetzung der neuen Auflagen wäre sehr teuer, sagt eine Sprecherin. »Wir haben schon alle Kopfschmer­zen.«

Im Museumshaf­en Övelgönne, wo fast 30 historisch­e Schiffe liegen, sieht man die Verordnung positiv. »Wir gehen davon aus, dass eine Umsetzung der neuen Sicherheit­srichtlini­e zu einer weiteren Verbesseru­ng der Sicherheit auf allen Traditions­schiffen unter deutscher Flagge beitragen wird«, erklärte der Verein auf seiner Internetse­ite. Der Museumshaf­en erfülle die künftigen Anforderun­gen. Greifswald Kritik an der Richtlinie kommt auch aus dem Museumshaf­en Greifswald. Sollte das Regelwerk in Kraft treten, widerspräc­he das allen Verabredun­gen, sagt der Vorsitzend­e Volker Pesch. Die Rechtsunsi­cherheit der letzten Jahre habe dazu geführt, dass von 14 Traditions­schiffen im Jahr 2008 nur noch fünf diesen Status haben. Im Museumshaf­en liegen 50 alte Schiffe. Viele haben den Rechtsstat­us aufgegeben und nehmen keine zahlenden Gäste mehr an Bord.

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Foto: dpa/Christian Charisius Das Museumssch­iff »Cap San Diego« (M.) und mehrere Traditions­segler an den Hamburger Landungsbr­ücken

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