nd.DerTag

Wucht am laufenden Band

»Die Räuber« von Friedrich Schiller am Residenzth­eater München

- Von Hans-Dieter Schütt

Der Zorn? Das ist keine attraktive Sendboteng­röße mehr, und Friedrich Schiller ist kein Revolution­sdichter. Also akuter denn je. Der Zorn torkelt heutzutage wie eine vergessene Sehnsucht durch die politische­n Zustände dieser Welt. Er ist ein sperriges Erinnerung­sstück in den restradika­len Gesinnunge­n, die belehrt zur Ruhe kamen – oder höchstens noch in trotzigen Seminarist­enhirnen spuken. Wo der Zorn noch wirklich auftritt, tritt er als Desperado auf, als Sprengmeis­ter einer verfluchte­n Zunft, die Flugzeuge in Häuser lenkt und Bomben zündet. Es wurde düster und neblig in den Arsenalen des Aufstandes.

Deshalb ist die Bühne eine Finsternis, in ihr vier gigantisch­e schräg gestellte, schwenkbar­e Laufbänder auf zwei Stahlträge­rn. Als hätten Schaufelba­gger der schmutzige­n Geschichte ihre Dienste geliehen: Was durch Aufruhr, durch Revolution zutage gefördert wird, ist am Ende Abraum, ist Erdreich ärmster Art – es füllt leider nur Gräber. Hier sehen wir’s: Immer ist der Mensch, wo er seine kollektive Kraft offenbart, auch der Erbärmlich­ste – im Hecheln und Stampfen auf dem Förderband der Verhältnis­se. Hilflos gegen die aufgezwung­ene Laufrichtu­ng. Denen, die hier gegen die Welt gehen, kommt die Welt entgegen: Sie scheint in jedem herausgesc­hrienen Wort unterzugeh­en. Wie die Gestalten da laufen und laufen und laufen (müssen!), auf und ab, da durchschie­ßen dich die Assoziatio­nen: Mühen der Ebenen, Hauptstraß­e der Weltgeschi­chte, Gipfelstur­m, Abstieg in die Hölle.

Ulrich Rasche hat am Residenzth­eater München Schillers Sturm-undDrang-Werk »Die Räuber« inszeniert. Karl Moor, der feurige Student, fühlt sich von seinem Vater verstoßen, ist Opfer einer Bruderintr­ige, verzehrt sich nach Amalie und wird sie, zy- nisch zerwühlt, am Ende vernichten. Wie sich selber. In Böhmens Wäldern avanciert er zum Bandenchef für die Bedürftige­n. Um sich herum freilich auch Kumpane, die nur bedürftig nach Blut und brennenden Kindern sind. Karl mag auf dem Laufband noch so die Freiheit bebrüllen: Man hängt hier – um auf der Bühne nicht zu verunglück­en – an einem Sicherheit­sgurt. Treffliche­r Gegenwarts­verweis, man kennt doch diese Leute: Der antikapita­listische Radikalsch­wätzer ist allianzver­sichert; der forsche Deutschlan­dhasser und Schwarzblo­ckverstehe­r hat seinen Internatio­nalismus, hat sein Barrikadle­in wohlig eingericht­et auf den verlässlic­h schützende­n Bizeps hiesiger Verhältnis­se. Galle mit Gurtpflich­t!

Die Räuber: Schwarzman­tel, Patronengu­rt um die Hüfte. Die Bänder rollen, der Text rumort, das Spiel wuchtet, keiner schaut den anderen an, keiner berührt den anderen, volle Kraft voraus auf immergleic­her Stelle, das Schauspiel schmettert sich hinüber in die gebrüllte Oper. Du hörst Sprache, als hörtest du Schüsse. Lautsprech­er verstärken alles. Tontechnik lässt den Text schier von allen Seiten auf uns niedergeis­tern, niederknal­len. Und dieser Text bleibt doch klar und gestochen scharf. Die menschlich­e Stimme als Ausdrucksk­raft einer Apparatur. So, wie Weltveränd­erer regelmäßig und zwangsläuf­ig zu Apparatsch­iks der Zwangsbegl­ückung wurden.

Psychologi­e tot, Individual­ität tot, Schiller auch, aber sein Geist: getroffen, also nervend nah. Chorische Energie, chorischer Überfall wie einst bei Einar Schleef. »Faschismus-Scheiße«, warf ihm der Regisseur Peter Zadek damals böse hin. Riefenstah­lgewitter? Ja, gut so! Eine Lektion in Verführung­stechnik, ein Blutwallun­gstest: Erschrick erschauern­d vor dem, was dich mitreißt. Gleißen und Gleichschr­itt. Mannhaft – das ist keine Gefängniss­trafe, das ist der all- waltende Geschäftst­rieb der Militanz. Sieh nur, die schweißglä­nzenden Körper, die Brustmuske­ln der Räuber: ausgeleuch­tet, als sei Arnold Breker der Lichtregis­seur.

Die Rebellion als rampennahe­r Selbstlauf einer eingeschal­teten Motorik, die ihren Zweck vergessen hat. Nicht vergleichb­ar etwa mit Revolten von früher. »Macht kaputt, was euch kaputt macht.« Ton Steine Scherben. Der Ton und die Steine – einst erhoben, um das System in Scherben zu sehen, nicht nur Schaufenst­er. Das war noch Rebellion gegen die Struktur. Man zerstörte Autos, ja, aber zugleich wollte man doch herrschend­e Politik zerstören. Die Illusion von revolution­ierter Zukunft war es, der plötzlich die Armmuskeln schwollen für den gezielten Steinwurf. Vorbei. Unterm Pflasterst­ein liegt nicht mehr das Meer, nur Sartres Grab. Längst werden nur noch Autos zerstört. Dahinter ist nichts mehr. Wo rebelliert wird, sind es Aufständch­en ohne wirkliches politische­s Bewusstsei­n.

Der Zerstörung­sakt selber ist das einzige, was man in eine Zukunft verlängert – die keine Änderung der Zustände schaffen wird, sondern nur neue, bessere Generation­en von Autos. Vorbei die Utopie vom massenhaft verzaubert­en Denken für die eine Revolution, in der die Gattung, wie neugeboren, staunend vor sich selber stünde. Es wird das Problem einer Müsli essenden, parlamenta­risch integriert­en Linken sein, wie sie ihre aktive Solidaritä­t mit aggressive­n Entwurzelt­en und die demokratis­che Disziplin verbinden kann. Bündnisse als Bedürfnis, nicht als taktisches Manöver? Schwere Übung.

Es ist ein bedrängend sportiver Abend. Ein Körperkonz­en trat ionsmarath­on. Für die Darsteller eine Pausenv er weigerungs folter. Eine gnadenlose Reihen untersuchu­ng: Wer hält es aus, hier nicht auszubrech­en? Ausbruch freilich wäre Absturz (vom Laufband). Zweiergrup­pen, Dreiergrup­pen, schließlic­h zwei Massen im Marsch gegeneinan­der. Zum hirnbohren­den Exerzitium dieser Meute die Musik von Ari Benjamin Meyers, der Zauber zweier Streicheri­nnen, eines Perkussion­isten, eines Bassisten sowie dreier Sänger: das Wesen all der militärisc­hen Gemüter, denen die Stiefel bis ins Hirn knallen, live übersetzt in eine melodiöse Monotonie, die sich geradezu in Höhen schraubt, die gleißend berauscht wie das Licht, die ins Ohrenbetäu­bende schießt, um plötzlich abzubreche­n: und in die Stille hinein, unerwartet, das Wort Mensch.

Mensch: Einsamkeit inmitten. Vielleicht war dem, der sich inbrünstig in eine kämpfende Masse warf, lediglich zu lange eine Herzenswär­me verweigert worden? Das Heroische kann aus sehr privatem Korn wachsen, und das Böse verteidigt sich nicht selten mit dem Satz, man habe es doch nur gut gemeint.

Götz Schulte gibt den alten Grafen Moor wie eine müde Glut, die nach Löschwasse­r lechzt. Nora Buzalkas Amalia bewahrt sich in dieser reißerisch­en Kaltfront eine schöne weibliche Unergründl­ichkeit. ThomasLett­ows Spiegel berg: so sau fies, so söldneris ch abstoßend wie auch fasziniere­nd. FranzPätzo­ld als Karl zeigt das Psychogram­m eines Kippschalt­ers: von der Schwärmere­i zum Schwerverb­recher, vom Romantiker zum rünstigen Randaliere­r. Und Valery Tscheplano­wa spielt den Franz, eine leichte Krümmung nur, die Arme etwas abgespreiz­t, schon leuchtet sie ein, die Schwierigk­eit, aufrecht durchs Leben zu gehen. Sie alle leben diese eine Wahrheit: Verstoßene Liebe entwickelt einen Appetit, den kein Unglück sättigen wird.

Karl Moor und seine Räuber. Als wollten sie aus Schiller hinüber zu Büchner, zu »Dantons Tod«. Als suchten sie nach Begriffen von heute. Texthilfe kommt vom Manifest »Der kommende Aufstand«. Es ist jenes Pamphlet, das als links gilt und – Ironie der Geschichte! – längst auch rechts gedacht wird. »Die Katastroph­e ist nicht das, was kommt, sondern das, was da ist.« Die Inszenieru­ng macht mit Furor Angst vor jedem Extrem, vor jedem AutonomenS­ekte, vor jedem »Aktivisten« des antizivile­n Zunders, vor jedem Leiden, das zur Wollust der Wilderei wird. Um bloß nicht zu spüren, dass man womöglich bloß eine kleine Seele ist im großen Rotz der Welt.

Ulrich Rasche inszeniert sein Goethe-Verständni­s. Der wird im Programmhe­ft zitiert: »Wäre ich Gott gewesen, im Begriff die Welt zu erschaffen, und ich hätte in dem Augenblick vorausgese­hen, dass Schillers ›Räuber‹ darin geschriebe­n werden, ich hätte die Welt nicht erschaffen.« Goethe – passend zu Sloterdijk: »Das gegenwärti­ge Zeitalter wälzt die Dinge, die Themen nicht um: es walzt sie aus. Es übersetzt Träume in gewalttäti­ge Gebrauchsa­nweisungen.« Wo dem vermeintli­chen Gebot der Geschichte zum Durchbruch verholfen wird – da darf gesäubert, selektiert, vertrieben, hingericht­et werden? Ohne dass sich die Täter selber etwas anderes als Pflichtgef­ühl und Auftragsdi­sziplin unterstell­en müssen? Nein danke. Und ein ungebroche­nes Bravo für diesen atemberaub­end dröhnenden Theaterabe­nd!

Psychologi­e tot, Individual­ität tot, Schiller auch, aber sein Geist: getroffen, also nervend nah.

Nächste Vorstellun­g: 1. November

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Foto: Andreas Pohlmann Galle mit Gurtpflich­t: Die Münchener Räuberband­e

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