Es musste einer sterben, damit die Politik aufwacht
Zu »König, Nazi, Polizist – das Reichsbürgertum«, 22./23.10., S. 4
Wenn man manchen Medien glaubt, könnte man meinen, die »Reichsbürger« seien von einem anderen Planeten gekommen, urplötzlich bei uns gelandet und entfalten nun seit geraumer Zeit Gewaltbereitschaft. Experten und Politik betonen, dass diese »Reichsbürger« nicht alle rechtsextrem, nicht alle Neonazis, keine terroristische Organisation sind, zu heterogen, zu zersplittert und zu winzig in den Gruppen seien. Kurzum, gäbe es die Todesschüsse auf Polizisten nicht, dann könnten sie weiterhin lediglich als verwirrte Spinner tätig sein.
Was aber haben sie alle gemeinsam? Sie fühlen sich nicht erst seit heute als Bürger des angeblich fortbestehenden »Dritten Reiches« in den Grenzen von 1937, eines Reiches, das Hitlerdeutschland durch verbrecherische Raub- und Vernichtungskriege in ein tausendjähriges großdeutsches Reich verwandeln wollte.
Ist es nicht grotesk, dass Erkennungszeichen der NS-Zeit zu Recht hierzulande verboten sind, Menschen, die sich aber als Bürger eben dieser NS-Diktatur rühmen, ungehindert agieren können? Kommt die Duldung der »Reichsbürger« nicht einer Verhöhnung des opfereichen Kampfes der Antihitlerkoalition und des antifaschistischen Widerstandes gleich, die 1945 mit einem Sieg über das »Dritte Reich« endete? Bedeutet die rechtslastige Blindheit der Politik gegenüber den »Reichsbürgern« nicht eine eklatante Ignoranz der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens, das die Nachkriegsgrenzen unzweideutig festschrieb und des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, das die Hauptschuldigen des NS-Regimes abgeurteilt hat? Wie lange noch ist der Staat BRD bereit, Bürger ungehindert agieren zu las- sen, die dem »Dritten Reich« anhängig sind, und sich damit abzufinden, dass seine eigene Legitimität infrage gestellt wird?
Dr. Andrej Reder, Berlin
Seit mehreren Jahren sind die »Reichsbürger« nicht nur bei den Vollstreckungs bediensteten von Bund, Land und Kommune und den Gerichtsvollzieher bestens bekannt. Diese Menschen suchen nämlich die Steuer- , Gebühren- und Mietschuldner als erste auf, um durch die Zwangsvollstreckung die Rückstände anzufordern. Sie betreten beim ersten Kontakt mit dem Schuldner immer wieder Neuland und wissen nicht, was auf sie zukommt. Sie gehen ohne Waffen und nur mit Vollstreckungs auftrag und dem Gesetz bewaffnet, zu jedem Schuldner.
Bis zur Landesregierung wurden von ihnen die Schwierigkeiten mit den Reichsbürgern gemeldet. Nach Prüfung kam man dort zu dem Schluss, diese Menschen als Spinner abzutun. Und das war’s dann.
Es ist traurig, dass erst ein Mensch in Ausübung seines Amtes sterben musste, um die Landesregierungen aufzuwecken!
Monika Förster, Finsterwalde
Uwe Kalbe schreibt in dem ansonsten interessanten Artikel über einen Reichsbürger, »die Bundesrepublik ist international anerkannter Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches.« Das ist so nicht richtig. Es war der Rechtsstandpunkt der DDR, dass beide deutsche Staaten Nachfolgestaaten des Deutschen Reiches sind. Die BRD dagegen betrachtete und betrachtet sich auch heute noch ausdrücklich nicht als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs.
Nach der Auffassung der BRD ist das Deutsche Reich durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg, die bedingungslose Kapitulation und die Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die vier Sieger- mächte nicht untergegangen, sondern besteht bis heute fort. Die BRD betrachtet sich als Staat und Völkerrechtssubjekt als identisch, teilidentisch, subjektidentisch mit dem Deutschen Reich. Es gibt dafür viele Belege. Ich verweise nur auf zwei: In der Begründung der Bundesregierung zum Einigungsvertrag heißt es: »Mit der Einbeziehung des anderen deutschen Staates in den Geltungsbereich des Grundgesetzes erlangt die mit dem Völkerrechtssubjekt »Deutsches Reich subjektidentische Bundesrepublik Deutschland ihre gebietsmäßige Vollständigkeit.« In der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag aus dem Jahr 2013 (Drucksache 17/14807) verweist die Bundesregierung zustimmend auf das Bundesverfassungsgericht, das »in ständiger Rechtsprechung festgestellt [hat], dass das Völkerrechtssubjekt ›Deutsches Reich‹ nicht untergegangen und die Bundesrepublik Deutschland nicht sein Rechtsnachfolger, sondern mit ihm als Völkerrechtssubjekt identisch ist«.
Prof. Dr. Gregor Schirmer, Berlin