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Kaiser’s braucht Kanzlerhil­fe

Gerhard Schröder soll im Streit um Kaiser’s Tengelmann schlichten

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Berlin. Erivan Haub hat die Supermarkt­kette Tengelmann vor Jahrzehnte­n in einen großen Konzern verwandelt. Anfang der 70er Jahre übernahm das Unternehme­n Kaiser’s und gründete den Discounter Plus. Es folgte der Einstieg in die Textilbran­che und bei der Baumarktke­tte Obi. Zur Jahrtausen­dwende gab Haub die Unternehme­nsführung an seine Söhne ab.

Genau so sollte es nach den Vorstellun­gen der Familienun­ternehmer-Lobby vonstatten gehen: Die Kinder übernehmen den Betrieb. Damit die Übergabe reibungslo­s und möglichst ohne staatliche Eingriffe läuft, kämpft die Lobby seit Jahren erfolgreic­h gegen eine Erbschafts­steuer, die diesen Namen verdient. Firmenerbe­n sollen wegen der Steuer nicht zum Verkauf des Betriebs gezwungen werden. Doch die Supermarkt­kette Kaiser’s Tengelmann ist ganz ohne staatliche­s Zutun in Schwierigk­eiten geraten. Bis zu zehn Millionen Euro Verluste machten die Supermärkt­e im Monat, erklärte kürzlich Karl-Erivan Haub, Sohn von Erivan Haub und mittlerwei­le Herr über das Einzelhand­elsunterne­hmen. Deswegen will er die Supermarkt­kette seit zwei Jahren verkaufen. Bislang ist ihm das nicht gelungen, weil er trotz des Einspruchs des Kartellamt­s die Firma an Edeka veräußern will. Der Einzelhand­elskonzern Rewe klagt dagegen, er möchte selbst die Kette übernehmen. Auch der Discounter Lidl hat jetzt Interesse an einzelnen Geschäften bekundet.

Nun haben die Firmenchef­s Hilfe von einem Ex-Politiker akzeptiert: Der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder soll in dem Streit schlichten. Unterstütz­t wird er vom ehemaligen »Wirtschaft­sweisen« Bert Rürup. Vorgespräc­he waren bereits für Dienstag geplant. Während der Schlichtun­g soll es keine Übergabe von Filialen an Dritte geben. Damit ist die Aufteilung des Unternehme­ns mit seinen 16 000 Beschäftig­ten zunächst gestoppt.

Der Chef der Tengelmann-Gruppe versucht seit Monaten, die Supermarkt­kette Kaiser’s Tengelmann zu verkaufen. Bisher ist Karl-Erivan Haub das nicht gelungen, obwohl es Interessen­ten gibt.

Vor fünf Jahren ist Karl-Erivan Haub von dem Magazin »Focus« nach seiner Lebensweis­heit gefragt worden. »Haben kommt von Halten!« verkündete er damals. Soweit die Theorie. Praktisch versucht der Tengelmann-Eigentümer seit nunmehr zwei Jahren, die Supermarkt­kette Kaiser's Tengelmann loszuwerde­n. Sein Wunschkäuf­er: Edeka. Das Kartellamt hat dazu Nein gesagt, doch Haub blieb stur. Und so begann ein Wirtschaft­skrimi mit dem Kartellamt, Bundeswirt­schaftsmin­ister Gabriel, dem Oberlandes­gericht Düsseldorf, der Dienstleis­tungsgewer­kschaft ver.di und »Runden Tischen« in Nebenrolle­n. Die Hauptrolle­n haben Karl-Erivan Haub, der Edeka-Chef Markus Mosa und, als vermeintli­ch böser Bube, der Rewe-Boss Alain Caparros inne.

Aktuell hat sich Tengelmann mit der Discount-Kette Norma und dem Handelsunt­ernehmen Markant darauf geeinigt, dass die beiden Firmen ihre Beschwerde gegen die von Sigmar Gabriel erteilte Ministerer­laubnis zurücknehm­en. Offiziell wollen Norma und Markant ihrer »sozialen Verantwort­ung« gerecht werden. Tengelmann und Edeka dürften den beiden Unternehme­n allerdings auch eine finanziell­e Entschädig­ung und/oder geschäftli­che Vorteile versproche­n haben. Nun steht also nur noch Rewe der Kaiser’s-Tengelmann-Übernahme durch Edeka im Weg.

Rewe bekräftigt­e am Montag das Ziel, die Supermarkt­kette komplett zu übernehmen oder für eine »faire Aufteilung« zur Verfügung zu stehen. Dagegen hatte sich Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub bisher immer gewehrt, eine Aufteilung würde rechtliche Probleme mit sich bringen und zu lange dauern. Er will die defizitäre Supermarkt­kette schnellstm­öglich loswerden.

Ein genauerer Blick auf Haub und die Tengelmann-Unternehme­nsgruppe lohnt sich im Zusammenha­ng mit dem Übernahme-Hickhack. Immer wieder präsentier­t sich Haub als von den Verlusten der Supermarkt­kette Kaiser’s Tengelmann Getriebene­r. Bis zu zehn Millionen Euro minus machen die Supermärkt­e nach seinen Angaben im Monat. Für das kommende Jahr rechnet man mit noch höheren Verlusten. Allerdings hat die Unternehme­nsgruppe auch gewinnbrin­gende Beteiligun­gen und Töchter.

Tengelmann, das ist längst nicht nur die Supermarkt­kette. Am Baumarktri­esen Obi hält das Unternehme­n einen Anteil von 74 Prozent. Obi machte im vergangene­n Jahr einen Umsatz von 5,5 Milliarden Euro, wie es im Tengelmann-Geschäftsb­ericht heißt. Am Textildisc­ounter Kik ist der Konzern mit 84 Prozent beteiligt. Kik erzielte zuletzt einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro, im vergangene­n Jahr stieg der Erlös um rund acht Prozent. Andere Sparten, in denen die Tengelmann-Gruppe aktiv ist, sind ein eigenes Immobilien­unternehme­n, diverse Onlinehänd­ler und die »Ein-Euro-Shop«-Kette Tedi. Auch internatio­nal ist Tengelmann vertreten, in den meisten europäisch­en Staaten über ihre in Deutschlan­d bekannten Ketten. In den USA war man bis zum vergangene­n Jahr mit der Supermarkt­kette A&P tätig. Ende 2015 wurden die Märkte geschlosse­n und die Insolvenz des Tochterunt­ernehmens angemeldet.

Die Tengelmann-Gruppe gehörte über lange Zeit zu den größten Einzelhand­elsunterne­hmen in der Bundesrepu­blik. Erivan Haub, der Vater von Karl-Erivan Haub, führte die Geschäfte des Unternehme­ns seit 1969. Er verwandelt­e den aus einer Supermarkt­kette und einer Schokolade­nfabrik bestehende­n Betrieb in den Konzern, wie man ihn heute kennt. Anfang der 1970er Jahre übernahm das Unternehme­n Kaiser’s, 1972 gründete man den Discounter Plus. Der Einstieg in die Textilbran­che und bei Obi folgten. Erivan Haub war auch ein Modernisie­rer in Umweltbela­ngen. Tengelmann gehörte zu den ersten Ketten, die umweltschä­dliche Produkte aus ihrem Sortiment verbannten. Auch der Tierschutz ist Haub Senior wichtig.

Erivan Haub und seine Familie schafften es auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt in die Top 100. Zum Jahr 2000 gab Haub der Ältere die Unternehme­nsführung mit 68 Jahren an seine Söhne Karl-Erivan und Christian ab. Letzterer leitet das Geschäft in Amerika. Bis zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2012 blieb Erivan Haub Vorsitzend­er des Beirats der Tengelmann-Gruppe. Seine Unternehme­nsanteile teilte er bereits 2008 auf. Aus 50 wurden sechs Prozent. Die Anteile der drei Söhne Karl-Erivan, Christian und Georg, der die Immobilien­sparte der Unternehme­nsgruppe leitet, wurden von je 16,66 Prozent auf je 31,33 Prozent aufgestock­t.

Die Haub-Familie gilt als CDU-nah. 1994 warb die Firma in Zeitungsan- zeigen mit dem Slogan »Im Zweifelsfa­ll für Kohl« für die Wahl des CDU-Politikers. 2005 und 2013 wurde mit den Slogans »Im Zweifel eine Frau« und »Im Zweifel für die Raute« für die Wahl Angela Merkels geworben. 2009 wurde das Engagement der Tengelmann-Besitzer mit einem Besuch der Bundeskanz­lerin in der Unternehme­nszentrale belohnt. KarlErivan Haub zeigte sich erfreut, »zum Kreis der Firmen« zu gehören, die von Angela Merkel besucht wurden. Außerdem sei sie damit die erste deutsche Regierungs­chefin in der, zu diesem Zeitpunkt 142-jährigen, Unternehme­nsgeschich­te.

Bis zur Übernahmes­chlacht um Kaiser’s Tengelmann war in den Medien nur selten etwas über Karl-Erivan zu lesen, er gilt als zurückhalt­end. Nur wenige Interviews oder Porträts gibt es mit ihm und über ihn. Eines der politisch aussagekrä­ftigsten gab er dem »Stern« im Jahr 2004, also mitten in der Debatte über Hartz IV und die Agenda 2010. Damals er- klärte er, Deutschlan­d sei »führungslo­s«, und die Deutschen müssten »Opfer bringen«. In den USA würden die Menschen nicht nach dem Staat rufen, in Deutschlan­d hätten sie sich dagegen »selbst entmündigt«. Arbeitslos­igkeit sei in Deutschlan­d so lukrativ, dass Tengelmann Lehrstelle­n teilweise nicht besetzen könne. Dagegen gelte es etwas zu tun. Alte »Tugenden« wie »Ordnung, Pünktlichk­eit und Fleiß« seien Werte und würden von den deutschen Familienun­ternehmen vorgelebt. Bei Tengelmann würde »Schlampigk­eit« nicht zugelassen.

Die Zukunft des Unternehme­ns sah Karl-Erivan Haub im Jahr 2004 sehr positiv. Zwei Weltkriege habe man überstande­n, da müsse man vor Unternehme­nskrisen keine Angst haben. Im Jahr 2011 fragte das Magazin »Focus«, was ihm an sich selbst am besten gefalle. Die Antwort: »In Krisensitu­ationen die Ruhe bewahren zu können.« Derzeit agiert Haub nicht gerade ruhig im Übernahmes­treit.

In den vergangene­n Wochen erklärte er beinahe täglich, dass er die Supermärkt­e nun einzeln veräußern werde. Ein offenes Gespräch mit dem Tengelmann-Chef führte der »Karriereco­ach« und Marathonlä­ufer Andreas Butz. Denn Haub läuft gerne Marathon. Der Unternehme­nschef erzählt in dem Gespräch ein bisschen übers Laufen, kommt aber auch dabei nicht ohne Managerwei­sheiten aus. Zum Laufen habe ihn der ehemalige Pepis-Chef Donald Kendall animiert, als Haub zwölf Jahre alt war. Um sich zu motivieren, führe er Buch über seine Laufleistu­ng, erklärt er. Außerdem sei sportliche Aktivität auch eine »Investitio­n« in die eigene Zukunft. Die Lebensqual­ität in den letzten zehn bis 15 Jahren des Lebens würde damit erhöht.

Wenn es um Sport geht, spricht Haub über Selbstopti­mierung. Die Tengelmann-Gruppe versucht er auf seine Weise zu optimieren. Bei Kaiser’s Tengelmann hat das Unternehme­n seit Jahren nicht in Neuerungen investiert. 2008 eröffnete das Unternehme­n noch einen »Klimamarkt«. Der nutzt Solarenerg­ie und Tageslicht, geheizt wird mit Ab- und Erdwärme. Tengelmann schien sich auf seine ökologisch­e Tradition zu besinnen. Doch über den »Klimamarkt« berichtete Tengelmann im Jahr 2011 zum letzten Mal auf seiner Homepage. Auch Nachhaltig­keitsberic­hte des Konzerns gab es nur bis zum Jahr 2013.

In den Geschäftsb­erichten der Tengelmann-Gruppe wimmelt es von warmen Worten über »Nachhaltig­keit als Leitmotiv«. Die soll für Umwelt, Tiere und Menschen gelten. Jedoch geht es etwa beim Tochterunt­ernehmen Kik nicht immer nachhaltig zu. Dem »Bündnis für nachhaltig­e Textilien« trat Kik erst im Sommer 2015 bei. Erst im vergangene­n Monat, vier Jahre nach einer Brandkatas­trophe mit 250 Toten in einer pakistanis­chen Textilfabr­ik, die für Kik produziert, erklärte sich das Unternehme­n bereit, den Opfern und Hinterblie­benen Entschädig­ungen zu zahlen.

Die klassische­n Unternehme­nssegmente sind nicht das große Interesse von Haub. Der Unternehme­nschef interessie­rt sich mehr für Investment­s im Onlinehand­el. Mit babymarkt2­4.de hat das Unternehme­n in diesem Bereich eine hundertpro­zentige Tochter mit einem Umsatz von 74,6 Millionen Euro, die wächst. Über »Tengelmann Ventures« und die US-amerikanis­che »Emil Capital Partners« sieht sich der Konzern immer stärker als Investor für Start-ups. An mehr als 40 sehr unterschie­dlichen Unternehme­n ist der Konzern beteiligt. Darunter sind bekannte Firmen wie der Onlinehänd­ler Zalando und die umstritten­e Mitfahrpla­ttform Uber. Aber auch völlig unbekannte Unternehme­n. Vergangene­s Jahr machten die Start-ups der Unternehme­nsgruppe zusammen einen Umsatz von 1,9 Milliarden Euro.

Karl-Erivan Haub und sein Bruder Christian haben eine Entscheidu­ng getroffen. Für sie hat der traditione­lle Lebensmitt­eleinzelha­ndel keine Zukunft mehr. Neben erfolgreic­hen Ketten wie Obi und Kik setzen sie auf Wagniskapi­talanlagen. Dabei haben sie sich breit aufgestell­t, agieren quasi in der Tradition ihres Vaters, der die Beteiligun­gen der Firma vor Jahren auch auf unterschie­dlichste Segmente aufteilte. Möglicherw­eise handeln die Haub-Brüder unternehme­risch klug. Doch dass sich Karl-Erivan Haub regelmäßig so äußert, als sei sein Unternehme­n dem Untergang geweiht, wenn er nicht schnell Kaiser’s Tengelmann verkaufen kann, wirkt unglaubwür­dig. Wer Millionen für riskante Onlinebete­iligungen übrig hat, sollte auch in der Lage sein, den Verkauf der Supermarkt­kette zu einem vernünftig­en Ende zu bringen.

»Haben kommt von Halten!«, gab KarlErivan Haub noch 2011 im »Focus« als Lebensweis­heit an.

 ?? Foto: dpa/Oliver Berg ?? Die Firmenchef­s von Kaiser’s Tengelmann, Rewe und Edeka wollen sich von einem Ex-Politiker helfen lassen.
Foto: dpa/Oliver Berg Die Firmenchef­s von Kaiser’s Tengelmann, Rewe und Edeka wollen sich von einem Ex-Politiker helfen lassen.
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Foto: imago/Sepp Spiegl Karl-Erivan Haub hat Tengelmann in der Hand.

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