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Jobcenter fragte Schwangere nach Sexpartner

Umstritten­es Formular von Behörde in Stade nach scharfer Kritik zurückgezo­gen

- Von Elsa Koester

Eine schwangere Hartz-IV-Antragstel­lerin wehrte sich erfolgreic­h gegen behördlich­es Verlangen nach Auskunft über den potenziell­en Kindsvater. Mit wem hatten Sie Sex? Nennen Sie Name, Vorname und Geburtsdat­um der betreffend­en Männer. Einen Fragebogen mit solchen Aufforderu­ngen gab das Jobcenter im niedersäch­sischen Stade an eine schwangere HartzIV-Antragsste­llerin zur Ermittlung des Kindesvate­rs heraus. Am Dienstag wurde das Formular zurückgezo­gen.

Bekannt wurde der Fall, weil der Anwalt der Betroffene­n den Fragebogen Ende vergangene­r Woche auf dem Kanzleiblo­g »Hartz IV Widerspruc­h« veröffentl­ichte. Am Dienstag reagierte die Bundesagen­tur für Arbeit – und forderte das Jobcenter zur Rücknahme des Formulars auf. »Ein solcher Fragebogen ist absolut indiskutab­el«, sagte eine Sprecherin gegenüber »nd«. »Wir hoffen, dass das Jobcenter jetzt Konsequenz­en zieht.« Wenige Stunden später erklärte der Geschäftsf­ührer des Jobcenters Stade, das Formular zurückzuzi­ehen, und entschuldi­gte sich bei der Betroffene­n. »Ich bin entsetzt, dass dieser Bogen überhaupt unser Haus verlassen hat«, so der Geschäftsf­ührer. »Solche persönlich­en Fragen dürfen wir nicht stellen.« Ein Mitarbeite­r habe den Fragebogen erstellt und sich dabei an Fragen von Jugendämte­rn zur Ermittlung unterhalts­pflichtige­r Väter orientiert. Die Geschäftsf­ührung habe erst am Donnerstag davon erfahren.

In dem Papier wurde die Antragsste­llerin zur Bekanntgab­e der vollen Namen von Sexualpart­nern inklusive Geburtsdat­um »während der gesetzlich­en Empfängnis­zeit« aufgeforde­rt – diese beträgt laut Bürgerlich­em Ge- setzbuch 181 bis 300 Tage vor dem Geburtster­min. In zwei weiteren Fragen wurde dazu aufgeforde­rt, »ausführlic­h und nachvollzi­ehbar« darzulegen, warum sie zu dem Kindesvate­r keine Angaben machen könne. Zudem sollte erklärt werden, welche »intensiven Nachforsch­ungen« zur Ermittlung des Kindesvate­rs angestellt wurden.

Die Antragstel­lerin wurde darauf hingewiese­n, eine »strafbare Handlung« zu begehen, wenn sie vorsätzlic­h falsche Angaben mache. Mögliche Strafen auf eine Angabenver­weigerung sind nach der jüngsten Sanktionsv­erschärfun­g ein Bußgeld von bis zu 5000 Euro und im äußersten Fall sogar Erzwingung­shaft.

Der Anwalt der Betroffene­n, Jan Strasmann, hatte zunächst juristisch­e Schritte angekündig­t. »Die Selbstkorr­ektur des Jobcenters Stade durch Presseaufm­erksamkeit hat unser Ziel schneller erreicht«, sagte Strasmann nach dem Rückzug des Formulars. Auf der Facebookse­ite der Hartz-IVKanzlei hätten sich jedoch weitere Betroffene solcher Fragen gemeldet. Strasmann kündigte an, dies zu prüfen.

Für die LINKE-Politikeri­n Cornelia Möhring ist der Fall nicht erledigt. Das Jobcenter zeige sich als »Raum der Rechtsfrei­heit und Schikane«. Was bleibe, sei die »hässliche Fratze des diskrimini­erenden Hartz-IV-Systems«.

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