nd.DerTag

Regierung der Straße

Venezuela erlebt eine neue Protestwel­le. Viele Linke suchen derweil nach Lösungen im Kleinen und planen für die Zeit nach Maduro.

- Von Jonas Holldack, Caracas

Die Opposition hat für Mittwoch landesweit­e Proteste gegen die Regierung Maduro angekündig­t. Trotz geplanter Verhandlun­gen für das Wochenende bleibt die Lage gespannt. Venezuela erlebt erneut eine Woche harter Auseinande­rsetzungen und Proteste. Während der Präsident Nicolas Maduro Moros im Nahen Osten versuchte, eine Allianz für höhere Ölpreise zu schmieden, verabschie­dete die von der Opposition dominierte Nationalve­rsammlung am Sonntag ein Papier, das Maduro vorwirft, die Verfassung gebrochen zu haben. Anhänger der chavistisc­hen Regierung versammelt­en sich daraufhin vermeintli­ch spontan, drangen in das Gebäude ein und warfen den Abgeordnet­en ihrerseits vor, einen Staatsreic­h zu verüben.

Wenige Tage zuvor – der Präsident war schon außer Landes – verkündete der Nationale Wahlrat (CNE), dass der zweite nötige Schritt für ein mögliches Abwahlrefe­rendum – das Zusammentr­agen von 20 Prozent der Unterschri­ften aller Wahlberech­tigten – auf unbestimmt­e Zeit verschoben wird. Die Opposition kündigte umgehend Proteste an. Ab Mittwoch werde es landesweit Demonstrat­ionen geben, erklärte der rechte Opposition­spolitiker Henrique Capriles: »Das ganze Volk wird mobilisier­t, um die verfassung­smäßige Ordnung wiederherz­ustellen.« Schon am vergangene­n Wochenende demonstrie­rten einige tausend weißgeklei­dete Frauen in der Hauptstadt Caracas gegen die Entscheidu­ng der Wahlbehörd­e. Angeführt wurde der Protestmar­sch von Li- lian Tintori, der Ehefrau des inhaftiert­en Opposition­sführers Leopoldo López.

Trotz dieser explosiven Situation: Immer weniger Menschen folgen den regelmäßig­en Demonstrat­ionsaufruf­en beider Seiten. Sind vor wenigen Jahren noch Hunderttau­sende auf die Straßen gegangen, so sind heute schon zehntausen­d Teilnehmer eine hohe Zahl. Die ökonomisch­e Krise, die das Land durchläuft, wird zu einer politische­n Krise und demobilisi­ert die Basis. Darunter leidet die Regierung weit mehr als die Opposition. Auch dieser gelingt es je- doch nicht, daraus wirklich Profit zu schlagen. »Que se vayan todos« (»Sie sollen alle gehen«) kann man als Kommentar in so mancher Schlange vor dem Supermarkt hören – wie 2001 in Argentinie­n. Denn keine der beiden Seiten kann Alternativ­en aufzeigen oder effiziente Politik machen, die aus der Krise herausführ­en könnte.

Die Nationalve­rsammlung hat seit ihrer Wahl im Dezember 25 Mal nicht das notwendige Anwesenhei­tsquorum erreicht, um Beschlüsse zu fassen. Die Beschlüsse, die gefasst worden sind, wurden nahezu alle vom Verfassung­sgericht für nicht verfassung­skonform befunden.

Die teils ultrarecht­e Opposition heizt derweil die explosive Stimmung an. Nur allzu gerne würden einige Teile des »Tischs der demokratis­chen Einheit«, wie das Opposition­sbündnis euphemisti­sch heißt, Venezuela zu einem »Failed State« erklären. Seit 17 Jahren wirft das Bündnis erst Chávez und nun Maduro vor, diktatoris­ch zu handeln und fleht die Organisati­on Amerikanis­cher Staaten (OAS) an einzugreif­en. Noch vor nicht allzu langer Zeit riefen Teile der ultrarecht­en Op- position offen zu Gewalt gegen die Regierung auf. Auch deswegen hat die Opposition Rückhalt im Volk verloren.

Ein Teil der linken, chavistisc­hen Basis plant schon für eine Zeit nach der Regierung Maduro. Sie fühlen sich von der Parteispit­ze nicht vertreten. »Nicht alle Chavisten sind Mitglied in der PSUV, und der Chavismus ist nicht die PSUV«, schreibt einer von ihnen in einem der bedeutends­ten Portal für linke Debatten in Venezuela.

Andere fragen, wann die Bevölkerun­g begreife, was Volksmacht bedeute, und wann die Linke anfange, sich unabhängig von der Regierung zu organisier­en. Man müsse Momente wie die »Regierung der Straße« nutzen, um als wirkliche Volksmacht aufzutrete­n, sagt beispielsw­eise die linke Aktivistin R. Lemus. Gleichzeit­ig müsse man aber auch verhindern, dass die Rechte wieder an die Macht komme, denn nur unter einer linken Regierung könne man die Revolution vertiefen. »Einige Parteiführ­er denken nur an die Wahlstimme­n, aber nicht an die Verteidigu­ng der Revolution – das ist aber nicht unbedingt dasselbe«, erklärt ein anderer.

Viele sehen die Lösung in der Produktion, vor allem von Lebensmitt­eln. In jedem Viertel gibt es Gruppen, die beispielsw­eise Mais anbauen oder Kaninchen und Fische züchten. Kooperativ­en vom Land verkaufen auf selbstorga­nisierten Märkten in den Städten ihre Produkte. Gruppen, in denen Produkte getauscht werden, sprießen aus dem Boden. So suchen viele die Lösung des Großen im Kleinen – irgendwie gegen den Stillstand der Politik.

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Foto: dpa/Presidency Of Venezuela
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Foto: AFP/Federico Parra Bei einem Marsch durch Caracas demonstrie­ren opposition­elle Frauen gegen die Maduro-Regierung.

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