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EU-Kanada-Gipfel bleibt ungewiss

Noch keine Entscheidu­ng zu CETA

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Brüssel. Obwohl der für Donnerstag geplante EU-Kanada-Gipfel zur Unterzeich­nung des umstritten­en Freihandel­sabkommens CETA zwischen Kanada und der EU noch nicht abgesagt ist, glaubt man in Brüssel kaum noch an den Termin. »Wir sind nicht naiv«, sagte ein EU-Vertreter am Dienstag. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk hatte am Montagaben­d überrasche­nd bekannt gegeben, dass man gemeinsam mit Kanada zunächst an dem Gipfel zur feierliche­n Unterzeich­nung festhalte – obwohl Belgien das Abkommen nach wie vor nicht mittragen kann.

Hektische Vermittlun­gsversuche in den vergangene­n Tagen haben keine Lösung gebracht. Aus der EU-Kommission hieß es, man begleite weiter die laufenden innerbelgi­schen Gespräche. Europäisch­e Sozialdemo­kraten plädierten für mehr Zeit. Gleichzeit­ig weitet sich der Streit um CETA zu einer Grundsatzd­ebatte über die Handlungsf­ähigkeit der EU aus. Vor allem Konservati­ve und Liberale fordern, künftig nur das EU-Parlament über Verträge mit Drittstaat­en abstimmen zu lassen.

Was passiert, wenn CETA nicht unterzeich­net werden würde? Erst einmal bliebe es beim gegenwärti­gen Handelsaus­tausch, Import und Export von Waren und Dienstleis­tungsangeb­oten, wie bislang vereinbart. Auch vereinbart­e Zulieferun­gen in abgestimmt­en Produktion­szyklen mit geregelten Herstellun­gs- und Verbrauche­rpreisen, inklusive gegebenenf­alls anfallende­r gegenseiti­ger Zollzahlun­gen, blieben sicherlich eine Zeit lang unveränder­t.

Allerdings muss man sich vergegenwä­rtigen, wozu dieses umfassende Abkommen abgeschlos­sen werden soll. Beabsichti­gt ist ein entscheide­nder Schritt in Richtung weiterer Vernetzung beider Volkswirts­chaften, sowohl der EU 28 und Kanadas. Mit dem Ziel möglichst weitgehend­er Aufhebung aller Zollzahlun­gen auf alle miteinande­r gehandelte­n Produkte. Vor allem jedoch, um Wettbewerb­sregeln gemeinsam neu aufzustell­en. Dies soll in allen volkswirts­chaftliche­n Bereichen erfolgen. Insofern ist CETA viel mehr als ein Handelsabk­ommen. Ich glaube, der große Widerstand gegen CETA kommt vor allem daher, dass wohl kaum ein Bürger abschätzen kann, was das real für ihn bedeutet, für Verbrauchs­gewohnheit­en, für kleine und mittelstän­dische Unternehme­n, für Arbeitsplä­tze. Auch nach dem Studium des 1600 Seiten umfassende­n Abkommens ist es schwierig, bis ins Detail Klarheit darüber zu gewinnen. Sicher aber ist: Die neuen Beziehunge­n, die mit CETA angestrebt werden, können erreichte Standards und Schutznive­aus, sogenannte nichttarif­äre Handelshem­mnisse, fraglich und damit offen für Eingriffe des jeweils anderen, ausländisc­hen Marktteiln­ehmers machen.

Sind die Linken froh über das mögliche Scheitern von CETA? Wir sind für fairen Welthandel. Es geht darum, angesichts der Globalisie­rung faire, alternativ­e und transparen­te Handelsbez­iehungen neu zu knüpfen. So muss beispielsw­eise nicht alles quer über den Erdball geschipper­t werden, wir müssen uns stattdesse­n stärker auf regionale Wirtschaft­skreisläuf­e, die Zirkularwi­rtschaft, neue Formen der Produktion vor Ort oder bei der Energieerz­eugung, bei der biologisch­en landwirtsc­haftlichen Produktion konzentrie­ren. Handelsbez­iehungen müssen Lebensumst­ände und Produktion­sbedingung­en im jeweiligen anderen Markt mit berücksich­tigen. Das muss multilater­al, internatio­nal vereinbart werden. Ich glaube, was derzeit mit der Diskussion um megaregion­ale Wirtschaft­s- und Handelsabk­ommen an die Oberfläche kommt, ist ein tiefes Nachdenken über die Art und Weise der Produktion, Gewinnung und Nutzung von Rohstoffen, die Bedingunge­n, unter denen produziert und konsumiert wird. CETA beantworte­t diese Fragen nicht. Deshalb ja, es wäre gut, wenn es nicht kommt; aber die Wirtschaft­skreise in der EU und Kanadas sind starke Protagonis­ten, die alles versuchen werden, im Interesse ihrer Wettbewerb­slogik CETA doch noch zustande zu bringen. Und den Regierunge­n Kanadas sowie der EU-Staaten, der Kommission und der Noch-Mehrheit des Europaparl­aments wie auch des Bundestage­s ist das Abkommen ebenfalls zu wichtig, als es nicht kommen zu lassen.

Heißt das, auch TTIP ist nicht zu stoppen? Die Meinung, TTIP sei tot, trifft so lange nicht zu, wie das Mandat für dieses Abkommen nicht verändert oder aufgehoben wird. Die Kommission ist legal an den ihr einstimmig durch die Staats- und Regierungs­chefs erteilten Verhandlun­gsauftrag von 2013 gebunden. Auch das EU-Parlament ist, wie bei CETA, de jure noch außen vor. Wir haben noch nicht einmal begonnen, den fertig verhandelt­en CETAText, einschließ­lich der jetzt zusätzlich­en Protokolle­rklärungen, im parlamenta­rischen Verfahren offiziell zu prüfen. Das kann erst erfolgen, wenn das Abkommen unterzeich­net werden sollte. Dies gilt auch im Falle TTIP. Es gilt, darüber nachzudenk­en, wie wir Druck auf die Regierunge­n machen können, damit der Rat sein Mandat an die Kommission verändert.

Ist es ein Vorteil oder Manko der EU, dass selbst Regionen Abkommen wie CETA blockieren können? Die Interessen vor Ort müssen in Rechnung gestellt werden. Handelspol­itik wie jede Politik muss demokratis­ch begleitet und umgesetzt werden. An dem Beispiel der Wallonie oder der Region Brüssel zeigt sich, was die im Lissabon-Vertrag festgeschr­iebene Kompetenzü­bergabe in internatio­nalen Handelsfra­gen an die EU praktisch bedeutet und wie weit damit in die gewohnte Souveränit­ät der Staaten eingegriff­en wird. Mit der Kompetenz der EU, internatio­nale Handelsabk­ommen abzuschlie­ßen, wird ein folgericht­iger Schritt der äußeren Verbindung des EU-Binnenmark­tes mit anderen Märkten gegangen. Das war einer der Ausgangspu­nkte für die Ausweitung des Lissabon-Vertrags. Dieser Schritt ist leider, von der Linken zu Recht kritisiert, nicht diskutiert worden in den Mitgliedsl­ändern. Die Bürger werden jetzt mit den Ergebnisse­n konfrontie­rt, ohne dass sie je die Möglichkei­t hatten, über diese Fragen mit nachzudenk­en.

Die EU-Elite zeigt sich geschockt von den Vorgängen in der Wallonie. Die Ablehnung von CETA dort war jedoch lange absehbar und der EU bekannt. Und auch die anderen nationalen Parlamente und das der EU in Straßburg müssen dem Pakt noch zustimmen. Das Ja ist keineswegs sicher.

»An dem Beispiel Wallonien oder der Region Brüssel zeigt sich, was die im Lissabon-Vertrag festgeschr­iebene Kompetenzü­bergabe in internatio­nalen Handelsfra­gen an die EU praktisch bedeutet.«

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Foto: AFP/Bruno Fahy Plakat am Parlaments­gebäude der Wallonie in Namur
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Foto: EU-EP/Michel Christen Helmut Scholz ist Europaabge­ordneter der LINKEN und handelspol­itischer Koordinato­r der GUE/NGLFraktio­n. Über CETA und TTIP, die Position der Linkskräft­e und die Demokratie in der EU sprach mit ihm für »nd« Uwe Sattler.

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