In Belgien verhärten sich die CETA-Fronten
Föderalregierung sucht händeringend nach Lösungen – hinter verschlossenen Türen
Das wallonische Parlament hat sich 20 Mal mit CETA beschäftigt. Das Nein der Wallonen transportiert die Sorgen der Gesellschaft vor dem Handelsabkommen mit Kanada.
Wie die Ruhe nach dem Sturm präsentierte sich Belgien am Tag nach dem klaren Nein zu CETA. Von betriebsamer Hektik, um in letzter Minute die blockierenden Regionen Wallonie und Brüssel doch noch zu einer Zustimmung zu CETA zu bewegen, war nichts zu spüren. Aus föderalen Regierungskreisen hieß es aber, es werde fieberhaft verhandelt, sowohl mit der EU als auch den Regionen. Worüber drang nicht durch.
Auch die Rebellen hielten sich zurück. Tags zuvor, am Montag, war das noch anders. Da war Paul Magnette, Ministerpräsident der wallonischen Region, nach der Sitzung des Konzertierungsausschusses zwischen der Föderalregierung und den Regierungsvertretern der drei Regional- und drei Sprachgruppenparlamente deutlich geworden. Mit Kanada habe man fertig verhandelt, sagte der frankophone Sozialist von der PS. Jetzt gehe es darum, innerhalb Belgiens eine Lösung zu suchen. Doch leider habe Regierungschef Charles Michel nicht mit sich reden lassen.
Michel stellte sich kurz danach vor die Presse und verkündete sachlich, CETA nicht zustimmen zu können. Worüber er am Montag nicht ver- handeln wollte, worum es am Dienstag ging – alles offene Fragen.
Michel ist dabei in einer schwierigen Lage. Er muss seine CETA-Unterschrift gegen seinen Willen verweigern und sich vorwerfen lassen, nicht beizeiten seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Sprich, Gespräche mit der wallonischen Regierung über CETA geführt zu haben. Denn dass die Wallonen gegen CETA eingestellt sind, war schon lange bekannt. Auch für die EU-Kommission sind die Bedenken nicht neu. Bereits Anfang Oktober 2015 hatte sich deshalb EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström mit Magnette getroffen. Magnette hatte der Schwedin die Bedenken der wallonischen Abgeordneten mitgeteilt. »Ich hatte einige Antworten von der Kommissarin erwartet, aber um ehrlich zu sein, habe ich nicht viel gehört«, sagte Magnette ein paar Tage später im wallonischen Parlament.
Das nicht Ernstnehmen der wallonischen Bedenken scheint typisch für die Reaktion seitens der Kommission und auch der belgischen Föderalregierung gewesen zu sein: Am 27. April nahm das wallonische Parlament mit 44 zu 22 Stimmen einen Beschluss an, der der Regierung ausdrücklich verbot, dem Handelsabkommen zuzustimmen. Vorausgegangen waren 20 Sitzungen, in denen sich das Parlament mit dem CETA-Text auseinandergesetzt hatte. »Alle Menschen in der Wallonie sind gegen CETA, aber nicht aus Unwissenheit, sondern aufgrund einer gro- ßen demokratischen Debatte«, sagte damals Magnette. Eine Reaktion der Föderalregierung oder der EU-Kommission blieb aus.
»Auch wenn jetzt sicher viel innenpolitisch motiviert ist und die Nicht-Beteiligung der PS an der Föderalregierung es Magnette leicht macht, CETA zu sabotieren, transportiert das Nein durchaus die Sorgen der Gesellschaft«, sagt Roger Pint, Journalist beim öffentlich-rechtlichen Belgischen Rundfunk (BRF), gegenüber »nd«. Es gebe in der Wallonie wohl keinen Berufsverband, von Gewerkschaften bis hin zum Mittelstandsverband, der nicht gegen CETA sei. Bei einer Straßenumfrage des Fernsehsenders RTL in der wallonischen Kleinstadt Hannut gab es am Montag viel Zustimmung für Magnettes Nein zum Abkommen mit Kanada. Mehrere Dutzend Landwirte fuhren am Montagabend mit Traktoren in die wallonische Hauptstadt Namur, um Magnette ihre Unterstützung zu bekunden.
Im Norden des Landes ist man dagegen wütend. Das wirtschaftlich starke Flandern erwartet sich viel von CETA. Die Haltung der Wallonie und Brüssels sei »eine Bedrohung unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes«, schimpfte der flämische Ministerpräsident Geert Bourgeois von den flämischen Nationalisten der N-VA. Aus föderalen Regierungskreisen hieß es, die Haltung der Wallonen werden enorme innenpolitische Konsequenzen für diese Region haben.