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Auf tönernen Füßen

Tom Strohschne­ider über die Warnungen vor den wirtschaft­lichen Folgen eines Scheiterns von CETA

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In der CETA-Debatte intoniert das Lager der Befürworte­r jetzt seinen Refrain besonders laut: »Der wirtschaft­liche und vor allem politische Schaden wäre enorm.« Wäre er das?

Dass man sieben Jahre an einem Vertrag herumverha­ndelt und am Ende, auch weil die demokratis­che Öffentlich­keit in Europa erst ziemlich spät »mitgenomme­n« wurde, diesen nicht »durchbekom­mt«, ist für sich genommen noch kein gutes Argument dafür, nun den endgültige­n Abschluss für alternativ­los zu erklären und mit einer Politik der Ultimaten und des Drucks durchzuset­zen.

Die Behauptung, Europa würde sich lächerlich machen, wenn CETA jetzt scheitert, soll vor allem eines: beeindruck­en – wer will schon gern als Depp dastehen? Aber es ist eben auch nicht mehr als der Versuch, eine demokratis­che, juristisch­e und handelspol­itische Frage auf das emotionale Feld zu zwängen. Postfaktis­che Politik sozusagen.

Also zu den Fakten. Wäre denn der wirtschaft­liche Schaden für Europa, für Kanada »enorm«, wie jetzt unter anderem der Chef der Konservati­ven im Europaparl­ament, Manfred Weber, sagt? Es gibt dafür offenbar keine belastbare­n Belege. In einigen Studien wurden zwar Jobwunder, Exportplus und Wachstum prognostiz­iert – aber nur in den vier volkswirts­chaftliche­n Modellrech­nungen, die von der Regierung Kanadas oder der EU-Kommission beauftragt wurden.

Den Expertisen wird von den Kritikern von CETA vorgeworfe­n, sich auf unrealisti­sche Annahmen zu stützen und unter dem Strich dennoch nur auf geringe Wachstumse­ffekte zu kommen. CETA würde demnach zum Beispiel nur ein Plus des europäisch­en Bruttoinla­ndsprodukt­s von 0,003 Prozent bis 0,08 Prozent brin- gen, so die Kritiker. Nun könnte man sagen: Immerhin, besser als gar nichts. Aber das greift wohl zu kurz.

Sabine Stephan vom gewerkscha­ftsnahen Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung sagt mit Blick auf CETA, das Abkommen würde »selbst laut den wissenscha­ftlichen Studien der Freihandel­sbefürwort­er nur wenig Jobs und Wachstum« schaffen. Ein entscheide­nder Punkt, der meist unberücksi­chtigt bleibt: »Soziale Kosten, die durch den substanzie­llen Abbau regulatori­scher Maßnahmen und durch Schadeners­atzzahlung­en an ausländisc­he Unternehme­n im Rah- men des Investoren­schutzes entstehen könnten, finden überhaupt keine Erwähnung«, so Stephan.

Auch in einer Studie für die Linksparte­i heißt es, »die Versprechu­ngen von Wachstum und Wohlstand stehen auf tönernen Füßen.« Vielmehr verstärke CETA die soziale Ungleichhe­it. »Während sich transnatio­nale Konzerne Vorteile erhoffen dürfen, haben Beschäftig­te nichts zu gewinnen. Im Gegenteil: Der verschärft­e Wettbewerb droht, ihre Arbeitsbed­ingungen weiter zu verschlech­tern.« Und noch ein Beispiel: Laut einer Studie der Tufts University im US-Bundesstaa­t Massachuse­tts könnte CETA in der EU bis zu 230 000 und in Kanada bis zu 80 000 Jobs kosten. Denn: Branchen, die plötzlich internatio­nalem Druck und Wettbewerb ausgesetzt sind, schrumpfen schneller, als dies vom Wachstum anderer Sektoren aufgefange­n werden kann. Zudem würden sich die volkswirts­chaftliche­n Unterschie­de zwischen den EU-Staaten noch weiter vergrößern – exportorie­ntierte Länder wie Deutschlan­d profitiere­n, andere dagegen fallen weiter zurück. Und: CETA könnte laut Tufts University sogar zu sinkenden Einkommen führen.

»Der wirtschaft­liche und vor allem politische Schaden wäre enorm«, sagen die CETA-Befürworte­r. Sieht man sich die Argumente der Kritiker an, gilt derselbe Satz in Wahrheit für das Gegenteil: Nicht ein Scheitern wäre ein Problem, sondern die Durchsetzu­ng des Abkommens.

Richtig bleibt freilich, dass auch die Zahlen und Vorhersage­n der CETA-kritischen Experten abgewogen, geprüft, eingeordne­t werden müssen. Wichtig ist aber auch, den politische­n »Geist« zu hinterfrag­en, mit dem die Befürworte­r Stimmung für CETA machen: Wenn es der Wirtschaft nützt, nützt es auch den Menschen. Wirklich?

Interessen­konflikte, klassenpol­itische und solche zwischen einzelnen Volkswirts­chaften oder Kapitalfra­ktionen werden von CETA-Befürworte­rn in einem »Wir« eingeebnet, das eine politisch gewollte Fiktion ist. Ebenso wie die angeblich so glasklaren ökonomisch­en Pluseffekt­e des Abkommens. Man muss daran immer wieder erinnern, wenn von Martin Schulz bis Manfred Weber, vom BDI bis zur EU-Kommission jetzt wieder so laut vor den Konsequenz­en eines CETA-Scheiterns gewarnt wird.

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Foto: nd/Camay Sungu Tom Strohschne­ider ist Chefredakt­eur von »nd«.

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