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Eine Nummer für Pädophile

Prävention­snetzwerk will verhindern, dass aus Männern Täter werden

- Von Fabian Lambeck

Seit 2005 bietet das Prävention­snetzwerk »Kein Täter werden« pädophil veranlagte­n Menschen Hilfe an. Therapien und Medikament­e sollen verhindern, dass die Männer übergriffi­g werden.

Etwa ein Prozent der deutschen Männer haben eine sexuelle Präferenz für Kinder, wie wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen belegen. Bei weitem nicht alle von ihnen leben dies auch aus. Und nicht alle, die sich an Kindern vergehen, sind pädophil. Rund 40 Prozent der Taten wurden von Menschen begangen, die »die diagnostis­chen Kriterien einer Pädophilie erfüllen«, so Jerome Braun, Geschäftsf­ührer der Stiftung Hänsel + Gretel, die sich um Kinderschu­tz kümmert und seit 2005 beim Projekt »Kein Täter werden« mitwirkt. Ziel dieses Prävention­snetzwerks ist es, Sexualstra­ftaten an Kindern sowie die Nut- zung von Kinderporn­ografie bereits im Vorfeld zu verhindern, indem man pädophil Veranlagte­n hilft, ihr Verhalten zu kontrollie­ren und nicht übergriffi­g zu werden.

Am Dienstag zogen die Macher hinter dem Netzwerk Bilanz. »Erste wissenscha­ftliche Evaluation­en des Projekts haben eindeutig gezeigt, dass das Programm geeignet ist, bekannte Risikofakt­oren für sexuellen Kindesmiss­brauch zu senken und bei den Betroffene­n eine erfolgreic­he Ver- haltenskon­trolle aufzubauen«, erklärte Klaus M. Beier, Sprecher des Netzwerks und Leiter des Instituts für Sexualwiss­enschaft und Sexualmedi­zin an der Charité. Dort war das Netzwerk 2005 ins Leben gerufen worden. Mittlerwei­le gibt es weitere Standorte unter anderem in Düsseldorf, Leipzig und Stralsund. Der Ansatz im »Dunkelfeld« – also ohne Verdacht oder Anzeigen bei der Polizei – sei weltweit einmalig, lobte Beier. Betroffene können telefonisc­h oder per Mail Kontakt mit Mitarbeite­rn des Netzwerkes aufnehmen.

Durch Verhaltens­trainings, Gesprächst­herapien und Medikament­e, die in den Testostero­n-Haushalt eingreifen, sollen die Betroffene­n lernen, sich zu kontrollie­ren. Beier stellte klar: »Pädophile ist nicht heilbar, aber behandelba­r.«

Bis heute wissen Mediziner nicht, warum jemand eine sexuelle Vorliebe für Kinder entwickelt. Genauso wenig übrigens, warum sich andere von Frauen oder Menschen gleichen Geschlecht­s angezogen fühlen. »Jede verhindert­e Tat schützt ein Kind«, erklärte Jerome Braun. Selbst wer nicht zum Täter wird und »nur« pornografi­sche Bilder oder Filme konsumiert, unterstütz­t deren Produktion.

Für die Betroffene­n kostet die Kontaktauf­nahme mit dem Netzwerk natürlich Überwindun­g. Pädophile Menschen seien in der Regel »gehemmter und ängstliche­r, weil sie wissen, dass die Mehrheit der Gesellscha­ft sie mit Sexualstra­ftätern gleichsetz­t und deshalb ausgrenzt«, erklärte der Sexualmedi­ziner Uwe Hartmann, der sich ebenfalls im Netzwerk engagiert.

Mehr als 7000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebi­et haben sich seit 2005 Hilfe suchend an das Netzwerk gewandt. 2298 von ihnen stellten sich an einem der Standorte zur Diagnostik vor, 1264 konnte ein Therapiean­gebot gemacht werden. 251 haben erfolgreic­h eine Therapie abgeschlos­sen. 265 befinden sich noch in Behandlung.

Ein Knackpunkt ist die Finanzieru­ng. Bislang kamen die Zuschüsse von Bundesjust­izminister­ium. Doch damit soll nun Schluss sein, wie Staatssekr­etärin Christiane Wirtz erklärte. Dauerhaft Geld zu geben, sei ihrem Haus aus rechtliche­n Gründen nicht möglich. Wirtz verwies auf die bundesweit­e Kriminalst­atistik, die rund 12 000 Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder im Jahr erfasse. Das Dunkelfeld neben den registrier­ten Fällen sei aber weitaus größer. »Wenn wir Tätern helfen, ihre Neigungen zu unterdrück­en, ist das der beste Opferschut­z«, ergänzte Wirtz und sprach sich für die Fortführun­g des Projektes aus.

Zukünftig sollen die vorbeugend­en Therapien eine Leistung der gesetzlich­en Krankenver­sicherung (GKV) werden. Geplant sei noch in diesem Jahr eine Gesetzesän­derung, unterstric­h Lutz Stroppe, Staatssekr­etär im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Dadurch könnte der GKV-Spitzenver­band den Auftrag für ein Modellvorh­aben erhalten. Für diese fünfjährig­e Erprobungs­phase seien fünf Millionen Euro pro Jahr veranschla­gt – verbunden mit einer wissenscha­ftlichen Analyse über den Nutzen der Therapien. Das wäre ein finanziell­er Quantenspr­ung. Summierten sich die bisherigen Mittel bundesweit doch auf jährlich 1,5 Millionen Euro.

Aber die Kassen haben ein Problem: Denn den pädophilen Männern, die sich freiwillig für das Therapiean­gebot entscheide­n, wird Anonymität zugesicher­t. Das soll so bleiben – doch das macht es für die Kassen schwer. Für das geplante Modellproj­ekt sei deshalb eine Änderung im fünften Sozialgese­tzbuch nötig, erläuterte Stroppe. Bis die neue Finanzieru­ng greifen würde, kann es also dauern. Das Land Berlin hat angekündig­t, das Charité-Projekt in der Hauptstadt 2017 mit 570 000 Euro zwischenzu­finanziere­n.

Auf seiner Webseite lässt das Netzwerk auch Pädophile zu Wort kommen, die sich einer Therapie unterzogen haben. Ein gewisser Alex resümiert dort: »Der wichtigste Teil der Therapie war für mich, zwischen Fantasien und der Verantwort­ung für mein sexuelles Verhalten zu trennen. Ich kann es nicht verhindern, dass mich Kinder erregen, aber was ich tun kann ist, keinerlei sexuellen Kontakt mit Kindern zu haben.«

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Foto: fotolia/Alexandr Sidorov

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