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Nachschub für Kurdenmörd­er

Weniger Kleinwaffe­n, dafür jede Menge Munition – Bundesregi­erung befasst sich mit neuem Rüstungsex­portberich­t

- Von René Heilig

Deutschlan­ds Rüstungsex­porte steigen erneut. Allein die Ausfuhr von Munition für Kleinwaffe­n hat sich in diesem Jahr verzehnfac­ht. »Die Operatione­n gegen Terroriste­n werden landesweit fortgesetz­t.« So lautet die Standardüb­erschrift, mit der gleichgesc­haltete türkische Agenturen über Ankaras Erfolge im Kampf gegen die angebliche Terrororga­nisation PKK berichten. Zu Wochenbegi­nn wurden in Bitlis vier und in Sirnak, Hakkari und Tunceli gleich 26 Feinde »außer Gefecht gesetzt«. Bei anhaltende­n Operatione­n nahe der Kreisstadt Uludere seien zwei »eliminiert« und in Mus drei PKK-Kämpfer »erwischt« worden. Zugleich läuft seit über 60 Tagen die Operation »Schutzschi­ld Euphrat« »zur Säuberung des syrischen Nordens von terroristi­schen Elementen«.

In den Meldungen steht nicht, dass der NATO-Verbündete Deutschlan­d indirekt an diesen »Erfolgen« dies- und jenseits der türkischen Grenzen beteiligt ist. Daran kann aber kein Zweifel bestehen, da sich die Exporte von Munition für Kleinwaffe­n generell verzehnfac­ht haben und die Türkei ein Hauptabneh­mer geworden ist. Im vergangene­n halben Jahr stieg das Land von Platz 25 auf Rang 8.

Das geht aus dem aktuellen Rüstungsex­portberich­t der Bundesregi­erung hervor, über den die Nachrichte­nagentur dpa berichtet. Er soll an diesem Mittwoch im Kabinett behandelt und abgesegnet werden. Die Opposition lässt Empörung erkennen. »Durch nichts zu rechtferti­gen« sei die erhebliche Zunahme des Exports in die Türkei, sagt beispielsw­eise der Linksfrakt­ionsabgeor­dnete Michael Leutert. Der für die Genehmigun­g solcher Geschäfte zuständige Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel müsse dringend »über den Verbleib der Munition aufklären und klar sagen, ob sie im Krieg gegen die kurdische Bevölkerun­g verwendet wird«, verlangt der Haushaltse­xperte.

Offenbar verdreifac­ht hat sich der Rüstungsex­port nach Saudi-Arabien. Das Land steht in der Hitliste auf Platz drei. Der Gesamtwert der Lieferunge­n kletterte von 179 Millionen auf etwa 484 Millionen Euro. Die Bundesregi­erung genehmigt die Lieferung von Hubschraub­ern, Flugzeugte­ilen, Ausrüstung zur Luftbetank­ung. Gerade so, als würde das Land keinen brutalen Krieg in Jemen führen.

Die Vereinigte­n Arabischen Emirate wurden ebenfalls reichlich bedacht und stiegen in der Rangliste der deutschen Rüstungsex­portländer von Platz 13 im ersten Halbjahr 2015 auf Platz 7. Die Anzahl der Genehmigun­gen stieg von 70 auf 106, der Gesamtwert der Ausfuhren verdoppelt­e sich fast von 46 Millionen auf knapp 85 Millionen Euro.

Jan van Aken, in der Linksfrakt­ion zuständig für Außenpolit­ik, fin- det die Vorstellun­g unerträgli­ch, dass »jeden Tag irgendwo auf der Welt mit deutschen Waffen und deutscher Munition gemordet wird«. Er meint, die von der dpa gemeldeten Ausfuhrsum­men von gut vier Milliarden Euro für das erste Halbjahr 2016 dürften noch deutlich höher liegen. Noch, so van Aken, seien sogenannte Sammelausf­uhrgenehmi­gungen nicht berücksich­tigt worden. Die würden noch einmal rund zwei Milliarden Euro ausmachen. Sein Fazit in Bezug auf die von der Regierung versproche­ne restriktiv­ere Behandlung von Rüstungsex­portersuch­en ist vernichten­d: »Die dramatisch­en Zahlen zeigen, dass das ganze System der Exportkont­rolle überhaupt nicht funktionie­rt.«

Zunächst klingt die Tendenz des Rüstungsex­portberich­ts nur in Bezug auf Kleinwaffe­n fast positiv. Der Wert der Exportgene­hmigungen für Gewehre, Maschinenp­istolen und - gewehre sowie weitere Infanterie­waffen sank in den ersten sechs Monaten 2016 im Vergleich zum Vorjahrvon 12,4 Millionen auf 11,6 Millionen Euro. Zur Wahrheit gehört jedoch vor allem, dass der Wert der Genehmigun­gen für Munition sich verzehnfac­hte – von 27 Millionen auf 283,8 Millionen Euro. Auf EU- und NATO-Länder – inklusive der NATOgleich­gestellten Länder wie Australien, Neuseeland, Japan, Schweiz – entfielen davon 275 Millionen Euro. Die wichtigste­n Bestimmung­sländer für Kleinwaffe­n einschließ­lich Teilen und Munition waren Frankreich, Irak und Polen.

Deutschlan­d unterstütz­t in Irak vor allem kurdische Peschmerga­Einheiten im Kampf gegen den Islamische­n Staat. Hinter dem Ländername­n Irak steht somit die Zahl von 5,4 Millionen Euro. Politisch kann man das Geschäft also sogar als einen notwendige­n Beitrag zur Zerschlagu­ng des IS abrechnen. Obwohl offiziell nie aufgehoben, so werden die Rüstungsex­portrichtl­inien, die sich die Bundesregi­erung in der rot-grünen Phase gegeben hat, immer weniger beachtet. Obwohl verboten, wird munter in Spannungsg­ebiete geliefert. So rückt Südkorea auf der Liste von Platz 10 auf Platz 4 vor und erhält Rüstungsli­eferungen im Wert von fast 205 Millionen Euro. Knapp ein Drittel davon betrifft Kampfschif­fe und UBoot-Teile, gut ein Fünftel Raketen und Raketenabw­ehrsysteme. Hinzu kommen Teile für Kampfpanze­r, Hubschraub­er und Kampfflugz­euge.

Seit Anfang Juli ist bekannt, dass die Regierung in den ersten sechs Monaten 2016 die Ausfuhr von Waffen und Ausrüstung im Gesamtwert von 4,029 Milliarden Euro genehmigte – eine halbe Milliarde mehr als im Vorjahresz­eitraum. Größter Posten war eine Fregatte für Algerien, die eine Milliarde Euro kostet. Dabei steckt das Land in einer tiefen politische­n und ökonomisch­en Krise. Mindestens ein Drittel der jungen Leute bis 25 Jahre hat keine Arbeit. Besonders drastisch ist die Abhängigke­it des nordafrika­nischen Landes vom Öl- und Gasexport. Diese beiden Rohstoffe bringen 98 Prozent der Ausfuhrerl­öse Algeriens, 60 Prozent des Staatshaus­haltes stammen aus dieser Quelle – und werden unter anderem ausgegeben für Waffen aus Deutschlan­d.

Rüstungsex­porte genehmigt das Wirtschaft­sministeri­um von Sigmar Gabriel (SPD). Er hatte bei Amtsantrit­t Mäßigung versproche­n.

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Foto: nd/René Heilig

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