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Razzien im Ruheraum

Thüringer Ermittler initiierte­n bundesweit Durchsuchu­ngen – offenbar keine akute Gefährdung durch islamistis­che Täter

- Von René Heilig

In fünf Bundesländ­ern hat es am Dienstag zeitgleich sogenannte Anti-Terror-Einsätze der Polizei gegeben. Offenbar wollte man Finanzbezi­ehungen islamistis­cher Gruppen stören. Nach Angaben des Landeskrim­inalamts Thüringen durchsucht­en Ermittler – unterstütz­t von Sondereins­atzkommand­os und Bereitscha­ftspolizis­ten auch anderer Bundesländ­er – zeitgleich zwölf Wohnungen und eine Gemeinscha­ftsunterku­nft in Thüringen, Hamburg, NordrheinW­estfalen, Sachsen und Bayern.

Bereits seit der zweiten Jahreshälf­te 2015 ermittle das Thüringer LKA gegen einen russischen Staatsbürg­er mit tschetsche­nischer Volkszugeh­örigkeit. Anlass der Ermittlung­en war der Verdacht der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hr- denden Gewalttat, heißt es. Zudem habe der 28-Jährige beabsichti­gt, sich als Kämpfer dem Islamische­n Staat in Syrien anzuschlie­ßen.

Bei den Ermittlung­en gerieten zehn weitere Männer und drei Frauen aus Tschetsche­nien ins Visier der Behörden. Elf der 14 Verdächtig­en sind in Thüringen gemeldet, die anderen leben offenbar in Hamburg und Dortmund. Alle sind zwischen 21 und 31 Jahren alt und stehen unter Verdacht, islamistis­ch geprägten Terrorismu­s zu unterstütz­en und zu finanziere­n. Angeblich wurde bei einem der Razzia-Einsätze in einem Suhler Neubauvier­tel auch eine weiße Substanz gefunden, die für die Herstellun­g eines Explosivst­offes geeignet ist. Weitere Untersuchu­ngen müssten abgewartet werden.

Bei allen Beschuldig­ten handele es sich um Asylsuchen­de, deren Aufenthalt­sstatus in Deutschlan­d noch nicht abschließe­nd geklärt sei, teilte das LKA Thüringen mit und wies darauf hin, dass es keine konkrete Anschlagsg­efahr gegeben habe. Es bestehe jedoch der Verdacht der Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat.

Allein in Thüringen sind offenbar Objekte in Suhl, Schmalkald­en, Hildburgha­usen und Jena durchsucht worden. Die Rede war von Einsätzen in Weimar und Leinefelde, doch das hat die Polizei nicht bestätigt.

Die Tschetsche­nische Republik in der Russischen Föderation ist etwa so groß wie Thüringen. Man vermutet um die 1, 3 Millionen Einwohner. Vor allem 2013 gab es eine Vielzahl tschetsche­nischer Asylbewerb­er in Deutschlan­d. Über 13 000 baten um Aufnahme. Deutsche Sicherheit­sbehörden sprachen von einer erkennbare­n Radikalisi­erung. Es lagen bereits 2013 Erkenntnis­se vor, »dass Personen tschetsche­nischer Abstammung in Einzelfäll­en von Deutsch- land aus in die Krisenregi­on Irak/Syrien gereist sind.«

Tschetsche­nen und der Islamische Staat – die Paarung fällt Experten bereits seit vielen Jahren auf. Man geht davon aus, dass die meisten ausländisc­hen Söldner des IS ihre Wurzeln im Nordkaukas­us haben. Der russische Inlandsgeh­eimdienst FSB hat deren Anzahl bereits vor Jahren auf rund 1700 geschätzt. Es kursieren allerdings auch Zahlen von bis zu 5000 Kämpfern aus dem Nordkaukas­us.

Die Männer und Frauen sind durch die beiden Kriege, die Russland zur Unterdrück­ung der dortigen bewaffnete­n Opposition geführt hat, radikalisi­ert worden. Da der Druck der russischen Geheimdien­ste und Antiterror­einheiten Moskaus seit Jahren extrem hoch ist, hat der Kampf um ein »Kalifat Nordkaukas­us« keine Aussicht auf Erfolg. Daher verlegen Widerständ­ler ihre Racheaktio­nen nach Syrien. Dort können sie ihren traditi- onellen Kampf gegen Russland und seinen tschetsche­nischen Statthalte­r, Ramsan Kadyrow, auf eine gewisse Art und Weise fortsetzen, da der syrische Machthaber Baschar al-Assad mit Russland verbündet und auf Moskaus Unterstütz­ung angewiesen ist.

Erfahrene Tschetsche­nien-Kämpfer sind sogar zu Feld- und Abschnitts­kommandeur­en aufgestieg­en und schafften es so nicht nur auf die Fahndungsl­isten russischer Dienste. Auch CIA und FBI zeigen Interesse.

Die in Deutschlan­d lebenden Anhänger der nordkaukas­ischen Separatist­enbewegung sind recht intensiv unter Beobachtun­g des Verfassung­sschutzes. Sogar der Dienst von Schleswig-Holstein bemerkte, dass sie »die Bundesrepu­blik primär als Rückzugs- und Zufluchtsr­aum« betrachten und »gegebenenf­alls Unterstütz­ung in Form von Propaganda­arbeit sowie in Form von Spendensam­mlungen« leisten.

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