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Schrille Wortwahl in Kiew

Wahlen in der Ostukraine weiter Streitpunk­t mit Russland / KP-Chef Sjuganow kritisiert Moskaus Politik

- Von Irina Wolkowa, Moskau

Sollte Moskau aus den Minsker Vereinbaru­ngen aussteigen, sei Kiew gezwungen, den Konflikt mit Russland »durch Krieg beizulegen«, drohte jetzt der ukrainisch­e Präsident Pjotr Poroschenk­o. Dieser Tage hat die Werchowna Rada – das ukrainisch­e Parlament – eine Resolution verabschie­det, die die Sowjetunio­n für die Entfesselu­ng des Zweiten Weltkriege­s verantwort­lich macht. Geht’s noch, fragten sich russische Online-Medien eher rhetorisch. Der Kreml und das Außenamt in Moskau äußerten sich bislang nicht zu den Kriegsdroh­ungen aus Kiew und überließen Politikwis­senschaftl­ern auch das Wort bei der eigenwilli­gen Interpreta­tion der Geschehnis­se 1939. Zudem: Kiew habe sich 1991 per Gesetz zum offizielle­n Rechtsnach­folger der Ukrainisch­en Sozialisti­schen Sowjetrepu­blik erklärt und trage daher Mitverantw­ortung für die Handlungen der Sowjetunio­n, so Wladimir Kornilow vom Zentrum für eurasische Studien. Er riet den ostslawisc­hen Brüdern zur Selbstanze­ige beim Internatio­nalen Strafgeric­htshof.

Beobachter erklären die schrillen Töne aus Kiew als Reaktion auf das Treffen im Normandie-Format vergangene Woche in Berlin. Thema war die Umsetzung der Abmachunge­n, auf die sich Kiew und die pro-russischen Separatist­en in der Ostukraine unter Aufsicht der Staats- und Regierungs­chefs Deutschlan­ds, Frankreich­s und Russlands Anfang 2015 im belarussis­chen Minsk einigten. In Berlin, so Moskauer Medien, hätten die Nerven blank gelegen. Bei aller Kritik an Russland hätten sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Frankreich­s Präsident Francois Hollande zu der Erkenntnis durchgerun­gen, dass derzeit Kiew der große Bremser sei. Gemeint sind vor allem die immer wieder verschoben­en Wahlen in den Rebellenre­gionen. Sie sollen zwar nach ukrainisch­em Recht stattfinde­n, würden aber die Separatist­en im Amt bestätigen und demokratis­ch legitimier­en – was Poroschenk­o wie seine Paten im Westen vermeiden wollen.

Moskau drängt auch mit Blick auf die nahende Wachablösu­ng im Weißen Haus auf Tempo. Man weiß, dass sowohl Hillary Clinton als auch Donald Trump Russland gegenüber eine härtere Gangart einschlage­n werden, in Syrien wie in der Ukraine. Moskau, schreibt die regierungs­kritische »Nowaja Gaseta«, wolle daher möglichst schnell und möglichst viele vollendete Tatsachen in den sogenannte­n Volksrepub­liken in der Ostukraine schaffen und setze dabei auf einen Hybridkrie­g aus geopolitis­chem Mus- kelspiel und TV-Propaganda. Auch gegenüber der eigenen Bevölkerun­g.

In der Tat: Der Krim-Konsens – Zustimmung aller relevanten sozialen Gruppen zum Russland-Beitritt der Schwarzmee­rhalbinsel – beginnt angesichts ausufernde­r Kosten zu bröckeln. »Siegestrun­ken« glaube die Kremlparte­i »Einiges Russland« im Besitz eines Blankosche­cks für eine ultraliber­ale Wirtschaft­spolitik zu sein, kritisiert­e KPRF-Chef Gennadi Sjuganow auf dem Parteitag am Wochenende. Noch mehr soziale Ungerechti­gkeit als Preis für eine unabhängig­e Außenpolit­ik sei mit den Kommuniste­n jedoch nicht zu machen.

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