Büßen, zahlen – und versöhnen?
Seit 20 Jahren versendet die Bußgeldstelle aus Gransee Geldforderungen
Kraftfahrer, die in Brandenburg beim Rasen erwischen werden, bekommen Post von der Zentralen Bußgeldstelle der Polizei. 39 Millionen Blatt Papier hat sie in 20 Jahren verschickt, 195 Tonnen.
Von Berlin aus gesehen liegt Gransee nördlich, auf halbem Weg nach Himmelport. Während man aber aus Himmelpfort gern Post bekommt, weil dort der Weihnachtsmann sein Postamt unterhält, ist das mit Gransee durchaus anders. Sitzt doch in dieser Kleinstadt im Landkreis Oberhavel die zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg.
Vor 20 Jahren ist das Amt in die Gemeinde gezogen, die mit einem Denkmal seit 150 Jahren an die Aufbahrung der toten Preußenkönigin Luise auf ihrem Marktplatz erinnert. Gransee war zu DDR-Zeiten eine Kreisstadt mit rund 4500 Einwohnern. Heute leben vielleicht noch 2500 Menschen in einer Art Großdorf, das aber jährlich zwischen 40 und 50 Millionen Euro an die Landeskasse überweist.
Wer hat noch nicht die Behauptung gehört, Polizei und Ordnungsamt würden in der Vorweihnachtszeit besonders eifrig Knöllchen verteilen – wahlweise um ihre Weihnachtsfeier zu finanzieren oder ihr 13. Monatsgehalt zu verdienen. In diesen zwei Jahrzehnten haben die Mitarbeiter der Bußstelle rund 19,5 Millionen Verkehrsverstöße bearbeitet und den Missetätern per Brief in Rechnung gestellt. Das war den Verantwortlichen am Dienstag einen Festakt wert. Und das mit dem 13. Monatsgehalt stimmt natürlich nicht.
Als vor vielen Hundert Jahren der deutsche König Heinrich im Winter nur im Hemd vor der Burg Canossa Buße tat, musste der Papst ihm nach drei Tagen das verzeihen. In Gransee ist man heute prosaischer. Für wimmernde Büßer vor der Tür hätte man dort kein Verständnis. Hier tut es die geforderte Geldüberweisung, die im Vergessens- oder Verweigerungsfall mit explosionsartig vergrößernden Mahngebühren nachdrücklich in Erinnerung gebracht wird. Das Innenministerium teilte mit, dass die dabei inzwischen versandten 39 Millionen Blatt Papier – übereinander gestapelt – eine Höhe von 4287 Metern ergeben und damit den höchsten Alpengipfeln Konkurrenz machen würden.
Nicht der Papst, wohl aber der Berliner Erzbischof Heiner Koch hatte beim Festakt in Gransee einen Zusammenhang zwischen weltlichen Strafzetteln und religiöser Buße hergestellt. In beiden Fällen sei die Voraussetzung die Freiheit des Menschen – und die Möglichkeit der zwischenmenschlichen Versöhnung, behauptete er trostspendend. Es gehe beim verhängten Bußgeld für einen Tempoverstoß nicht um Strafe der Strafe wegen. Aber es darf bezweifelt werden, dass alle Autofahrer zustimmen würden, als der Erzbischof an die Mitarbeiter gewandt erklärte: »Im Kern geht es auch in ihrer Dienststelle um Versöhnung, genauer: um zwischenmenschlich-gesellschaftliches Konfliktmanagement«.
Aller Versöhnung zum Trotz: Bei der Einnahmenhöhe muss eine Art Staatsplan erfüllt werden, das Geld der sündigen Verkehrsteilnehmer ist fest im Landeshaushalt eingeplant. Und es klang beinahe bedrohlich bei der Feier, als Innenminister KarlHeinz Schröter (SPD) sagte, er sei sicher, dass die Bußgeldstelle »noch weiteres Entwicklungspotenzial« habe. Angesichts der Abermillionen, die durch das Amt jedes Jahr eingenommen werden, kam es sicherlich von Herzen, als Schröter den Mitarbeitern »für ihren Einsatz« dankte.
Tatsächlich ist unfassbar, was sich im Zuge der Wende auf den Straßen Brandenburgs abgespielt hatte. Binnen eines Jahres schoss damals die Zahl der Verkehrstoten von 280 (DDR-Zeit) auf 960 hoch. Eine solche Vervierfachung spielte sich in allen neuen Ländern ab, sie ging in den folgenden Jahren auch nur sehr langsam zurück. Es ist quasi eine ganze Großstadt im Zuge der deutschen Einheit auf den Straßen Ostdeutschlands ausgerottet worden – die Polizei musste mit harten Bandagen kontern. Das war der Hintergrund, vor dem der Minister in Gransee konstatieren konnte, dass sich die 1996 eingerichtete Bußgeldstelle »zu einer leistungsfähigen und modernen Behörde mit einem hohen Stellenwert für die Verkehrssicherheitsarbeit im Land Brandenburg entwickelt« habe.
Der seither verzeichnete Rückgang der Verkehrstoten ist Schröter zufolge ein Ergebnis der flächendeckenden Verkehrsüberwachung durch die Polizei und der damit ver- bundenen konsequenten Ahndung von Verkehrsverstößen durch die Zentrale Bußgeldstelle. Mit etwa 100 getöteten Verkehrsteilnehmern je eine Million Menschen liegt Brandenburg aber immer noch weit über dem Bundesdurchschnitt (65).
Schröter wies mit Nachdruck den Vorwurf zurück, die Polizei betreibe mit ihren Kontrollen »Abzocke«. Im Grunde sei es ganz einfach: »Wer sich an die Regeln hält, muss auch nicht zahlen.« Solange aber Verkehrsteilnehmer die Regeln missachteten, nehme man »quasi zwangsläufig« Verwarn- und Bußgelder ein.
Vieles wird heute automatisiert bearbeitet – trotzdem schaut noch immer ein Mitarbeiter auf jedes einzelne Blitzer-Foto, sagte ein Ministeriumssprecher. Dabei werde dann kontrolliert, ob die Daten richtig vom Computer erfasst wurden. Aus Datenschutzgründen würden zudem mögliche Insassen auf dem BlitzerFoto unkenntlich gemacht.
Übrigens ahndet die Polizei auch Handy oder Alkohol am Steuer sowie das Missachten von Ampeln. Der ruhende Verkehr wird dagegen von den Kommunen überwacht.