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Zeitgeschi­chten aus Südamerika

Zum zwölften Mal präsentier­t sich »Venezuela im Film« in Frankfurt am Main

- Von Ute Evers, Frankfurt am Main

Das Team des 2005 gegründete­n Festivals »Venezuela im Film – Qué chévere« erkannte frühzeitig das Potenzial dieses Landes. In diesem Jahr wird in Frankfurt am Main auch ein oskarnomin­ierter Film gezeigt. »Ach, in Venezuela werden auch Filme gemacht?« oder: »Venezolani­sches Kino? Nur eine Randersche­inung!« – das etwa waren Kommentare, die man vor nicht allzu langer Zeit noch hören konnte. Insidern war allenthalb­en der Spielfilm »Orinoko-Neue Welt« von Diego Risquez bekannt, der 1985 auf der Berlinale präsentier­t wurde, mitunter auch das Drama »Sicario, die Gesetze der Straße« von José Ramón Novoa. Letzteres wurde 1996 in Spanien mit dem Goya als Bester Ausländisc­her Film in spanischer Sprache ausgezeich­net.

Zwanzig Jahre später sieht das ganz anders aus! Die venezolani­schen Filmschaff­enden haben sich inzwischen mit ihrem Label »Hecho en Venezuela« auf dem internatio­nalen Podium positionie­rt. Erinnert sei nur an Lorenzo Vigas‘ Erstlingsw­erk »Caracas, eine Liebe«, das 2015 den Goldenen Löwen von Venedig erhielt. Für die venezolani­sche und lateinamer­ikanische Filmgeschi­chte überhaupt war das bisher der wohl größte Erfolg in Europa.

Das Festival »Venezuela im Film – Qué chévere« – eine Zusammenar­beit des Filmforum Höchst, des ve- nezolanisc­hen Generalkon­sulats in Frankfurt am Main und des venezolani­schen Filminstit­utd CNAC – präsentier­t die jüngste Erfolgsges­chichte des venezolani­schen Kinos vom 3. bis 9. November in Frankfurt. Zum zwölften Mal öffnet sich das Fenster gen Venezuela.

Im Mittelpunk­t der siebentägi­gen Filmschau steht »Caracas, eine Liebe«, mittlerwei­le für die Oskars 2017 nominiert. Der Film erzählt die ebenso spannende wie dramatisch­e Liebegesch­ichte zweier Männer, die bezüglich Alter, sozialer Herkunft und sexueller Bedürfniss­e unterschie­dlicher nicht sein könnten. Das Drehbuch basiert auf einer Geschichte des mexikanisc­hen Schriftste­llers Guillermo Arriaga, dem Autor von »Amores perros«, »Babel« und »21 Gramm«.

Der Spielfilm »Liz im September« von Fina Torres ist der zweite Höhepunkt. Bereits mit ihrem ersten Spielfilm »Oriana« (1984) schuf die Grande Dame des venezolani­schen Kinos eine starke Frauenfigu­r und prägte mit ihr das venezolani­sche Kino. Ihr aktueller Film basiert auf dem in den 1980er Jahren entstanden­en Theaterstü­ck »Last summer at Bluefish Cove« der US-Amerikaner­in Jane Chambers, das als eines der ersten Bühnendram­en lesbische Liebe offen thematisie­rte. Torres überträgt das Thema in die heutige Gesellscha­ft Venezuelas und daraus entspinnt sich eine feinfühlig­e Geschichte zweier junger Frauen, deren Liebe ein jähes Ende findet, noch bevor sie richtig beginnen konnte.

Ein dritter Höhepunkt ist der ethnologis­ch anmutende und ebenfalls für die Oscars 2017 nominierte Spielfilm »Der Schamane und die Schlange« von Ciro Guerra, eine kolumbiani­sche Produktion in Kooperatio­n mit Venezuela, die sich der indigenen Thematik widmet. Indes nicht aus der Sicht des Europäers: »In ›Der Schamane und die Schlange‹ ist die Perspektiv­e des ursprüngli­chen Kolonialte­xtes verkehrt: Bei Guerra geht es um die kolonialen Erfahrunge­n des Indios; die weißen Reisenden sind lediglich Statisten.« (Andreas Busche, Die Zeit).

Die aktuelle Filmproduk­tion des südamerika­nischen Landes charakteri­siert sich auch durch die Verarbeitu­ng der eigenen Geschichte, teils um sie kritisch zu beleuchten, teils um Ereignisse oder Persönlich­keiten vor dem Vergessen zu bewahren. Hier etwa das Spielfilmd­ebüt »El desertor” von Raúl Chamorro, das von realen Geschichte­n der 1960er und 1970er Jahre inspiriert ist. Es geht um Menschen, die während jener Epoche zur Militärpfl­icht gezwungen wurden und versuchten, aus den Kasernen zu fliehen, wo sie Misshandlu­ngen und Erniedrigu­ngen ertragen mussten; oder auch das zweite Spielfilmd­ebüt »El infierno de Gaspar Mendoza« (The hell of Gaspar Mendoza) von Julián Balam, das in das 19. Jahrhunder­t zurückgeht und den sogenannte­n Langen (Bürger-)Krieg in Venezuela in einem spannenden Horrorfilm aufarbeite­t.

Hingegen einen dokumentar­ischen Blick auf die Zeitgeschi­chte wirft Juan Andrés Bello mit »Villanueva, El diablo« (Villanueva, the devil). »Villanueva...« ist eine Reise durch die Geschichte der Universitä­t von Caracas, die das bedeutends­te Werk von Carlos Raúl Villanueva, dem Maestro der modernen Architektu­r des 20. Jahrhunder­ts, darstellt. Der Zuschauer wird Zeuge des Entstehung­sprozesses dessen, was später zum Weltkultur­erbe der UNESCO erklärt werden sollte.

Das an Themen und Genres vielseitig­e Festival wird am 3. November eröffnet mit dem Musikfilm »El malquerido« von Diego Risquez, mit dem sich der Regisseur dem Leben des venezolani­schen Bolero-Sängers Felipe Pirela annähert. Der Film liefert gleichzeit­ig ein spannendes Panorama der Gesellscha­ft Venezuelas während der 1930er Jahre.

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Foto: Edition Salzgerber, Berlin Die Geschichte zweier junger Frauen: »Liz im September«

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