Zwischen Männern und anderen Primaten
In Weimar macht Tobias Kratzer aus Rossinis »Italienerin in Algier« ein Affentheater
Dass sich die Herren der Schöpfung manchmal wie die Affen-Männchen benehmen, demonstriert gerade eines ihrer Musterexemplare im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Um dieses Gehabe, das eher den Ordnungen in einem Affenrudel als selbstbestimmtem, zivilisiertem menschlichen Handeln folgt, geht es im Grunde auch in Gioachino Rossinis »Italienerin in Algier«. So sehen jedenfalls Regisseur Tobias Kratzer und sein Ausstatter Rainer Stellmaier das, was sich heutzutage aus der flotten komischen Oper aus dem Jahre 1813 an Bühnennektar saugen lässt. Also geben sie einfach ihrem KomödiantenAffen Zucker. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Denn das Personal in diesem Opern-Algier stammt geradewegs vom Planeten der Affen. Ein computerbestücktes modernes Labor haben sie und ein ziemliches Interesse an der Spezies Mensch. Wenn sich da zum Beispiel ein Italiener wie Lindoro hinverirrt, dann schnappen sie sich ihn. Und untersuchen ihn auf Herz und Nieren bzw. Haare und Speichel. Der Chef des Ganzen, ein großer, dicker Affe namens Mustafà, will vor allem wissen, wie das mit dem Herzpochen und der Liebe funktioniert. Seine Affenfrau Elvira hat er jedenfalls satt, will sie loswerden und praktischerweise mit Lindoro verkuppeln. Etwas voran kommt er mit seinen Studien, denn am Ende, wenn der ganze Zauber vorbei ist und die Menschen entkommen sind, legt er sein Ohr an die Brust seiner Elvira.
Die ziemlich schnuckelige Isabella, die zusammen mit ihrem Verehrer Taddeo den Affen ins Labor gefolgt war, hat er sich einmal zurechtgemacht wie Josephine Baker. Mit einem Bananengürtel zum Anbeißen. Kein Wunder, denn Isabella ist eine der aufregendsten Frauen in Rossinis Opern. Sie schafft es tatsächlich, sich unter den Primaten (bzw. Männern) zu behaupten, ja sie um den Finger zu wickeln, dabei bella figura zu machen und das Komödienkarusell in Schwung zu bringen.
Vor der Ouvertüre lässt Kratzer in einer Einspielung keinen geringeren als Martin Heidegger über das Verhältnis der Menschen und der Sprache zum Sein philosophieren – grad so, als ob es Marx nie gegeben hätte. Aber dann startet der zweite Kapellmeister Dominik Beykirch (25) am Pult Staatskapelle mit der ProseccoMusik Rossinis, lässt sie perlen und aufschäumen, aber sich auch an jedes Parlando und jede Koloratur anschmiegen. Und alle ziehen mit. Schlagen sich auf die Affenbrust oder machen selbst in Unterwäsche eine gute Figur.
Die beste, und das in jeder Beziehung, ist, ganz wie es sich gehört, die Isabella der in den USA geborenen Tamara Gura, die sich in den letzten zehn Jahre in die erste Riege der Mezzos vorgearbeitet hat. Wer sie hört und sieht, merkt sofort, warum. Auch sonst hat Weimar für die erste Produktion mit dem gerade generalüberholten Orchestergraben ein fabelhaftes Ensemble beisammen. Milos Bulajic hat genau das Rossini-Tenor-Stehvermögen für einen bestechenden Lindoro. Alik Abdukayumov ist Isabellas Reisebegleiter Taddeo und Uwe Schenker-Primus der Mustafà unter der Affenmaske. Dass Taddeo auf einen Affenbaum klettern muss, als er mit dem Fantasietitel »Kaimakan« geehrt bzw. veralbert wird, und sich Mustafà in einen Frack gezwängt an eine gedeckte Tafel setzen und weder hören, noch sehen soll, wie sich die Italiener dünne machen, gehört zur Grundausstattung der Komödie, ob mit oder ohne Affenkostüm. Regisseur Tobias Kratzer hat sich u.a. mit seinem Weimarer »Lohengrin« 2013 längst als nächster »Tannhäuser«-Regisseur für Bayreuth (2019) qualifiziert. Mit der Italienerin jetzt auch für die Komödie! Nächste Vorstellung am 29.10.