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Zwischen Männern und anderen Primaten

In Weimar macht Tobias Kratzer aus Rossinis »Italieneri­n in Algier« ein Affentheat­er

- Von Roberto Becker

Dass sich die Herren der Schöpfung manchmal wie die Affen-Männchen benehmen, demonstrie­rt gerade eines ihrer Musterexem­plare im amerikanis­chen Präsidents­chaftswahl­kampf. Um dieses Gehabe, das eher den Ordnungen in einem Affenrudel als selbstbest­immtem, zivilisier­tem menschlich­en Handeln folgt, geht es im Grunde auch in Gioachino Rossinis »Italieneri­n in Algier«. So sehen jedenfalls Regisseur Tobias Kratzer und sein Ausstatter Rainer Stellmaier das, was sich heutzutage aus der flotten komischen Oper aus dem Jahre 1813 an Bühnennekt­ar saugen lässt. Also geben sie einfach ihrem Komödiante­nAffen Zucker. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn das Personal in diesem Opern-Algier stammt geradewegs vom Planeten der Affen. Ein computerbe­stücktes modernes Labor haben sie und ein ziemliches Interesse an der Spezies Mensch. Wenn sich da zum Beispiel ein Italiener wie Lindoro hinverirrt, dann schnappen sie sich ihn. Und untersuche­n ihn auf Herz und Nieren bzw. Haare und Speichel. Der Chef des Ganzen, ein großer, dicker Affe namens Mustafà, will vor allem wissen, wie das mit dem Herzpochen und der Liebe funktionie­rt. Seine Affenfrau Elvira hat er jedenfalls satt, will sie loswerden und praktische­rweise mit Lindoro verkuppeln. Etwas voran kommt er mit seinen Studien, denn am Ende, wenn der ganze Zauber vorbei ist und die Menschen entkommen sind, legt er sein Ohr an die Brust seiner Elvira.

Die ziemlich schnuckeli­ge Isabella, die zusammen mit ihrem Verehrer Taddeo den Affen ins Labor gefolgt war, hat er sich einmal zurechtgem­acht wie Josephine Baker. Mit einem Bananengür­tel zum Anbeißen. Kein Wunder, denn Isabella ist eine der aufregends­ten Frauen in Rossinis Opern. Sie schafft es tatsächlic­h, sich unter den Primaten (bzw. Männern) zu behaupten, ja sie um den Finger zu wickeln, dabei bella figura zu machen und das Komödienka­rusell in Schwung zu bringen.

Vor der Ouvertüre lässt Kratzer in einer Einspielun­g keinen geringeren als Martin Heidegger über das Verhältnis der Menschen und der Sprache zum Sein philosophi­eren – grad so, als ob es Marx nie gegeben hätte. Aber dann startet der zweite Kapellmeis­ter Dominik Beykirch (25) am Pult Staatskape­lle mit der ProseccoMu­sik Rossinis, lässt sie perlen und aufschäume­n, aber sich auch an jedes Parlando und jede Koloratur anschmiege­n. Und alle ziehen mit. Schlagen sich auf die Affenbrust oder machen selbst in Unterwäsch­e eine gute Figur.

Die beste, und das in jeder Beziehung, ist, ganz wie es sich gehört, die Isabella der in den USA geborenen Tamara Gura, die sich in den letzten zehn Jahre in die erste Riege der Mezzos vorgearbei­tet hat. Wer sie hört und sieht, merkt sofort, warum. Auch sonst hat Weimar für die erste Produktion mit dem gerade generalübe­rholten Orchesterg­raben ein fabelhafte­s Ensemble beisammen. Milos Bulajic hat genau das Rossini-Tenor-Stehvermög­en für einen bestechend­en Lindoro. Alik Abdukayumo­v ist Isabellas Reisebegle­iter Taddeo und Uwe Schenker-Primus der Mustafà unter der Affenmaske. Dass Taddeo auf einen Affenbaum klettern muss, als er mit dem Fantasieti­tel »Kaimakan« geehrt bzw. veralbert wird, und sich Mustafà in einen Frack gezwängt an eine gedeckte Tafel setzen und weder hören, noch sehen soll, wie sich die Italiener dünne machen, gehört zur Grundausst­attung der Komödie, ob mit oder ohne Affenkostü­m. Regisseur Tobias Kratzer hat sich u.a. mit seinem Weimarer »Lohengrin« 2013 längst als nächster »Tannhäuser«-Regisseur für Bayreuth (2019) qualifizie­rt. Mit der Italieneri­n jetzt auch für die Komödie! Nächste Vorstellun­g am 29.10.

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