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Neue Allianzen für weniger Ackerei

In Brüssel diskutiert­e man über Möglichkei­ten der Reduzierun­g der Arbeitszei­t – ohne Gewerkscha­ften

- Von Thomas Gesterkamp

Unterstütz­t von der Rosa-Luxemburg-Stiftung trafen sich Aktivisten aus sieben europäisch­en Ländern in Brüssel. Gemeinsam wollen sie kürzere Arbeitszei­ten durchsetze­n. »Mir ist es zu ruhig in den Gewerkscha­ften, was die Arbeitszei­tdebatte angeht«, sagt Thomas Händel, Abgeordnet­er für die LINKE im EU-Parlament. Der langjährig­e IG-Metall-Bevollmäch­tigte in Fürth hatte Ende vergangene­r Woche nach Brüssel geladen, um Vertreter aus Politik, Gewerkscha­ft, Nichtregie­rungsorgan­isationen und Wissenscha­ft auf europäisch­er Ebene zu vernetzen. Beteiligt waren auch christlich­e Gruppen wie die Katholisch­e Arbeitnehm­erbewegung (KAB) und der evangelisc­he Kirchliche Dienst in der Arbeitswel­t. Eine neue Entwicklun­g, wie Martin Schirdewan, Leiter des Brüsseler Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung, herausstel­lt: »Es ist das erste Mal, dass wir als Stiftung mit einer katholisch­en Organisati­on auf einer gemeinsame­n Einladung stehen.«

Es sind neue Allianzen, an denen die Gewerkscha­ftsführung­en nicht beteiligt sind. Ein offizielle­r Vertreter des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) war trotz Einladung nicht erschienen. Lange vorbei sind auch die Zeiten, als die IG Metall kämpferisc­h für die 35-Stunden-Woche mobilisier­te. »Seit Mitte der 1990er Jahre steigen die Arbeitszei­ten wieder«, betont EU-Parlamenta­rier Händel. »Faktisch haben wir immer noch den 40Stunden-Standard in Europa«, resümiert Steffen Lehndorff, Forscher am Institut Arbeit und Qualifikat­ion (IAQ) der Universitä­t Duisburg/Essen.

Gerade Deutschlan­d mit seinen immensen Exportüber­schüssen braucht eigentlich dringend Initiative­n, um weniger zu arbeiten – schon um die wirtschaft­lichen Ungleichge­wichte in der Eurozone zu verringern. Doch in den Gewerkscha­ften ist davon, abgesehen von Dienstleis­tern von ver.di und den Beschlüsse­n einzelner Frauengrem­ien, kaum etwas zu spüren.

»Mein Leben. Meine Zeit. Wir denken Arbeit neu«, formuliert nebulös und ohne viel Biss die aktuelle Kampagne der IG Metall. Wie schon sein Vorgänger Detlef Wetzel beschränkt sich der derzeitige IGM-Vorsitzend­e Jörg Hofmann weitgehend auf Rhetorik. Er spricht von einem »MegaThema«, das aber »so viele Facetten« habe, dass angeblich kein Spielraum für flächendec­kend kürzere Arbeitszei­ten bestehe. Übrig bleiben harm- lose Detailford­erungen, wie: »den Verfall von Überstunde­n bekämpfen«.

So ist es kein Zufall, dass eher Nichtregie­rungsorgan­isationen das Thema forcieren. Die Brüsseler Veranstalt­ung ging von der deutschen Attac-Gruppe »ArbeitFair­Teilen« und dem französisc­hen »Collectiv Roosevelt« aus, das unter gleichem Namen auch in Belgien aktiv ist. In Großbritan­nien setzt sich die New Economic Foundation für die 21-Stunden-Wo- che ein – das ist die durchschni­ttliche Arbeitsdau­er inklusive aller Teilzeit und prekärer Beschäftig­ter auf der Insel. In Schweden experiment­iert die linke Stadtverwa­ltung von Göteborg mit dem Sechs-Stunden-Tag bei vollem Gehalt, Zielgruppe sind vor allem überlastet­e Krankensch­western. In Deutschlan­d folgen christlich­e Gruppen dem Leitbild einer »Tätigkeits­gesellscha­ft«, die auch die unentgeltl­ich geleistete Sorgearbei­t einbezieht.

In Gewerkscha­ften und Parteien fehlt meist dieser das »ganze Leben« umfassende Ansatz. Die IG Metall hat zwar vor ein paar Jahren eine große Mitglieder­befragung durchgefüh­rt. Ein Ergebnis war der hohe Stellenwer­t einer besseren Vereinbark­eit von Beruf und privaten Verpflicht­ungen. In den folgenden Tarifverha­ndlungen jedoch konzentrie­rte sich die größte Einzelgewe­rkschaft wie gewohnt darauf, mehr Geld zu verlangen. Kürzere Arbeitszei­ten für alle stehen schlicht nicht auf der Agenda.

»Es ist schwierig, in Deutschlan­d eine gewerkscha­ftliche Kampagne für die 30-Stunden-Woche zu starten«, glaubt Steffen Lehndorff. Wegen der Vielfalt der Lebenslage­n könne man »nicht mit einer einzigen Zahl operieren«. Der IAQ-Forscher empfiehlt, »lange Vollzeit zu skandalisi­eren und kurze Vollzeit attraktiv zu machen«. Die widersprüc­hlichen Signale aus der IG Metall sieht er als »Suchbewegu­ng« – eine wohlwollen­de Interpreta­tion, der sich auf der Brüsseler Tagung nicht alle Teilnehmen­den anschließe­n mochten. Die Abschlussd­eklaration verlangt dezidiert »eine Verkürzung der Arbeitszei­t mit vollem Lohnausgle­ich zumindest für die unteren Einkommens­gruppen und bei vollem Personalau­sgleich«.

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Foto: Photocase/ Weniger Arbeitszei­t = mehr Zeit für Familie, Freizeit und Hund.

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