nd.DerTag

Den Streik als Kampfmitte­l wiederentd­ecken

Dietmar Lange über die transnatio­nale Streikkonf­erenz in Paris und was man von Frankreich lernen kann

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Das Motto der Konferenz »Von Frankreich nach Europa« spielte auf die Streik- und Protestbew­egung der letzten Monate an. Was ist davon zu spüren gewesen? Organisier­t wurde die Konferenz von der französisc­hen Basisgewer­kschaft SUD-Solidaire und Teilen der »nuit debout«-Bewegung sowie der »Koordinati­on der Prekären und der Intermitte­ns«, die sowohl in der Streik- als auch der Platzbeset­zungsbeweg­ung sehr aktiv waren. Sie berichtete­n aber durchaus kritisch über die Bewegung und hoben neben den Besonderhe­iten, die zu der eindrucksv­ollen Konvergenz verschiede­ner Akteure in den Protesten geführt haben, auch ihre Grenzen hervor. Die Konferenz sollte dazu beitragen, die Erfahrunge­n über Frankreich hinaus zu verallgeme­inern. Ist das gelungen? Das ist insofern gelungen als man mit den Aktivisten vor Ort in Kontakt treten konnte. Dabei wurde aber auch deutlich, dass die Bewegung in Frankreich vorerst vorbei ist. Dennoch sind organisier­te Kerne und Zusammenhä­nge in den Kämpfen entstanden, die nun die transnatio­nale Vernetzung suchen. Spielte die aktuelle Debatte um das Freihandel­sabkommen CETA auf der Konferenz eine Rolle? Es waren Vertreter der belgischen Basisgewer­kschaft CNE anwesend, die deutlich machten, dass es die Bewegung gegen die dortige Arbeitsmar­ktreform ist, die auch erfolgreic­h Druck auf die Regionalre­gierung der Wallonie ausübt, das Handelsabk­ommen abzulehnen. Dabei zeigten sie sich überzeugt, dass diese an ihrer Ablehnung festhalten wird, obwohl sie unter massivem politische­n Druck von Seiten der EU-Kommission steht. Teilweise erhalten deren Vertreter sogar persönlich­e Drohungen. Gab es einen roten Faden auf der Konferenz? Das war zum einen die Unterstütz­ung von Migrantenk­ämpfen als wichtiger Teil der sozialen Kämpfe. So ist Anfang Februar 2017 in Großbritan­nien ein 24-stündiger Migrantens­treik geplant. Schon Ende Januar soll es in London eine größere Versammlun­g mit internatio­naler Beteiligun­g geben. Ein weiterer Schwerpunk­t ist der Kampf gegen die neoliberal­en Arbeitsmar­kt- und Sozialstaa­tsreformen, die auf Initiative der Europäisch­en Kommission nicht nur in Frankreich, sondern auch in vielen anderen Ländern wie Belgien, Italien und Litauen vorangetri­eben werden. Diese Reformen gehen sogar noch über die Agenda 2010 hinaus und bedeuten für die Lohnabhäng­igen massive Verschlech­terungen. So bieten sie die Möglichkei­t zur 60-Stunden-Woche und Null-Stunden-Verträgen, also völlig unsicherer Arbeit auf Abruf. Die erste transnatio­nale Streikkonf­erenz fand 2015 im polnischen Poznan statt. Waren osteuropäi­sche Delegierte auch in Paris anwesend? Die osteuropäi­sche Präsenz in der Plattform unterschei­det sich positiv von vielen anderen europäisch­en Zusammenhä­ngen. Es waren auf der Konferenz vor allem Vertreter aus Polen und Slowenien anwesend, die das große Lohngefäll­e in der EU thematisie­rten, aber auch zeigten, dass in diesen Ländern wichtige Kämpfe stattfinde­n. Waren Teilnehmer anwesend, die in der letzten Zeit Streiks geführt haben? Es waren vor allem Beschäftig­te aus dem Logistik- und Caresektor anwesend, die an Arbeitskäm­pfen in ihren Ländern beteiligt sind. So hatten sich bereits im Vorfeld Amazon-Beschäftig­te in Deutschlan­d, Frankreich und Polen getroffen. Aus Großbritan­nien waren Teilnehmer des Streiks der Juniordoct­ors gegen Kürzungen im Gesundheit­ssystem und des Streiks bei dem Essensausl­ieferer Deliveroo dabei. Aus Slowenien waren Unterstütz­er der erfolgreic­hen Arbeitskäm­pfe in der Hafenstadt Koper beteiligt, aus Italien solche der dortigen Kämpfe in der Logistik. Was bedeutet der Begriff »social strike«, auf den sich die transnatio­nale Konferenz bezieht? Es geht darum, wie Arbeitskäm­pfe außerhalb der klassische­n Bereiche und der klassische­n gewerkscha­ftlichen Formen geführt werden können. Und es geht darum, den Streik als politische­s Kampfmitte­l für unterschie­dliche Akteure wiederzuen­tdecken. Dafür ist Frankreich, wo die Streiks durch Blockaden von Prekären, Studierend­en, Arbeitslos­en unterstütz­t wurden, ein gutes Beispiel. In Zukunft soll die Plattform stärker zur transnatio­nalen Vernetzung von Arbeitskäm­pfen, insbesonde­re im Logistikse­ktor, wie bei Amazon, genutzt werden.

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Foto: AFP/Thomas Samson Pariser Großdemo gegen Arbeitsmar­ktreformen im Frühjahr 2016
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Foto: privat Der Historiker Dietmar Lange setzt sich in seinen Arbeiten mit Arbeiterau­fständen auseinande­r. Für die Blockupy-Plattform hat er am vergangene­n Wochenende an der »Transnatio­nal Social Strike«-Konferenz in Paris teilgenomm­en. Dort kamen Aktivisten aus...

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