Polizei durchsucht linke Hausprojekte
140 Beamte allein in Berlin im Einsatz / Ermittlungen auch in Leipzig
Berlin. Die Polizei hat am Mittwoch in Berlin mehrere linke Hausprojekte durchsucht – insgesamt 140 Beamte waren in Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain und Wedding im Einsatz. Die Behörden begründeten die Aktion mit der Suche nach Verursachern von Sachbeschädigungen und nach Werfern von »Handzetteln«; ermittelt werde wegen schweren Landfriedensbruchs im Umfeld der widerrechtlichen Räumung der »Kadterschmiede« in der Rigaer Straße 94 und anschließender Proteste.
Rechtsanwalt Martin Henselmann sagte dem »nd«, die Durchsuchungen bezögen sich auf eine Soli-Fahrraddemo für die Rigaer Straße im Juli in Kreuzberg und Neukölln. Dabei seien Fensterscheiben und Hausfassaden beschädigt worden. Die Staatsanwaltschaft sprach von einem Sachschaden von etwa 10 000 Euro. Wie die Polizei später mitteilte, war sie in der Sache auch in Leipzig aktiv. Insgesamt wurden 14 Wohn- und Geschäftsräume von acht Frauen und sechs Männern durchsucht.
Unliebsame Überraschungen im Morgengrauen in linken Hausprojekten. Vorwurf: Sachbeschädigung und Handzettelwurf. In mehreren Berliner Stadtteilen hat die Polizei am Mittwoch ab sieben Uhr früh insgesamt 13 Wohnungen in linken Hausprojekten und Geschäftsräume durchsucht. Außerdem wurde »eine Örtlichkeit in Leipzig« durchsucht, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft am Mittag in einer gemeinsamen Presseerklärung mit. Ermittelt wurde gegen 14 Tatverdächtige, davon acht Frauen und sechs Männer. »In Berlin wurden fünf Personen angetroffen«, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Die Beschuldigten sollen an einem Fahrradkorso durch Kreuzberg und Neukölln teilgenommen haben, der am Abend des 5. Juli am U-Bahnhof Südstern startete. »Es gab Musik, Körbe mit Farbeiern und Weihnachtsbaumkugeln, Flyer und es schien als wäre die Route nicht spontan gewählt«, heißt es in der Darstellung der Demo aus Teilnehmersicht auf der Internetseite »linksunten.indymedia.org«. »So starteten 80 Menschen laut rufend in den Bergmannkiez, beklecksten die alte Hausverwaltung der R94 (Belima), Banken und Neubauten bis zur Dresdner Straße mit Farbe«, heißt es weiter. Die Beschuldigten, bei denen die Hausdurchsuchungen stattfanden, sollen teilweise vermummt »diverse Sachbeschädigungen mit einem Sachschaden von insgesamt rund 10 000 Euro begangen haben«, lautet die weniger fröhliche Einschätzung der Vorgänge an diesem Sommerabend durch die Staatsanwaltschaft.
Die Fahrraddemo im Juli sollte Solidarität mit dem Hausprojekt »Rigaer 94« ausdrücken. Knapp zwei Wochen vorher, am 22. Juni, wurde die hauseigene linke Szenekneipe »Kadterschmiede« mit Hilfe der Polizei durch beauftragte Bauunternehmer des Hausbesitzers geräumt. Das Vorgehen war illegal, wie inzwischen gerichtlich bestätigt wurde.
139 Beamte waren unter anderem in der Braunschweiger Straße in Neukölln, der Reichenberger Straße in Kreuzberg, der Kreutzigerstraße in Friedrichshain sowie in Gebäuden in Tempelhof, Gesundbrunnen und Wedding im Einsatz. Vorgeworfen wird den Beschuldigten schwerer Landfriedensbruch. Konkret werde nach Verursachern von Sachbeschädigung und dem Werfen von »Handzetteln« gesucht.
»Um 7 Uhr früh wurde es sehr laut im Hof des Hauses. Es hat mehrmals geknallt«, berichtet ein Nachbar über die Durchsuchung in der Reichenberger Straße, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. »Die Polizei hat mit einem Rammbock die Tür der Wohnung aufgebrochen«. Auch eine Anwältin sei vor Ort gewesen, die von der Polizei zunächst nicht in die Wohnung gelassen worden sei. Nicht zu Hause waren jedoch die eigentlichen Bewohner. »Mindestens ein Computer wurde dann mitgenommen«, berichtet der Anwohner. Er zählte bei dem Einsatz rund 20 uniformierte Beamte sowie sieben weitere Personen in Zivilkleidung. »Als die Polizei fertig war, wurde die Tür nur notdürftig mit einem Vorhängeschloss gesichert«, berichtet der Augenzeuge. Das sei geradezu eine Einladung für Einbrecher.
»Es wurde ein großer Aufwand betrieben«, schätzt Initiativen-Anwalt Martin Henselmann ein, der mit mehreren Betroffenen telefonischen Kontakt hatte. In mindestens einem Fall war auch ein Staatsanwalt vor Ort. Auch die Türaufbrüche, Hensel- mann sind zwei weitere bekannt, hält er für nicht gerechtfertigt. »In der Regel wird so etwas nur bei bekanntermaßen schwer gewalttätigen Beschuldigten gemacht, bei denen Gefahr für die eingesetzten Polizisten besteht«, sagt er. »Mir ist aus meiner Praxis und der von Kollegen nicht bekannt, dass es in solchen Situationen aus diesem Beschuldigtenkreis Angriffe auf Beamte gegeben hätte«, sagt er. Bei der Staatsanwaltschaft heißt es, dass ihr eine Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Vorgehens nicht zustehe, immerhin habe ein Richter die Durchsuchungen genehmigt.
Die Sache werde von Seite der Strafverfolgungsbehörden »recht hoch gehängt«, findet Henselmann. »Das soll wohl eine Abschreckungswirkung auf die Öffentlichkeit haben«, zumal die Beschuldigten recht jung seien. »Da wird etwas getan gegen die vermeintliche Gefahr, die selber heraufbeschworen wurde.«
»Das soll wohl eine Abschreckungswirkung auf die Öffentlichkeit haben.« Martin Henselmann, Anwalt