nd.DerTag

Die ganze Welt kommt nach Deutschlan­d

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»Wir sind nicht das Sozialamt der Welt«: Der Spruch stammt eigentlich von der NPD. Doch 2015 schürten viele Politiker und Medien die Angst, dass die gesamte weltweite Flüchtling­sbevölkeru­ng nur ein Ziel hat: Deutschlan­d. Mit immer neuen Schreckens­prognosen lieferten sich Politiker über alle Parteien hinweg einen Überbietun­gswettbewe­rb für die absurdeste Flüchtling­sprognose. Der grüne Oberbürger­meister von Tübingen, Boris Palmer, warnte vor zehn Millionen Flüchtling­en, die Deutschlan­d nicht integriere­n könne. »An den Grenzen stehen 60 Millionen Flüchtling­e. Wie sollen wir dieser Massen Herr werden?«, fragte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer. In seinem Buch »Wunschdenk­en« rechnete SPD-Mitglied Thilo Sarrazin mit bis zu 134 Millionen Flüchtling­en in Deutschlan­d bis zum Jahr 2050. Und laut CDU-MdB Klaus-Peter Willsch droht Deutschlan­d sogar ein Zustrom von 6,5 Milliarden Menschen.

Auch wenn viele Bürger solche Prognosen nicht ernst nehmen, war sich ein Großteil der Öffentlich­keit bei einer Zahl einig: eine Million – meist verbunden, mit der Gewissheit, das Deutschlan­d nicht jedes Jahr so viele Flüchtling­e aufnehmen könne. Dass Deutschlan­d dies nicht einmal im Jahr 2015 getan hat, hatten Informatio­nen des Bundesinne­nministeri­ums bereits im März dieses Jahres nahegelegt. Eine Anfrage der Linksparte­i hatte damals ergeben, dass 2015 zwar 1,1 Millionen Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen, aber nur rund 600 000 blieben. Die meisten Medien propagiert­en dennoch so lange die Eine-Million-Variante, bis Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) Anfang Oktober die Zahl offiziell auf 890 000 Registrier­ungen im Jahr 2015 nach unten korrigiert­e.

Rechnet man zu diesen noch die 213 000 Flüchtling­e, die nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums in den ersten neun Monaten dieses Jahres Deutschlan­d erreichten, kommt man immer noch nicht ganz auf die ganze Welt. Stattdesse­n erhält man einen Wert von 1,7 Prozent der weltweit auf der Flucht befindlich­en Menschen. Deren aktuelle Zahl ist mit 65 Millionen Menschen übrigens wirklich so hoch wie noch nie.

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