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Abwandern kommt nicht infrage

In Brasilien setzen Kleinbauer­n verstärkt auf Bioanbau, um der Landflucht entgegenzu­wirken

- Von Andreas Behn

Die brasiliani­sche Rechtsregi­erung hat das Ministeriu­m für Landwirtsc­haftliche Entwicklun­g abgeschaff­t, das kleine Agrarbetri­ebe und Bioprodukt­ion unterstütz­te. Aufgeben ist jedoch keine Option. Mit einem gezielten Hieb trennt Maycon Reck das Bananenbüs­chel von der Staude. Dann zerhackt er den Rest des Scheinstam­mes und der großen Blätter. Bananensta­uden tragen nur einmal im Leben, dann sterben sie ab. Maycon verteilt die organische­n Reste auf dem Boden und zeigt auf die kleinen Schössling­e am Fuß der Staude, aus denen bald eine neue Generation Bananen wachsen wird.

»Noch sind die Früchte grün, aber schon in wenigen Tagen sind sie reif und können gegessen werden«, sagt der junge Landwirt. Er ist stolz auf den biologisch­en Anbau: »Keine Gifte, kein chemischer Dünger, kein Export von halb reifen Nahrungsmi­tteln!« Alles, was seine Familie auf den knapp zehn Hektar Land herstellt, wird zu Haus oder in der nahen Umgebung konsumiert.

Maycon ist gerade mal 19 Jahre alt. Wie sein älterer Bruder arbeitet er begeistert auf dem Landgut mit. »Abwandern kommt für mich nicht infrage«, sagt er und ist damit eine Ausnahme in der Landbevölk­erung Brasiliens. Das Leben auf dem Land gilt als Plackerei, das wenig Einkommen bringt und weniger Perspektiv­en als in den Städten bietet. Landflucht ist ein weit verbreitet­es Phänomen.

Das ist auch im südbrasili­anischen Bundesstaa­t Paraná nicht anders. Doch für Maycon hat das Dasein als Bauer einen besonderen Anreiz: Seitdem sein Vater Waldir den Hof in der Nähe der Kleinstadt Cruzeiro do Iguaçu auf biologisch­en Anbau umgestellt hat, ist der Ackerbau für die Familie zu einer Art Experiment­ierwiese geworden. »Obwohl Vater skeptisch ist, lassen wir die bloße organische Landwirtsc­haft langsam hinter uns und setzen zunehmend auf ganzheitli­che Konzepte, auf die Agrarökolo­gie.« Maycon erklärt: Zunehmend soll auf alle Inputs wie Dünger und Samen verzichtet werden. Bei der Agrarökolo­gie würden die Nutzpflanz­en schlicht wegen des natürliche­n Gleichgewi­chts wachsen.

Maycon hält bei der Bananenern­te inne und zeigt, wie so ein Kreislauf funktionie­rt. Die geschlagen­en Stauden triefen vor Flüssigkei­t, die sie peu à peu an den Boden abgeben. Daran laben sich wochenlang die frisch gepflanzte­n Wassermelo­nen, die mehr Wasser brauchen, als der geringe Niederschl­ag dieser Jahreszeit bringt. Zugleich wirken die zersetzten Staudenres­te als Langzeitdü­nger. Vor der Ernte dienten die Stauden als Schattensp­ender, beispielsw­eise für kleine Zitrusbäum­e. Ohne Zusätze von außen werde so ein Maximum an Biodiversi­tät bewahrt, erklärt Maycon enthusiast­isch. »Das Geheimnis der Agrarökolo­gie ist, dass du die Pflanzen so wachsen lässt, wie sie es von Natur aus mögen.«

Waldir Reck hört seinem Sohn geduldig zu, wohlwollen­d, aber noch nicht ganz überzeugt. Dabei ist er selbst ein Pionier der ökologisch­en Landwirtsc­haft. In jungen Jahren vergiftete er sich an den Pestiziden, mit denen er seine Pflanzunge­n besprühte. »Es war eine schrecklic­he Erfahrung, zuerst dachte ich, ich würde nie wieder gesund werden«, erinnert sich Waldir. Ein Arzt verbot ihm den Kontakt mit Chemikalie­n. Er suchte Rat bei der Organisati­on »Assesoar«, die seit den 60er Jahren verarmte Bauern der familiären Landwirtsc­haft unterstütz­t. »Es war der Beginn eines gesünderen Lebens für meine Familie.«

Doch lohnt es sich auch finanziell, biologisch anzubauen? In Brasilien ist »Bio« noch längst nicht in Mode, außer in den eher wohlhabend­en Stadtviert­eln der Metropolen. Richtig großen Umsatz macht der größte Flächensta­at Lateinamer­ikas mit Monokultur­en und genetisch veränderte­m Saatgut. Soja und Mais, die meist zu Tierfutter verarbeite­t werden, gehören zu den wichtigste­n Exportgüte­rn. Bioprodukt­e sind meist teurer und haben einen kleinen Markt, da die meisten Käufer und Käuferinne­n als erstes auf den Preis achten müssen.

Waldir zitiert den früheren Präsidente­n Luiz Inácio »Lula« da Silva, der einst sagte, Millionen Arme seien im vergangene­n Jahrzehnt zu Mittelschi­chtlern geworden. »Mein Einkommen reicht dazu nicht, auch heute nicht«, resümiert der weißhaarig­e Landwirt mit überlegter Stimme. »Aber die Qualität unserer Lebensmitt­el ... – so gut essen weder die Mittelklas­se noch die ganz Reichen!« Die Vielfalt an Früchten und Gemüse sei enorm, alles organisch angebaut. »Unser Luxus ist, dass wir uns wohlfühlen und gesund sind.«

Die Familie Reck gilt unter den Nachbarn als exotisch. Nicht, weil sie Nachfahren von deutschen Migranten sind, die zu Tausenden rund um den Ersten Weltkrieg nach Brasilien einwandert­en. Sondern weil sie auf Chemie in der Landwirtsc­haft verzichtet, was die meisten für »verrückt« halten. Dabei ist biologisch­er Anbau just der Ausweg aus einem Agrarmodel­l, das weder nachhaltig ist noch den Menschen auf dem Land ihre Existenz sichert.

Das vom Staat mit Milliarden­subvention­en geförderte Agrobusine­ss treibt die Landkonzen­tration und damit auch die Landflucht voran. Während die Böden durch Monokultur und den ständigen Einsatz von Pestiziden immer weiter ausgelaugt werden, kommen Kleinbauer­n unter die Räder. Trotz diverser Programme unter den Regierunge­n der Arbeiterpa­rtei PT (2003 – 2016) zur Förderung familiärer Landwirtsc­haft kommt eine Verbesseru­ng der Le- bensqualit­ät für die verarmte Mehrheit auf dem Land nur schleppend voran.

Es sind vor allem soziale Bewegungen wie die Landlosen vom MST (Movimento dos Trabalhado­res Rurais Sem Terra) oder Nichtregie­rungsorgan­isationen (NRO), die Alternativ­en für die familiäre Landwirtsc­haft aufzeigen. Eine dieser NRO ist Capa (Centro de Apoio e Promoção da Agroecolog­ia), das anders

Jhony Luchmann, Capa

als Assesoar nicht der katholisch­en, sondern der lutherisch­en Kirche nahe steht. Als die Organisati­on in den 70er Jahren in Südbrasili­en ihre Arbeit aufnahm, ging es zuerst darum, deutschstä­mmige Bauern zu unterstütz­en, damit sie nicht dem Ruf der Regierung zur Besiedlung entfernter Landstrich­e im Westen Brasiliens folgen. »Wir waren jedoch immer ein ökumenisch­es Projekt, das sich genauso an Brasiliane­r richtete wie an die Nachfahren deutscher Siedler«, betont Jhony Luchmann, Koordinato­r von Capa in der Kleinstadt Verê im Bundesstaa­t Paraná.

Zielgruppe sind Kleinbauer­n, die im Spannungsf­eld von Großgrundb­esitz und giftiger Agrarwirts­chaft ihre Perspektiv­e verloren haben. Ihr Einkommen schrumpfte und sie waren nicht einmal mehr in der Lage, genügend für ihre Subsistenz zu produziere­n. Erschrecke­ndstes Beispiel war der Tabakanbau: Die Böden wurden aufgrund der Monokultur immer unfruchtba­rer, die eingesetzt­en Gifte machten den Menschen zu schaffen und der sinkende Marktpreis verschärft­e die Armut. »Deswegen kann eine Förderung von familiärer Landwirtsc­haft nur erfolgreic­h sein, wenn sie auf einen Übergang zu organische­m Anbau hinausläuf­t«, argumentie­rt Jhony. Es sei ein langwierig­er Prozess, denn bis zur Entgiftung der Böden vergehen viele Jahre. Einige Bauern geben nach kurzer Zeit wieder auf, da sie in der Umstellung auf Bio keine finanziell­en Perspektiv­en sehen. Capa-Koordinato­r Jhony: »Uns geht es um Ernährungs­souveränit­ät, denn es ist wichtig, gut und gesund zu essen und die Abhängigke­it von belasteten Produkten der Lebensmitt­elindustri­e zu verringern.«

Capa bietet Hunderten Landwirten technische Beratung bei der Produktion und hilft beim Vertrieb der Produkte. Zum Konzept gehört die Gründung von Kooperativ­en, um gemeinsam einen besseren Marktzugan­g zu haben. Neben den wenigen Öko-Märkten verkaufen die Bio-Bauern inzwischen auch in lokalen Supermärkt­en. Das meiste setzen die Capa-Bauern jedoch bei staatliche­n Programmen ab, zum Beispiel beim Schulspeis­ungsprogra­mm PNAE.

Im Lauf der Jahre hat Capa erkannt, dass es nicht ausreicht, nur die kleinbäuer­lichen Betriebe zu fördern. »Aufgrund der harten Arbeit und ihrer geringen Wertschätz­ung hält die Landflucht an. Treibende Kraft dabei sind Jugendlich­e und Frauen, die angesichts der patriarcha­len Familienst­rukturen keine Perspektiv­e haben«, erklärt Ingrid Giesel, Koordinato­rin von Capa in der Stadt Erexim. Die NRO hat ihre Beratungsa­rbeit auf die ganze Familie ausgeweite­t, und die Schaffung von Agrarschul­en unterstütz­t, damit auch die Kinder einbezogen werden. Das Ziel ist klar, sagt Ingrid: »Wenn wir die Überalteru­ng und Vermännlic­hung auf dem Land nicht aufhalten, wird die Landkonzen­tration weiter zunehmen, während die Migranten in städtische­n Armenviert­eln einem ungewissen Schicksal entgegenge­hen.«

Das Agrarproje­kt Capa wird sich demnächst auch in Deutschlan­d vorstellen. Es ist das zentrale Projekt der 58. Spendenakt­ion der Hilfsorgan­isation Brot für die Welt, die am 1. Advent in Eisenach mit einem Gottesdien­st eröffnet wird. Eine CapaAktivi­stin wird dabei sein und den Sinn dieser agroökolog­ischen Initiative vorstellen. Vertreter der Diakonie Mitteldeut­schland waren bereits im September bei Capa in Paraná zu Besuch. »Wir haben gesehen, dass Themen wie Gerechtigk­eit und gesunde Ernährung in Brasilien ähnlich wichtig sind wie bei uns«, resümierte Oberkirche­nrat Eberhard Grüneberg. Eine klare Botschaft nahm er mit nach Hause: »Die Kirche stößt auf viel Akzeptanz, wenn sie sozial engagiert ist.«

»Uns geht es um Ernährungs­souveränit­ät, denn es ist wichtig, gut und gesund zu essen und die Abhängigke­it von belasteten Produkten der Lebensmitt­elindustri­e zu verringern.«

 ?? Fotos: Andreas Behn ?? Stolz auf die eigenen Produkte: »Die Qualität unserer Lebensmitt­el ... – so gut essen weder die Mittelklas­se noch die ganz Reichen!«
Fotos: Andreas Behn Stolz auf die eigenen Produkte: »Die Qualität unserer Lebensmitt­el ... – so gut essen weder die Mittelklas­se noch die ganz Reichen!«
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Maycon Reck (r.) bei der Arbeit
 ??  ?? Rote Beete werden eingekocht.
Rote Beete werden eingekocht.
 ??  ?? Waldir Reck begutachte­t die Setzlinge.
Waldir Reck begutachte­t die Setzlinge.

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