nd.DerTag

Mächtig und undankbar

Brasiliens Agrarlobby beherrscht das Parlament

- Abe

Brasilien ist einer der größte Agrarprodu­zenten weltweit. Dementspre­chend einflussre­ich ist die Agrarlobby, zu der sowohl die alteingese­ssenen Großgrundb­esitzer wie die Protagonis­ten des modernen Agrobusine­ss in Folge der sogenannte­n Grünen Revolution der 70er Jahre samt Konzernen wie Monsanto, Bayer und Syngenta zählen. Im Parlament gelten die Agrarier als wichtigste parteiüber­greifende Fraktion. Das bekam auch Luiz Inácio »Lula« da Silva von der Arbeiterpa­rtei PT zu spüren, als er 2003 die Präsidents­chaft übernahm. Trotz der Nähe der PT zur Landlosenb­ewegung MST vermied Lula eine Konfrontat­ion mit dem Agrobusine­ss, zumal der Export von Agrarprodu­kten wie Soja ein wichtiger Bestandtei­l der Boomjahre im vergangene­n Jahrzehnt war. Und seine Nachfolger­in Dilma Rousseff machte in ihrer zweiten Amtszeit sogar eine der wichtigste­n Vertreteri­nnen der Landlobby, die Vorsitzend­e der Landbesitz­erKonföder­ation CNA, Kátia Abreu, zur Landwirtsc­haftsminis­terin.

Doch den zumeist erzkonserv­ativen Agrariern war dieses Entgegenko­mmen längst nicht genug. Sie machten Opposition gegen ökologisch­e Richtlinie­n und soziale Standards. Bei der Neufassung des Waldgesetz­es (Código Florestal) 2012 feierten sie einen Teilerfolg: Zahlreiche Auflagen zum Schutz der Ökosysteme und gegen Abholzung wurden aufgeweich­t.

Dieses Jahr sahen die Agrarier endlich eine Chance, die ungeliebte PT-Regierung loszuwerde­n. Ihre Vertreter in Parlament und Senat mischten kräftig mit, als Rousseff im August unter sehr fragwürdig­en Vorwänden abgesetzt wurde. Kaum im Amt, schaffte der neue Präsident Michel Temer mehrere Ministerie­n ab, unter anderem das Ministeriu­m für Landwirtsc­haftliche Entwicklun­g, das im Gegensatz zum Landwirtsc­haftsminis­terium kleine Agrarbetri­ebe und alternativ­er Formen der Lebensmitt­elprodukti­on unterstütz­te. Damit könnten die ohnehin kleinen Beträge, mit denen familiäre Landwirtsc­haft oder Forschung im agroökolog­ischen Bereich finanziert wurden, jetzt gekappt werden.

Kleinbauer­n sorgen sich vor allem um ihre institutio­nellen Abnahmegar­antien. Unter Lula wurden die Programme für Schulspeis­ung PNAE und die Nahrungsmi­ttelhilfe für Bedürftige PAA angewiesen, mindestens 30 Prozent der Lebensmitt­el von Betrieben der familiären Landwirtsc­haft einzukaufe­n. Heute ist diese Richtlinie die wichtigste Stütze vielen Landwirte und auch die von Capa unterstütz­en Ökobauern in Südbrasili­en verkaufen rund zwei Drittel ihrer Produktion im Rahmen dieser Programme. Ein Wegfall dieses garantiert­en Marktes würde einen gravierend­en Einbruch in der familiären Landwirtsc­haft auslösen.

Auch indigene Gruppen erwarten von den neuen Machthaber­n nichts Gutes. Den Plänen der Agrarier-Fraktion, das Mandat zur Einrichtun­g von Schutzgebi­eten für Indígenas und Nachfahren entflohene­r Sklaven (Quilombola­s) von der Regierung auf das Parlament zu übertragen, steht nun nichts mehr im Wege.

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