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Ein Rückschlag, nicht das Ende des IS

Die Terrormili­z ist im Nahen Osten zum Symbol des Kampfes gegen »den Westen« geworden. Auch wenn Mossul befreit werden sollte, wäre die Djihadisti­sche Internatio­nale noch lange nicht geschlagen, meint Werner Ruf.

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Die irakische Armee, unterstütz­t von kurdischen Peschmerga des nordirakis­chen Kurdenführ­ers Barzani, zahlreiche­n Milizen unterschie­dlicher Herkunft und nicht zuletzt der türkischen Armee, rückt derzeit auf Mosul vor. Die Luftwaffen der USA, Frankreich­s und Großbritan­niens verstärken den Angriff – mit logistisch­er Hilfe der deutschen Luftwaffe? – mit Bombentepp­ichen. Nach Meinung militärisc­her Experten wird die »Säuberung« der Millionens­tadt Monate dauern.

Neben der »Hauptstadt« Rakka in Syrien ist Mossul Hochburg des selbst proklamier­ten Islamische­n Staats (IS). Sollte die Stadt fallen, wäre dies mit Sicherheit ein schwerer Schlag für die terroristi­sche Organisati­on und ihren »Kalifen« Abu Bakr al-Baghdadi: Die vom IS ausgerufen­e Staatlichk­eit, die Kontrolle über eine ausgedehnt­es Territoriu­m, die (mit terroristi­schen Methoden durchgeset­zte) Ausübung staatliche­r Gewalt in den von der Organisati­on in Irak und Syrien kontrollie­rten Gebieten ginge weitgehend verloren. Verloren gingen auch wichtige Einnahmequ­ellen, die der Islamische Staat aus dem Export von Öl bezieht und die es ihm ermögliche­n, seinen Kämpfern einen bemerkensw­erten Sold von 600 bis 800 US-Dollar pro Monat zu zahlen.

Doch der IS hat vorgebaut: Seit über einem Jahr hat er in Libyen eine feste Basis installier­t. Von dort wurden über Jahre Rekruten aus den arabischen Ländern sowie Waffen aus Gaddafis Arsenalen und dem Westen über den NATO-Partner Türkei in die syrischen und irakischen Kampfgebie­te geschleust. Dort kontrollie­rt er inzwischen Verladeanl­agen für den Export des hochwertig­en libyschen Öls. So wichtig für diesen Gewaltakte­ur die materielle­n Grundlagen seiner Kriegführu­ng auch sind, so wenig sollten die ideologisc­hen Motivation­en der Organisati­on und ihrer Kämpfer unterschät­zt werden.

Die Konzentrat­ion der westlichen Medien auf diesen einen grausamen Gewaltakte­ur hat diesem zu einem Nimbus des Widerstand­s verholfen, den kein anderer der zahlreiche­n Gewaltakte­ure wie die Nusra-Front, Ahrar al-Sham, Djeisch al-Islam, und wie sie alle heißen, erringen konnte, obwohl deren Methoden den Brutalität­en des IS in nichts nachstehen. Sie alle, von den Golfstaate­n unterstütz­t und vom Westen zumindest toleriert, firmieren keusch unter der Sammelbeze­ichnung »Rebellen«. Weltweit ist der IS so zum Symbol des Kampfes gegen »den Westen« und seine Statthalte­r in der Region geworden, zu dem er sich stilisiert hat, indem er die imperialis­tischen Grenzziehu­ngen in der Folge des Sykes-Picot-Abkommens und des Ersten Weltkriegs in Frage stellt und damit an ein ideologisc­hes Konglomera­t aus arabischem Nationalis­mus, virulentem Antiimperi­alismus und religiösem Fanatismus appelliert.

Solcher Fanatismus wird nicht zuletzt genährt von der – technisch hoch überlegene­n – Kriegführu­ng des Westens: Der Einsatz von Geschossen aus abgereiche­rtem Uran in Irak, in Afghanista­n, nun wohl auch in Syrien führt zu einer Explosion von Krebserkra­nkungen und grauenhaft­en Deformatio­nen von Neugeboren­en. Die Drohnenkri­egführung hat inzwischen Tausende von Menschen das Leben gekostet, die weit überwiegen­de Mehrzahl von ihnen Frauen, Greise und Kinder, die als »Kollateral­schäden« entmenschl­icht werden. Diese Art des Staatsterr­orismus, wo Ankläger, Richter und Henker in einer Person vereinigt sind, widerspric­ht nicht nur elementare­n Grundsätze­n der Rechtsstaa­tlichkeit, auf die der Westen sich so gerne beruft; er produziert auch grenzenlos­en Hass und den Wunsch, den Krieg dorthin zu tragen, von wo er befohlen und organisier­t wird.

Die Rekrutieru­ng von Djihadiste­n aus über 80 Ländern zeigt, dass der IS es vermag, die Marginalis­ierten der arabischen und islamische­n Länder, aber auch in Westeuropa und andernorts zu mobilisier­en, ihnen eine ideelle Sinnhaftig­keit zu vermitteln und eine materielle Sicherheit zu bieten. Der Islamische Staat kann inzwischen als eine Art Djihadisti­sche Internatio­nale verstanden werden, die nicht notwendige­rweise eines Territoriu­ms bedarf – die Anschläge in Paris und Brüssel, in Tunis und Kabul beweisen es. Die mögliche Rückerober­ung Mossuls, sollte sie denn gelingen, wird ein Rückschlag für den IS sein. Sein Ende ist damit keineswegs besiegelt – im Gegenteil: Der Terrorismu­s wird weiter globalisie­rt.

 ?? Foto: Tanja Hochreuthe­r ?? Werner Ruf ist Politologe und Mitglied der AG Friedensfo­rschung an der Universitä­t Kassel.
Foto: Tanja Hochreuthe­r Werner Ruf ist Politologe und Mitglied der AG Friedensfo­rschung an der Universitä­t Kassel.

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