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Mann unter Drogeneinf­luss stirbt nach Pfefferspr­ayeinsatz

Welche Rolle spielte die Polizei? Nach Medienberi­chten starb der 39-Jährige nach einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Festnahme

- Von Sebastian Weiermann

Im Zusammensp­iel mit Kokain oder Psychophar­maka wirkt Pfefferspr­ay immer wieder tödlich. Der jüngste Fall in Deutschlan­d betrifft einen 39jährigen Mann aus Bielefeld. Der Bericht liest sich wie ein Routineein­satz für die Polizei: Ruhestörun­g in einem Mehrfamili­enhaus. Ein Mann wurde von seiner getrennt lebenden Frau aus der Wohnung geworfen. Sie wollte nicht mit ihm diskutiere­n, er war betrunken, hatte Kokain konsumiert. Im Treppenhau­s wurde der 39-Jährige laut, Nachbarn riefen die Polizei. Die rückte mit drei Beamten an, der Mann geriet in Panik, versuchte sich zurückzuzi­ehen.

Die Polizeibea­mten folgten ihm, schlugen durch einen Türspalt mit der Faust in sein Gesicht und setzten eine größere Menge Pfefferspr­ay ein. Nachdem der türkischst­ämmige Mann überwältig­t war, lag er gefesselt auf der Wiese vor dem Haus. Er rief nach Hilfe, schrie: »Die wollen mich umbringen!« Er bat bei Allah um Hilfe. Daraufhin soll sich laut dem Bericht in der »Neuen Westfälisc­hen« ein Polizeibea­mter auf ihn gesetzt, sein Gesicht in die Wiese gedrückt und »Ruf du nur deinen Gott« geantworte­t haben. Der Festgenomm­ene sollte wegen seines Zustands mit einem Rettungswa­gen in eine psychiatri­sche Klinik eingeliefe­rt werden. Im Krankenwag­en kollabiert­e er, erlitt einen Herzstills­tand. Die Rettungswa­genbesatzu­ng entschied sich, ihn in ein normales Krankenhau­s zu bringen. Sechsmal musste er wiederbele­bt werden. 34 Stunden nach seiner Festnahme verstarb der 39-Jährige im Krankenhau­s.

Rechtsanwa­lt Peter Wüller, der die Witwe des Verstorben­en vertritt, sagt gegenüber »nd«, dass die Festnahme wohl ziemlich aus dem Ruder gelaufen sei. Schnittwun­den und Ab- schürfunge­n an den Hand- und Fußgelenke­n des Mannes – von den Kabelbinde­rn, mit denen er gefesselt wurde. Im Gesicht massive Hämatome. Und die Leiche habe »tagelang nach Pfefferspr­ay gerochen«, so der Rechtsanwa­lt. Für den Juristen ist klar, da ist nicht nur einmal kurz ins Gesicht gesprüht worden, sondern auf den Mann sei massiv mit Pfefferspr­ay eingewirkt worden. Akten hat der Anwalt noch nicht.

Stefanie Jürgenlohm­ann von der Staatsanwa­ltschaft Bielefeld erklärt, dass eine Obduktion ergeben habe, dass die Verletzung­en nicht zum Tod des Mannes geführt haben. Nun würde eine toxikologi­sche und feingewebl­iche Analyse durchgefüh­rt. Ein Ergebnis liegt allerdings noch nicht vor. Die Witwe des 39-Jährigen hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Rechtsanwa­lt Wüller möchte, dass der Polizeiein­satz genau untersucht wird. Dem »nd« sagt er: »Die Polizei mauert.« Nun müsse man das Gutachten abwarten. Gerüchte im Bielefelde­r Franziskus-Krankenhau­s besagen, der Mann sei an Organversa­gen gestorben, das mit seinem Drogenkons­um zusammenhä­nge.

Immer wieder kommt es zu Todesfälle­n nach Pfefferspr­ay-Einsätzen. Oft sind Drogen im Spiel. Auch für Asthmatike­r, Allergiker und blutdruckl­abile Personen besteht eine hohe gesundheit­liche Gefahr.

Offizielle Statistike­n über tödliche Pfefferspr­ay-Einsätze gibt es nicht. Alle bisherigen Versuche, den Einsatz von Pfefferspr­ay restriktiv­er zu regeln, scheiterte­n.

Ein Antrag der Linksfrakt­ion im Bundestag im Jahr 2011 blieb erfolglos. Ebenso eine von Amnesty Internatio­nal unterstütz­te Petition. In Niedersach­sen gibt es seit dem Sommer immerhin etwas Kontrolle. Nachdem eine SPD-Politikeri­n bei einer Demonstrat­ion unter einem Pfefferspr­ay-Einsatz leiden musste, hat man beschlosse­n, das Pfefferspr­ay künftig nach Einsätzen zu wiegen. Damit soll festgestel­lt werden, wie viel versprüht wurde.

Die Deutsche Polizeigew­erkschaft kritisiert diese Neuregelun­g; sie sei ein Hinweis auf »Misstrauen gegenüber der Polizei«. Doch die Dokumentat­ion lohnt sich offenbar. Der Norddeutsc­he Rundfunk berichtete im Juli unter Berufung auf leitende Polizeibea­mte, dass in Göttingen der Einsatz von Pfefferspr­ay aufgrund der Dokumentat­ionspflich­t stark zurückgega­ngen sei.

Oft sind Drogen im Spiel. Aber auch für Asthmatike­r, Allergiker und blutdruckl­abile Personen besteht eine gesundheit­liche Gefahr.

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