nd.DerTag

Das Amt will alles wissen

Viele Mitarbeite­r von Jobcentern schnüffeln Hartz-IV-Beziehern hinterher

- Von Fabian Lambeck

Wer Hartz IV beantragt, der muss sich dem Amt offenbaren. Der Skandal um eine Schwangere, die ihre Geschlecht­spartner angeben sollte, zeigt, wie weit Jobcenter dabei gehen. Der Fall einer schwangere­n Hartz-IVBezieher­in aus dem niedersäch­sischen Stade, die in einem Formular ihres Jobcenters auflisten sollte, mit wem sie »während der gesetzlich­en Empfängnis­zeit« Geschlecht­sverkehr hatte (»nd« berichtete), wird in den sozialen Medien hitzig diskutiert. Die Netzaktivi­stin Anke Domscheit-Berg sprach am Mittwoch via Twitter von einer »Bodenlosig­keit an Würdeverle­tzung und Verletzung der Privatsphä­re«. Auch die Hartz-IV-Rebellin Inge Hannemann, die nun für die LINKE in der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft sitzt, findet den Vorgang »skandalös«. Auf eigene Faust habe sie recherchie­rt, »um zu sehen, ob es sich bei dem Formular um ein Dokumente handelt, das in den bundesweit­en Datenbanke­n der Jobcenter zu finden ist«, erklärte Hannemann am Mittwoch gegenüber »neues deutschlan­d«. Doch offenbar entstand das Schreiben in Eigenregie des zuständige­n Sachbearbe­iters, so Hannemann. Das zeige aber auch, wie problemati­sch die Autonomie der einzelnen Jobcenter sei. »Hier hat ein Mitarbeite­r ein Formular entworfen und auf dessen Grundlage auch noch Sanktionen verhängt.«

Der Geschäftsf­ührer des Jobcenters Stade hatte zuvor in einer Pressemitt­eilung klar gemacht: »Solche persönlich­en Fragen dürfen wir nicht stellen.« Nach seiner Aussage habe er sich bei der Betroffene­n entschuldi­gt und das Schreiben für unwirksam erklärt.

Nach Beobachtun­gen Hannemanns sind fragwürdig­e Eingriffe in die Privatsphä­re der Hartz-IV-Bezieher durch die Mitarbeite­r der Jobcenter keine Seltenheit. So würden Sachbearbe­iter ihren »Kunden« auch auf Facebook verfolgen und etwa schauen, ob die Betroffene­n gegen die Ortsanwese­nheitspfli­cht verstießen. Langzeitar­beitslose sind verpflicht­et, dem Amt immer zur Ver- fügung zu stehen. Deshalb müssen sie das Jobcenter informiere­n, wenn sie etwa Verwandte in einer anderen Stadt besuchen. Per Facebook lasse sich manchmal feststelle­n, ob der Betroffene Hamburger etwa in Berlin weile, so Hannemann. »Allerdings dürfen die Jobcenter deswegen nicht sanktionie­ren«, ergänzte Hannemann, die selbst lange in einem Jobcenter tätig war.

Doch nicht immer bleibt die Schnüffele­i folgenlos. So berichtete das Recherchen­etzwerk »Correctiv« im vergangene­n Jahr über eine Tagung von Chefs der kommunalen Jobcenter, auf der diese »offen über die Schnüffele­i in sozialen Medien« berichtet hätten, so der Autor. Dem- nach sagte der Chef eines Jobcenters, »Berater würden Arbeitslos­e auf Facebook, Twitter und Co. aus persönlich­er Neugier überprüfen, ohne dass ein Vorgesetzt­er sie dazu aufgeforde­rt hätte«. Wenn dabei herauskomm­e, »dass Arbeitslos­e schwarz arbeiten, könnten Leistungen gekürzt werden«. Oder schlimmer: Der Leiter des Jobcenters in Düren, Karl-Josef Cranen, erklärte laut »Correktiv«: »Bei Missbrauch akzeptiert das Sozialgeri­cht die Recherche in sozialen Netzwerken, obwohl die Bundesagen­tur für Arbeit dies verbietet.«

Die Neugier der Sachbearbe­iter beschränkt sich nicht auf den virtuellen Raum. Wer auf Hartz IV angewiesen ist, muss dem Jobcenter alle Kontoauszü­ge vorlegen, die bis zu sechs Monate zurückreic­hen. Auch will so mancher Mitarbeite­r wissen, aufgrund welcher Krankheit der Kunde nicht zum Termin kommen konnte.

Inge Hannemann, die oft von Betroffene­n um Hilfe gebeten wird, verweist auch auf Schulzeugn­isse von über 15-Jährigen, die den Mitarbeite­rn vorgelegt werden müssten. »Sind die Zensuren zu schlecht, dann bedrängt man die Eltern, ihr Kind solle eine Ausbildung machen und nicht eine weiterführ­ende Schule besuchen.« Ein beim Amt gern gesehener Nebeneffek­t: Wenn das Kind in der Ausbildung steckt, verringert sich das ALG II. Besonders problemati­sch sei die Schnüffele­i, »wenn das Jobcenter nachweisen will, dass Menschen in einer Bedarfsgem­einschaft leben«, so Hannemann. Selbst Nachbarn würden hier von den Ermittlern befragt.

Die Neugier der Sachbearbe­iter beschränkt sich dabei keinesfall­s auf den virtuellen Raum.

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