Das Amt will alles wissen
Viele Mitarbeiter von Jobcentern schnüffeln Hartz-IV-Beziehern hinterher
Wer Hartz IV beantragt, der muss sich dem Amt offenbaren. Der Skandal um eine Schwangere, die ihre Geschlechtspartner angeben sollte, zeigt, wie weit Jobcenter dabei gehen. Der Fall einer schwangeren Hartz-IVBezieherin aus dem niedersächsischen Stade, die in einem Formular ihres Jobcenters auflisten sollte, mit wem sie »während der gesetzlichen Empfängniszeit« Geschlechtsverkehr hatte (»nd« berichtete), wird in den sozialen Medien hitzig diskutiert. Die Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg sprach am Mittwoch via Twitter von einer »Bodenlosigkeit an Würdeverletzung und Verletzung der Privatsphäre«. Auch die Hartz-IV-Rebellin Inge Hannemann, die nun für die LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzt, findet den Vorgang »skandalös«. Auf eigene Faust habe sie recherchiert, »um zu sehen, ob es sich bei dem Formular um ein Dokumente handelt, das in den bundesweiten Datenbanken der Jobcenter zu finden ist«, erklärte Hannemann am Mittwoch gegenüber »neues deutschland«. Doch offenbar entstand das Schreiben in Eigenregie des zuständigen Sachbearbeiters, so Hannemann. Das zeige aber auch, wie problematisch die Autonomie der einzelnen Jobcenter sei. »Hier hat ein Mitarbeiter ein Formular entworfen und auf dessen Grundlage auch noch Sanktionen verhängt.«
Der Geschäftsführer des Jobcenters Stade hatte zuvor in einer Pressemitteilung klar gemacht: »Solche persönlichen Fragen dürfen wir nicht stellen.« Nach seiner Aussage habe er sich bei der Betroffenen entschuldigt und das Schreiben für unwirksam erklärt.
Nach Beobachtungen Hannemanns sind fragwürdige Eingriffe in die Privatsphäre der Hartz-IV-Bezieher durch die Mitarbeiter der Jobcenter keine Seltenheit. So würden Sachbearbeiter ihren »Kunden« auch auf Facebook verfolgen und etwa schauen, ob die Betroffenen gegen die Ortsanwesenheitspflicht verstießen. Langzeitarbeitslose sind verpflichtet, dem Amt immer zur Ver- fügung zu stehen. Deshalb müssen sie das Jobcenter informieren, wenn sie etwa Verwandte in einer anderen Stadt besuchen. Per Facebook lasse sich manchmal feststellen, ob der Betroffene Hamburger etwa in Berlin weile, so Hannemann. »Allerdings dürfen die Jobcenter deswegen nicht sanktionieren«, ergänzte Hannemann, die selbst lange in einem Jobcenter tätig war.
Doch nicht immer bleibt die Schnüffelei folgenlos. So berichtete das Recherchenetzwerk »Correctiv« im vergangenen Jahr über eine Tagung von Chefs der kommunalen Jobcenter, auf der diese »offen über die Schnüffelei in sozialen Medien« berichtet hätten, so der Autor. Dem- nach sagte der Chef eines Jobcenters, »Berater würden Arbeitslose auf Facebook, Twitter und Co. aus persönlicher Neugier überprüfen, ohne dass ein Vorgesetzter sie dazu aufgefordert hätte«. Wenn dabei herauskomme, »dass Arbeitslose schwarz arbeiten, könnten Leistungen gekürzt werden«. Oder schlimmer: Der Leiter des Jobcenters in Düren, Karl-Josef Cranen, erklärte laut »Correktiv«: »Bei Missbrauch akzeptiert das Sozialgericht die Recherche in sozialen Netzwerken, obwohl die Bundesagentur für Arbeit dies verbietet.«
Die Neugier der Sachbearbeiter beschränkt sich nicht auf den virtuellen Raum. Wer auf Hartz IV angewiesen ist, muss dem Jobcenter alle Kontoauszüge vorlegen, die bis zu sechs Monate zurückreichen. Auch will so mancher Mitarbeiter wissen, aufgrund welcher Krankheit der Kunde nicht zum Termin kommen konnte.
Inge Hannemann, die oft von Betroffenen um Hilfe gebeten wird, verweist auch auf Schulzeugnisse von über 15-Jährigen, die den Mitarbeitern vorgelegt werden müssten. »Sind die Zensuren zu schlecht, dann bedrängt man die Eltern, ihr Kind solle eine Ausbildung machen und nicht eine weiterführende Schule besuchen.« Ein beim Amt gern gesehener Nebeneffekt: Wenn das Kind in der Ausbildung steckt, verringert sich das ALG II. Besonders problematisch sei die Schnüffelei, »wenn das Jobcenter nachweisen will, dass Menschen in einer Bedarfsgemeinschaft leben«, so Hannemann. Selbst Nachbarn würden hier von den Ermittlern befragt.
Die Neugier der Sachbearbeiter beschränkt sich dabei keinesfalls auf den virtuellen Raum.