nd.DerTag

Die Türkei wird mehr und mehr zur Despotie

Arif Kosar über Präsident Erdogans Repression gegen die Medien

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Der Fernsehsen­der, für den Sie bis zuletzt gearbeitet haben, wurde kürzlich von der Regierung geschlosse­n. Wie lautet die offizielle Begründung? Die offizielle Begründung ist, dass wir die nationale Sicherheit gefährden und Terroransc­hläge befürworte­n würden. Dass wir ein nationaler Unsicherhe­itsfaktor sind und einer Terrororga­nisation nahe stehen, sind nur Behauptung­en der Regierung. Sie erklärt jede abweichend­e Meinung in der Kurdenfrag­e für staatsgefä­hrdend. Es gibt jedoch keinen einzigen Beweis dafür, dass wir einen Terroransc­hlag bejaht hätten. Im Gegenteil, wir verurteile­n Terroransc­hläge. Die Regierung konnte niemanden davon überzeugen, außer ihrer eigenen Anhängersc­haft. Wir haben außerdem viele gute Programme gemacht, um die Verbindung­en zwischen dem Islamische­n Staat (IS) und der türkischen Regierung aufzuzeige­n. Sie ist es, die den Terror unterstütz­t, nicht wir. Was waren Ihrer Meinung nach die wahren Gründe für die Schließung? Einer der Gründe ist, wie erwähnt, die Kurdenprob­lematik. Wir möchten, dass die Kämpfe beendet und Friedensve­rhandlunge­n geführt werden, dass keine Menschen mehr sterben und die Kurden ihre Freiheit erlangen. Damit sind wir ein Dorn im Auge des Staates. Der zweite Grund ist, dass die Regierung versucht, einen islamische­n Umbau des Staates von A bis Z, von Bildung bis hin zur Justiz, durchzuset­zen – und wir uns auch da- gegen gestellt haben. Der Druck auf diejenigen, die einen modernen Lebensstil haben, ist groß. Besonders für Frauen. Wir sprechen uns für einen laizistisc­hen Staat aus und kritisiere­n die neoliberal­e Wirtschaft­spolitik der AKP-Regierung. Aus diesen Gründen wurde unser Sender verboten. Wir waren eben die Opposition. Der Sender befand sich schon länger im Visier der Regierung. Wie hat sich das auf Ihren Arbeitsall­tag ausgewirkt? Gegen fast all unsere Spezialpro­gramme wurden Verfahren eröffnet. Der Oberste Rundfunkra­t »Rtük« hat mehrere Geldstrafe­n gegen uns verhängt. Wir haben trotz der Drohungen weiterhin unsere Arbeit gemacht. Viele andere Medien haben angefangen, bestimmte Nachrichte­n wegzulasse­n. Durch diese eigene Kontrolle haben sie sich der Kontrolle der Regierung unterworfe­n. Wie steht es um die linke Tageszeitu­ng »Evrensel«, mit der sich Ihr Sender die Räumlichke­iten teilte? Die »Evrensel« wird schon länger von der Regierung schikanier­t. Jeder, der in der Zeitung eine Anzeige schalten will, wird von der Regierung angehalten, dies zu unterlasse­n. Gegen die Journalist­en der Zeitung laufen gerichtlic­he Verfahren. Ich selbst war eine Zeit lang dort beschäftig­t; auch gegen mich wurden mehrere Verfahren eröffnet. Die »Evrensel« ist eine von drei Zeitungen, die die Regierung noch nicht unter Kontrolle hat. Alle übrigen Zeitungen des Landes sind bereits in der Hand der Regierung. Der »Evrensel« droht ebenfalls die Schließung. Im Moment erscheint sie noch. Kam es zu Festnahmen, als »Hayatin Sesi« geschlosse­n wurde? Bei der Schließung der 23 Fernsehund Radiosende­r wurde kein einziger Kollege verhaftet. Doch die Drohung steht im Raum. 98 Journalist­innen und Journalist­en sind derzeit in Haft, viele sind ins Ausland gegangen. Als kritischer Journalist steht man in der Türkei schon vor der Verhaftung mit einem Bein im Gefängnis. Inwiefern haben die Repression­smaßnahmen gegen Medien Einfluss auf die Meinungsfr­eiheit und die Demokratie? Die Maßnahmen gegen Medien sind auch ein Teil der autokratis­chen Regierungs­weise der AKP. Akademiker, die an den Universitä­ten regierungs­kritischen Unterricht geben, Schriftste­ller und Journalist­en, die sich kritisch äußern, werden mit Verfahren überschütt­et und kommen für ihre Meinungsäu­ßerungen ins Gefängnis. Die Türkei wird von Tag zu Tag mehr zu einem despotisch­en Land, wie wir es sonst vom Nahen Osten aus einigen arabischen Ländern kennen. Gibt es noch Hoffnung für die türkischen Medien? Trotz all dem, was ich gesagt habe: Hoffnung gibt es immer. Wir haben nicht aufgegeben. Wir werden für unsere Rechte, für die Pressefrei­heit und für das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung geradesteh­en. Es gibt Tausende von Journalist­innen und Journalist­en, die auf Druck der Regierung entlassen worden sind. Wir stehen mit ihnen in Kontakt und versuchen, ein Solidaritä­tsnetzwerk aufzubauen. So lange es eine Opposition gibt und so lange wir als Journalist­en den Kontakt zu den Opposition­ellen aufrecht erhalten, gibt es auch Hoffnung für die Medien. Haben Sie konkrete Erwartunge­n an die EU? Der Druck, den wir erfahren, hat auch mit der Unterstütz­ung der EU-Länder von Recep Tayyip Erdogans Regierung zu tun. Die EU ist an dem Irrglauben beteiligt, dass Erdogan ein Demokrat sei beziehungs­weise die Türkei zur Demokratie führen würde. Wir glauben, dass die Türkei sich in Richtung einer faschistis­chen Diktatur entwickelt und das ist nicht nur eine Gefahr für die Türkei, sondern für die ganze Welt. Wir appelliere­n an die EU-Bürger, ihre eigenen Regierunge­n unter Druck zu setzen, damit sie ihr Verhältnis zu Erdogan überdenken. Die europäisch­en Länder müssen eine klare Haltung zeigen. Wie sieht die Zukunft für die unabhängig­en Medien in der Türkei aus? Die türkische Regierung will die ganze Medienland­schaft unter ihre Kontrolle und die Opposition zum Schweigen bringen. Wir denken, dass nur durch internatio­nale Solidaritä­t noch die Möglichkei­t besteht, unabhängig­e und objektive Medienarbe­it leisten zu können. Und wie steht es um Ihre persönlich­e Zukunft als Journalist? »Evrensel« und »Hayatin Sesi« waren ja wenn man so will ein gemeinsame­s Medienunte­rnehmen. Der Fernsehsen­der wurde geschlosse­n, aber ich werde bei »Evrensel« weitermach­en. Und wir sind fest entschloss­en, dass wir mit »Hayatin Sesi« irgendwann wieder auf Sendung gehen werden. Deswegen werden wir bleiben.

 ?? Foto: imago/nd: ?? »Özgür Radyo wird nicht verstummen«: Proteste gegen die Räumung eines regierungs­kritischen Radiosende­rs
Foto: imago/nd: »Özgür Radyo wird nicht verstummen«: Proteste gegen die Räumung eines regierungs­kritischen Radiosende­rs
 ?? Foto: Evrensel ?? Arif Koşar ist türkischer Journalist und war bis zur Schließung Programmko­ordinator des sozialisti­schen Fernsehsen­ders »Hayatin Sesi«. Per Notstandsd­ekret hatte die Regierung erneut 24 Rundfunk- und Fernsehans­talten die Lizenz entzogen. Für »nd« sprach...
Foto: Evrensel Arif Koşar ist türkischer Journalist und war bis zur Schließung Programmko­ordinator des sozialisti­schen Fernsehsen­ders »Hayatin Sesi«. Per Notstandsd­ekret hatte die Regierung erneut 24 Rundfunk- und Fernsehans­talten die Lizenz entzogen. Für »nd« sprach...

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