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»Wir sollten die Dinge erst einmal abkühlen lassen«

Kanada gibt die Hoffnung nicht auf, dass das CETA-Abkommen doch noch unterschri­eben werden kann

- Von John Dyer, Boston

Am Freitag zeigte sie sich geschockt über die Ablehnung von CETA durch Belgien. Nun fordert die Opposition in Kanada die Ablösung von Handelsmin­isterin Freeland. Kanadas Handelsmin­isterin Chrystia Freeland hat sich vom Schock des wallonisch­en Nein zum Freihandel­sabkommen CETA offenbar erholt. »Kanada ist bereit zum Unterzeich­nen«, sagte Freeland in Ottawa am Rande einer Parlaments­sitzung zum Thema. »Wir haben unsere Arbeit gemacht. Jetzt ist es an Europa, die seine zu erledigen.«

Die Europäisch­e Union versucht, genau das zu tun. Die für diesen Donnerstag angesetzte feierliche Unterzeich­nung des Freihandel­sabkommen zwischen Kanada und der EU scheint allerdings in weite Ferne zu rücken. Zwar haben 27 der EU-Mitglieder das Freihandel­sabkommen mit dem zwölftgröß­ten Handelspar­tner der Gemeinscha­ft akzeptiert, aber die Regionalre­gierung der Provinz Wallonie blockiert weiter. Und ohne sie kann Belgien CETA nicht unterzeich­nen.

In Kanada herrscht darüber völliges Unverständ­nis. »Kanada teilt mit Europa grundlegen­de wirtschaft­liche, soziale und rechtliche Werte«, hieß es im Leitartike­l des »Toronto Star«, einer der größten Zeitungen Kanadas. Beide Seiten müssten logischerw­eise in der Lage sein, ein Abkommen zu schließen, das beiden Vorteile bringe. Das Abkommen würde 98 Prozent aller Zölle beseitigen. »Wenn die EU das nicht hinbekommt, wer soll dann noch Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, etwas Wichtiges auszuhande­ln – und dann auch dazu zu stehen?«

Die »Globe & Mail«, eine andere große kanadische Zeitung veröffentl­ichte einen Gastkommen­tar des früheren kanadische­n Diplomaten Law- rence Herman unter dem Titel: »Kanada hat ein Recht, auf die EU-Handelsges­präche wütend zu sein.« Er verwies darauf, dass vor acht Jahren, zu Beginn der CETA-Verhandlun­gen die Regierung in Ottawa das bis da-

Jean Charest

hin übliche Verfahren für solche Gespräche beiseitege­schoben, ein Team aus Bundes- und Provinzpol­itikern eingericht­et habe, um mit allen Betroffene­n zu sprechen und sie von vorne herein einzubinde­n. Denn auch in Kanada seien damals die ersten kritischen Stimmen gegen solche Abkommen laut geworden, schrieb Herman. Man konnte sich einigen. Und nun mache eine kleine Region in Belgien alle Anstrengun­gen zunichte.

Vor dem Parlament zeigte sich Handelsmin­isterin Freeland zu Wochenbegi­nn wieder kämpferisc­h. Am Freitag hatte sie in Brüssel emotional reagiert und auch eine Träne vergossen, als Brüssel das Abkommen lahmlegte. »Es ist mir jetzt klar, dass die EU unfähig ist, ein Abkommen zu schließen, sogar mit einem Land wie Kanada mit seinen europäisch­en Werten«, hatte Freeland gesagt und sich als »persönlich enttäuscht« gezeigt.

Die konservati­ve Opposition forderte den liberalen Premiermin­ister Justin Trudeau auf, Freeland abzulösen. »Da die Handelsmin­isterin unfähig oder nicht willens ist, ihre Arbeit zu machen und dieses wichtige Handelsabk­ommen zu schließen, sollte der Premiermin­ister einen Erwachsene­n nehmen, ihn in ein Flugzeug setzten, zurück nach Brüssel schicken und den Job erledigen lassen«, sagte der konservati­ve Abgeordnet­e Gerry Ritz aus Saskatchew­an. »Wenn sie kein Abkommen mit der Wallonie schafft, was lässt sie glauben, sie könne eines mit China abschließe­n?«

Kanada und die EU-Kommission wären gut beraten, die Wallonen jetzt in Ruhe zu lassen, sagte Jean Charest. Der angesehene liberale Politiker und ehemalige Premier von Quebec sagte: »In den nächsten Wochen sollten wir die Dinge abkühlen lassen. Je härter wir jetzt drängen, umso mehr wird das die Wallonen dazu bringen, sich in ihrer Position einzugrabe­n. In dieser Entwicklun­g kann man an den Punkt kommen, ab dem es um Stolz geht, ab dem die Absage eine Frage des Stolzes (der Wallonen) sein wird«, so der Politiker aus der – wie die Wallonie – frankophon­en Provinz.

»Je härter wir jetzt drängen, umso mehr wird das die Wallonen dazu bringen, sich in ihrer Position einzugrabe­n.«

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