Wenn es Asche vom Himmel regnet
Ein Uralt-Kohlemeiler in Schleswig-Holstein beunruhigt Anwohner – ihr Protest wird ignoriert
Sind es harmlose weiße Gips-Partikel, die das Kohlekraftwerk in Wedel neuerdings auf Häuser und Gärten spuckt, wie es der Betreiber behauptet? Aber seit wann ist weißer Ascheauswurf grün? Das von Vattenfall in Schleswig-Holstein betriebene Heizkraftwerk in Wedel (Kreis Pinneberg) ist in die Jahre gekommen und eigentlich überfällig für eine Stilllegung. Verhindert wird diese jedoch dadurch, dass noch rund 130 000 Hamburger Fernwärmekunden dran hängen. Nun hat es mehrfach in Kraftwerksnähe Niederschläge mit Aschepartikeln gegeben – unter den Anwohnern geht die Angst um.
Der Kohlemeiler in unmittelbarer Nähe der Stadtgrenze Hamburgs ist mit Baujahr 1961 ein Oldtimer, auch wenn er wegen steigender umweltrechtlicher Anforderungen immer wieder mit angepasster Technik aufgemöbelt wurde. Abrisspläne, die es für 2013 gab, wurden zu den Akten gelegt, der Neubau eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks allerdings auch. Und so wird das Werk in Wedel wohl weiterlaufen – Abschaltzeitpunkt unbestimmt.
Die Bürgerinitiative »Stopp: Kein Megakraftwerk Wedel« aus einem nah am Kraftwerk liegenden Wohngebiet protestiert schon lange gegen den Uralt-Meiler. Zuletzt ging sie gegen den von dort ausgehenden Lärm vor. Seit dem 21. Juli sieht man sich jedoch einem völlig neuen Phänomen ausgesetzt, das Ängste schürt: Bereits mehrfach kam es nach Revisionsarbeiten und dem Wiederanfahren der Anlage zu einem Ascheregen. Vattenfall behauptete nach einer ersten Untersuchung, dass die Asche nicht gefährlich sei und kein Grund zur Beunruhigung bestehe.
Auch die schleswig-holsteinische Aufsichtsbehörde – beteiligt sind das Umweltministerium von Robert Habeck (Grüne) und das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) – wiegelt ab und beruhigt die betroffenen Wedeler. Einem kurzfristig in Auftrag gegebenen Gutachten der ATC GmbH aus Krefeld zufolge sei – nach Auswertung von Ascheproben – von keinerlei gesundheitlichen Gefahren auszugehen. Die Bürgerinitiative kontaktierte daraufhin das Hamburger Umweltinstitut Ökopol. Dort kommt man zu einer ganz anderen toxikologischen Bewertung des Gutachtens: Die festgestellten krebserregenden Nickel-Werte seien sehr wohl gesundheitsbedenklich.
BI-Sprecherin Kerstin Lueckow traut den Beschwichtigungen durch Vattenfall nicht. Das Unternehmen hat weißen Ascheauswurf eingestanden und von harmlosen Gipspartikeln gesprochen, doch in den Gärten, auf Terrassen und Autos in Wedel haben sich auch gelbliche und grüne Partikelklumpen befunden. Die BI warnt in der Nachbarschaft mit rund 250 Haushalten nun mit einem eigenen Flyer: »Bitte keine Partikel mit den bloßen Händen anfassen. Auch keinesfalls in den Mund nehmen. Bitte achten Sie auf Ihre Kinder.« Weiter empfiehlt die BI, Gemüse, Obst und Kräuter aus dem eigenen Garten nur nach sorgfältigem Waschen zu verzehren. Nach einem neuerlichen Fund von Aschepartikeln bestritt Vattenfall dann, der Verursacher zu sein. Auf eine besorgte Anfrage hin reagierte das Unternehmen mit dem Hinweis, es könne sich auch um die Auswirkungen einer nahe liegenden Baustelle oder verstärkter privater Grill-Aktivitäten handeln. Unverständnis herrscht bei Kerstin Lueckow, dass der angeschriebene Umweltminister Habeck bisher noch nicht reagiert habe. Laut Lueckow würde sich die BI auch nicht scheuen, juristische Schritte in Erwägung zu ziehen.
Wie es mit dem Kraftwerk weiter geht, bleibt indes ungewiss. Laut Hamburger Bürgerentscheid von 2013 wird das Strom-, Gas- und Fernwärmenetz wieder von der Stadt Hamburg übernommen. Allein wegen der Umsetzung des Bürgerauftrags ein schlüssiges Fernwärmeversorgungskonzept zu präsentieren, dafür hat es noch nicht gereicht. In Wedel ist man nun gespannt, ob der Betrieb des Heizkraftwerks 2021 endet, wie es Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) in Aussicht stellt. Oder ob die Anlage womöglich noch bis 2026 läuft, wie es nach Informationen der Bild-Zeitung angeblich Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) mit der Vattenfall-Spitze vereinbart haben soll. Ein Sprecher des Hamburger Regierungschefs hat dies jedoch prompt dementiert.
Die festgestellten krebserregenden Nickel-Werte seien sehr wohl gesundheitsbedenklich, sagt Ökopol.