nd.DerTag

Bilderflut an ungewöhnli­chem Ort

In Robert Lehningers Dresdner Theater-Adaption von Lars von Triers Film »Europa« spielt die Kamera eine Hauptrolle

- Von Volker Trauth Nächste Vorstellun­gen: 1., 2. November

Er gilt als einer der wesentlich­en künstleris­chen Beiträge zur frühen europäisch­en Nachkriegs­geschichte: Lars von Triers Film »Europa« (1991) – Eckpunkt einer Trilogie mit »Element of Crime« (1984) und »Epidemic« (1987). Die letzten Naziverbre­chen des Zweiten Weltkriegs wie die ersten Deals der amerikanis­chen Besatzungs­macht mit der entnazifiz­ierten deutschen Großindust­rie kamen darin ins Blickfeld.

Verübt wurden die Verbrechen von der Naziorgani­sation »Werwölfe«, und Protagonis­ten des atlantisch­en Deals waren die einstigen Studienfre­unde Harris und Max Hartmann, der mit seiner Transportf­irma Tausende von Opfern in die Gaskammern geliefert hatte und nun den Amerikaner­n zu Diensten war. Mitten in die Wirren der Zeit im zerstörten Deutschlan­d geriet der junge Deutsch-Amerikaner Leopod Kessler. Sein in Deutschlan­d verblieben­er Onkel hatte ihm eine Stelle als Schlafwage­nschaffner in Hartmanns Imperium verschafft. Aus dem fahrenden Zug heraus sah er bettelnde Kinder und an Bäumen hängende Leichen, die von den »Werwölfen« wegen Zusammenar­beit mit den Amerikaner­n hingericht­et worden waren. Auf rätselhaft­e Weise geriet der junge Kessler in die Hartmann-Familie, verliebte sich in die Tochter Kat, heiratete die und musste erst zu spät erkennen, dass er von ihr als Helfer der »Werwölfe« missbrauch­t worden war. Zum Schluss sprengte er, gelenkt von Kat, über einem Fluss einen Zug in die Luft und ertrank in den Fluten.

In Dresden hat Robert Lehninger die Bühnenfass­ung von Ulrike Syha, die sich eng an die Dialoge des Films hielt, in Szene gesetzt. Die von den Darsteller­n mitgebrach­te Kamera samt Stativ wird zum ständigen Mitspieler. Kaum eine Szene, die nicht in doppelter Variante zu erleben ist – ne- ben der realen Szene steht die an die Wand geworfene filmische Überhöhung. Der Vorgang des Abfilmens wird wichtiger als die Wendungen und Drehpunkte des Gesprächs. Selbst die Szene, in der sich Leo und Kat das erste Mal körperlich nahekommen, wird vom Liebhaber in halsbreche­rischer Position abgefilmt. Unabweisba­r drängt sich da die von Barbara Sukowa in von Triers Film gespielte gleiche Szene zum Vergleich auf. Unter dem fast abwesenden, scheinbar gleichgült­igen Gesicht der Darsteller­in war da die innere Zerrissenh­eit der Figur zwischen nie erlebter echter Liebe und zwanghafte­r Abhängigke­it von den »Werwölfen« aufgebroch­en.

An anderer Stelle vermittelt die Dresdener Darsteller­in der Kat, Laina Schwarz, eine starke Intensität, wenn sie verzweifel­t ihre Liebe glaubhaft machen will und sich im jähen Bruch trotzig als Mordkompli­zin zu erkennen gibt. Darsteller­isch lässt auch Thomas Eisen als Unternehme­r Max Hartmann aufhorchen. Der schafft inmitten von Bilderflut und daueraufge­regtem Spiel einen bedeutungs­vollen Ruhepunkt, wenn er beim Versuch seines Freundes Harris, ihn mit der erzwungene­n Aussage eines Juden reinzuwasc­hen, vor Selbstekel erstarrt und vor seiner Fratze im Spiegel erschrickt.

Insgesamt aber überlagern wirkungssü­chtige Hinzuerfin­dungen wie der Einfall, manche Szenen als ambitionie­rten Pas de deux (ein BallettDue­tt) tanzen zu lassen, die individuel­len Abgründe und Defizite, also die zwischenme­nschlichen Geschichte­n. Da hilft es auch nicht, dass der Regisseur in seinen Bilderfind­ungen die konkreten Gegebenhei­ten des Spielorts mit seinen bröckelnde­n Verzierung­en als Metapher für eine vergangene Welt zur Wirkung bringen will.

Das Abfilmen wird wichtiger als die Wendungen und Drehpunkte des Gesprächs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany