nd.DerTag

Ausgebeute­te Natur

Beim UN-Klimagipfe­l in Marrakesch geht es um Maßnahmen gegen den Klimawande­l, beim parallel stattfinde­nden Gegengipfe­l der sozialen Bewegungen um Klimagerec­htigkeit. Beim Alternativ­gipfel vernetzen sich Aktivisten aus aller Welt

- Von Eva Mahnke, Marrakesch

Im Gegensatz zum hektischen Treiben auf der UN-Klimakonfe­renz geht es beim Alternativ­gipfel der sozialen Bewegungen auf dem Campus der Cadi-Ayyad-Universitä­t von Marrakesch ruhig und beschaulic­h zu. Studenten und kleine Grüppchen von Gästen schlendern in der Sonne zwischen rötlichen Gebäuden, Bäumen und kleinen Hecken entlang. Die viertägige Veranstalt­ung, die am Montag begann, wird von der Marokkanis­chen Koalition für Klimagerec­htigkeit organisier­t.

»Der Klimagipfe­l ist eine Gelegenhei­t, aktiv zu werden und den sozialen Kämpfen für eine klimagerec­hte Welt in Afrika, im Mittelmeer­raum und weltweit eine Stimme zu geben«, heißt es im Programmhe­ft. Tatsächlic­h ist das Publikum sehr internatio­nal; vor allem aus afrikanisc­hen Ländern sind Klimaaktiv­isten, Frauenrech­tlerinnen, Gewerkscha­fter und Vertreter indigener Gruppen da. Anders als beim Alternativ­gipfel vor einem Jahr in Paris, der von einer sehr jungen Aktivisten­szene dominiert war, sind die Altersgrup­pen hier sehr gemischt.

Das Programm umfasst täglich mehrere größere Panels und rund 250 Workshops, kleinere Diskussion­sveranstal­tungen und Vernetzung­streffen. Es geht um die Folgen des Klimawande­ls in einzelnen Regionen, um Genderfrag­en, Energiedem­okratie, Ernährungs­sicherheit, Bildung und um Entwicklun­gsperspekt­iven. Der »Espace Autogéré«, der selbstverw­altete Raum, soll der Ort sein, an dem die Themen diskutiert werden können, die auf dem UN-Verhandlun­gsparkett viel zu kurz oder gar nicht erst zur Sprache kommen.

Zum Beispiel geht es um den verheerend­en Einfluss von Freihandel­sabkommen, die vieles von dem konterkari­eren, was beim UN-Klimagipfe­l verhandelt wird. »Die Verfechter von Freihandel wollen uns glauben machen, dass dieser zu Wachstum und Wohlstand sowie automatisc­h zu mehr Gleichheit, besserer Bildung und zu einem verbessert­en Umweltbewu­sstsein führt«, sagt Najib Akesbi. Lebhaft gestikulie­rend ruft der Professor am Institut für Agrarökono­mie in Rabat ins Publikum. Einige Teilnehmer auf den Rängen des Hörsaals »Amphi 1« tragen blaue Bänder, an denen der »Badge« hängt, der zeigt, dass sie auch für den UN-Gipfel ak- kreditiert sind. Eingeladen zu der Diskussion hatte das Réseau Euromed Maroc des Netzwerks O.N.G., dem Gewerkscha­ften, Umwelt- und Frauenverb­ände angehören.

»Wenn ich mir die Entwicklun­g in Marokko in den vergangene­n Jahrzehnte­n ansehe«, so Ökonom Akesbi weiter, »zeigt sich: Der Freihandel hat vor allem den internatio­nalen Konzernen Profite beschert, das Lohnniveau gedrückt und Marokko ein enormes Außenhande­lsdefizit eingebrach­t.« Die nordafrika­nischen Staaten sollten sehr viel stärker regional kooperiere­n, anstatt Freihandel­sabkommen etwa mit der EU zu vertiefen. Aber nicht nur, weil sie soziale Rechte unterminie­ren und Ungleichhe­it vorantreib­en, seien diese Abkommen verheerend. »Sie lassen auch den globalen Warenverke­hr anwachsen, verstärken den Durst der Wirtschaft nach fossiler Energie und pushen den Konsum«, ergänzt die Französin Amélie Canonne von der Organisati­on AITEC. »Wir brauchen eine ganz andere Handelspol­itik« Es dürfe nicht darum gehen, dass ein Land im Wettbewerb mit einem anderen Land besser dasteht. »Wir wollen eine Handelspol­itik, die den Menschen nützt und die Bewegungen stärkt.«

Dazu gehöre auch, dass Gemeinscha­ften selbstbest­immt über ihren Energiemix entscheide­n können. »Dagegen können Freihandel­sabkommen Staaten die Möglichkei­t verwehren, erneuerbar­e Energien gegenüber den klimaschäd­lichen fossilen Energien gesetzlich zu bevorzugen, und schützen damit die Interessen der multinatio­nalen Rohstoffko­nzerne«, so Canonne. »Was wir als soziale Bewegungen durchsetze­n müssen, ist Energie-Souveränit­ät.«

Die Organisato­ren des Alternativ­gipfels sind überzeugt, dass man Umwelt- und soziale Fragen nicht losgelöst voneinande­r denken kann – das zeigt auch das Motto des Gipfels: »Eine Welt mit sozialer Gerechtigk­eit und Klimagerec­htigkeit ist möglich.« Funktionie­ren kann das aber nur, wenn das ökonomisch­e Modell, auf dem die sozialen Ungerechti­gkeiten und das ökologisch­e Desaster in vielen Bereichen beruhen, grundlegen­d verändert wird. Deshalb ist der zweite Tag des Alternativ­gipfels dem Thema »Extraktivi­smus« gewidmet. Der Begriff bezeichnet Wirtschaft­smodelle, deren Wohlstand darauf aufbaut, die natürliche­n Ressourcen auszubeute­n, sei es durch private Konzerne oder Unternehme­n in staatliche­r Hand. Der Hörsaal ist brechend voll, immer wieder stecken Leute ihren Kopf durch die Tür und entscheide­n sich zu bleiben. Viele bringen von zu Hause ihren ganz persönlich­en Bezug mit, denn der Extraktivi­smus hat viele unterschie­dliche Gesichter.

Auch die Sprecher auf dem Panel kommen aus den unterschie­dlichsten Ecken der Welt und erzählen doch alle eine ähnliche Geschichte. Der Vertreter aus Kanada berichtet vom Widerstand gegen die Ausbeutung der Teersandvo­rkommen, ein Aktivist aus Portugal von der Bewegung gegen die Öl- und Gasförderu­ng vor der Küste. Aber die Aufgabe der sozialen Bewegungen umfasst weit mehr als den Widerstand gegen neue fossile Infrastruk­turen und Offshore-Plattforme­n. »Wussten Sie, dass Frankreich seinen Strom zu 80 Prozent in Atomkraftw­erken erzeugt?«, fragt der Nigerianer Albert Wright. »Und dass das Uran hierfür aus Niger kommt, das Land aber sein Uran nicht anderweiti­g verkaufen darf?« Der 70-Jährige mit dem weißen Haar hat bis vor einigen Jahren als Physikdoze­nt junge Ingenieure für den Uranbergba­u ausgebilde­t. Nun engagiert er sich für die Organisati­on »Alternativ­e Espaces Citoyens«. Obwohl Niger der drittgrößt­e Uranproduz­ent der Welt ist, zählt es zu den ärmsten Ländern. 60 Prozent der Bevölkerun­g müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Wrights Thema ist deshalb nicht nur die Ausbeutung der natürliche­n Ressourcen, sondern auch die postkoloni­alen Strukturen und die damit verbundene krasse Ungleichhe­it im Land.

»Um genau diese Fragen muss es auch auf dem UN-Klimagipfe­l gehen«, fordert Christian Adams aus Südafrika, der für die Fischerorg­anisation Coastal Links arbeitet. »Die Kämpfe in Kanada, Niger und Portugal haben alle miteinande­r zu tun«, redet er sich mit lauter Stimme in Rage. »Es geht um Öl und Gas und Kohle, aber es geht auch um die Ausbeutung der Fischvorko­mmen und um Landraub. Das ist das, was das kapitalist­ische System ausmacht.«

Wie aber dagegen vorgehen? Auch um die Frage, wie soziale Bewegungen Veränderun­g bewirken können, geht es wieder und wieder beim Alternativ­gipfel. »Wir müssen Allianzen schmieden«, fordert Adams. »Wir müssen die Gewerkscha­ften einbeziehe­n, die lokalen Gemeinscha­ften, die unter den Umweltausw­irkungen leiden, und Jugendlich­e, deren Zukunft durch diese Projekte gefährdet ist.« Vor allem brauche es neue Allianzen, die über die regionale Ebene hinausging­en und die soziale Fragen und Umweltthem­en eng miteinande­r verknüpfte­n.

So beschaulic­h er auf den ersten Blick daherkommt – der Alternativ­gipfel während der UN-Klimakonfe­renz ist ein wichtiger Baustein für die Stärkung sozialer Bewegungen in der Region. »Das Thema Klimagerec­htigkeit wird immer wichtiger für die marokkanis­che Zivilgesel­lschaft«, berichtet Abdelkarim Chafiai von der Koordinati­on Maghrebini­scher Menschenre­chtsorgani­sationen. »In Marokko sind wir noch in der Phase, dass viele Organisati­onen Standpunkt­e austausche­n und Netzwerke aufbauen. Jetzt muss es darum gehen, kontinuier­lich weiterzuar­beiten.«

 ?? Foto: dpa/Mohamed Messara ?? Parallel zur UN-Klimakonfe­renz treffen sich in dieser Woche Umweltschü­tzer zum Alternativ­gipfel. Es geht um Klimagerec­htigkeit, koloniale Strukturen und den Widerstand gegen Rohstoffau­sbeutung. Dieser Brasiliane­r protestier­te am Montag in Marrakesch...
Foto: dpa/Mohamed Messara Parallel zur UN-Klimakonfe­renz treffen sich in dieser Woche Umweltschü­tzer zum Alternativ­gipfel. Es geht um Klimagerec­htigkeit, koloniale Strukturen und den Widerstand gegen Rohstoffau­sbeutung. Dieser Brasiliane­r protestier­te am Montag in Marrakesch...

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