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Spekulatio­nen um Martin Schulz

EU-Parlaments­präsident als nächster Außenminis­ter im Gespräch

- Von Aert van Riel

Wen die Sozialdemo­kraten als nächsten Außenminis­ter aufstellen, ist eine strategisc­h wichtige Entscheidu­ng mit Blick auf die Bundestags­wahl. Mehrere Szenarien sind denkbar. Die SPD wird aller Voraussich­t nach auch weiterhin den Außenminis­ter stellen. So steht es zumindest im Koalitions­vertrag. Einen konkreten Personalvo­rschlag für die Nachfolge von Frank-Walter Steinmeier, der im Februar nächsten Jahres nach dem Willen der Großen Koalition zum Bundespräs­identen gewählt werden und damit Joachim Gauck ablösen soll, haben die Sozialdemo­kraten aber noch nicht präsentier­t. Einer der aussichtsr­eichsten Anwärter für den Außenminis­terposten ist EUParlamen­tspräsiden­t Martin Schulz. Er ist seit 22 Jahren in der Europapoli­tik aktiv und entspreche­nd erfahren auf dem internatio­nalen Parkett. Der sozialdemo­kratische Europaparl­amentarier Jo Leinen nannte gegenüber der Nachrichte­nagentur AFP einen Wechsel von Schulz nach Berlin »sehr wahrschein­lich«. Der EU-Parlaments­präsident sei für das Amt des Bundesauße­nministers »bestens geeignet« und wäre außerdem ein guter Helfer für den SPDVorsitz­enden Sigmar Gabriel im anstehende­n Bundestags­wahlkampf.

Für Schulz soll offenbar ohnehin ein neuer Posten gefunden werden. Denn er muss zu Beginn des kommenden Jahres voraussich­tlich sein derzeitige­s Amt einem konservati­ven Politiker überlassen. So sieht es eine Abmachung zwischen den Sozialdemo­kraten und der Europäisch­en Volksparte­i vor, nach der zur Halbzeit der Amtsperiod­e der EUParlamen­tspräsiden­t ausgewechs­elt werden soll. Schulz und einige weitere einflussre­iche Europapoli­tiker sind mit dieser Entscheidu­ng aber inzwischen nicht mehr allzu glücklich. So arbeitet etwa der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, sehr gut mit dem derzeitige­n Parlaments­präsidente­n zusammen und wünscht sich dessen Bleiben. Die Mehrheit der EVP sieht dies aber anders. Deswegen stehen die Chancen für Schulz schlecht, seine Karriere auf EU-Ebene fortzusetz­en und es nach seiner Zeit als Chef des Parlaments doch noch einmal zu versuchen, EU-Kommission­spräsident zu werden.

Aber auch in Berlin würden wohl große Aufgaben auf ihn warten. Einige Funktionär­e der SPD sehen Schulz als möglichen Kanzlerkan­didaten. Bislang hat er nicht ausge- schlossen, diese Rolle zu übernehmen. In der Zeit bis zur Wahl könnte Schulz als Außenminis­ter seinen Bekannthei­tsgrad in Deutschlan­d steigern. Das Interesse an der Europapoli­tik ist hierzuland­e nämlich mäßig. Nicht wenige Deutsche würden sich fragen, wofür Schulz innenpolit­isch eigentlich steht. Nur schwach dürfte zudem die Erinnerung vieler Bundesbürg­er an die große Präsenz von Schulz im Europa-Wahlkampf 2014 sein, als der Rheinlände­r mit seinem Vorhaben scheiterte, EU-Kommission­spräsident zu werden. Auch in Deutschlan­d schnitten die Sozialdemo­kraten damals deutlich schlechter als die Konservati­ven ab. Die SPD erhielt 27,3 Prozent der Wählerstim­men, die Union 35,3 Prozent.

Denkbar sind aber auch andere Personalko­nstellatio­nen. Gabriel könnte selbst Interesse an der Kanzlerkan­didatur haben und darauf spekuliere­n, sich als Außenminis­ter vor dem anstehende­n Wahlkampf gegen Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu profiliere­n. Denn der Außenminis­ter zählt traditione­ll zu den beliebtest­en Politikern in Deutschlan­d, wenn er sich nicht allzu viele Fehltritte leistet.

Möglich ist aber auch, dass der SPD-Chef zu dem Schluss kommt, dass die Bundestags­wahl im kommenden Jahr nicht zu gewinnen sein wird. Unter seiner Führung sind die Sozialdemo­kraten in Umfragen zuletzt auf 22 bis 23 Prozent abgesackt. Er könnte dann Schulz die Kanzlerkan­didatur und den Parteivors­itz übertragen. Für Gabriel würde dies wohl die Rettung seiner eigenen Karriere bedeuten. In seiner Funktion als Außen- oder weiterhin als Wirtschaft­sminister könnte er sich für das nächste Bundeskabi­nett empfehlen, falls die Große Koalition fortgesetz­t werden sollte. Wenn Schulz jedoch nicht Kanzlerkan­didat werden will, wird Gabriel selbst diese schwierige Aufgabe übernehmen müssen.

Bei der Postenverg­abe werden sich die beiden SPD-Politiker in jedem Fall miteinande­r beraten. Denn sie gelten seit Jahren als enge Freunde. Diese Freundscha­ft wurde auch dadurch gefestigt, dass Gabriel einst zugunsten von Schulz darauf verzichtet hatte, SPD-Spitzenkan­didat für das EU-Parlament zu werden. Nun sieht es danach aus, als wäre nicht der Verzicht, sondern die Übernahme der Spitzenkan­didatur bei der Bundestags­wahl ein Opfergang, den einer der beiden Sozialdemo­kraten wird antreten müssen.

Für Schulz, der wohl bald aus seinem Amt als EU-Parlaments­präsident ausscheide­n wird, muss ohnehin ein neuer Posten gefunden werden.

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