Gekommen, um zu bleiben Die Werteübereinstimmungen der Flüchtlinge mit den Deutschen sind vielfach größer als die mit ihren zurückgebliebenen Landsleuten.
Geflüchtete in Deutschland sind den Einheimischen ähnlicher als erwartet
Die Asyldebatte spaltet Deutschland. Dabei sind Geflüchtete den Deutschen gar nicht so unähnlich, wie eine Studie zeigt. Mit der hohen Zahl von Flüchtlingen, die Deutschland erreichen, werde zugleich die Gesellschaft selbst zur Disposition gestellt. Denn die Flüchtlinge seien in aller Regel Muslime und hätten mit den hiesigen Werten nichts am Hut. Diese These steht im Zentrum vieler Argumente pro Grenzschließungen, Obergrenzen und Härte gegenüber Asylsuchenden. Tatsächlich kommt eine Studie, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde, zum Schluss, dass es »viele gemeinsame Wertvorstellungen bei Geflüchteten und Deutschen« gibt. Die Werteübereinstimmungen der Flüchtlinge mit den Deutschen sind vielfach größer als die mit ihren zurückgebliebenen Landsleuten. Neben dem in Deutschland vermuteten Wohlstand dürften mithin gerade die hier gültigen Werte die Entscheidung der Geflüchteten positiv beeinflusst haben. Ein demokratisches System bevorzugen der repräsentativen Umfrage zufolge 96 Prozent der befragten Flüchtlinge.
Die Daten sind Bestandteil einer repräsentativen Befragung von seit 2013 nach Deutschland geflüchteten Erwachsenen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gemeinsam erhoben und nun auswerten. Die Studie soll in den kommenden Jahren fortgeführt werden. Rund 450 Fragen wurden gestellt, um neben Migrations-, Bildung- und Erwerbsbiografien sowie den Fluchtursachen und Fluchtwegen auch Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen, Gesundheit subjektives Befinden sowie Indikatoren für Unterbringung, Asylverfahren und Integration zu ermitteln.
Übereinstimmende Wertvorstellungen von Flüchtlingen und Deutschen sind natürlich nur ein grober Befund. Bei genauerer Prüfung zeigen sich auch Unterschiede. Zwar meinten 92 Prozent der Befragten, dass »gleiche Rechte von Männern und Frauen« Bestandteil der Demokratie seien. Dem Satz »Wenn eine Frau mehr Geld verdient als ihr Partner, führt dies zwangsläufig zu Problemen« stimmten allerdings 29 Prozent der Geflüchteten zu, aber nur 18 Prozent der deutschen Vergleichsgruppe. In den Heimatländern der Flüchtlinge stimmten nur 62 Prozent gleichen Rechten für Frauen zu.
21 Prozent der Geflüchteten befürworteten einen »starken Führer«, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss – auch das entspricht den Verhältnissen in der deutschen Befragtengruppe, wo 22 Prozent der Aussage zustimmten. Beide liegen deutlich unter den 46 Prozent, die den Satz in den Herkunftsländern der Flüchtlinge bejahten.
Die Wissenschaftler versichern, durch entsprechende Verfahren und Prüfungen authentische Antworten ermittelt zu haben, sensibilisiert zu sein gegenüber einer »sozialen Erwünschtheit« bestimmter Antworten, wie Jürgen Schupp versicherte; er ist Direktor der beteiligten Infrastruktureinrichtung »Sozio-ökonomisches Panel« am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Aussagen von Asylsuchenden werden beispielsweise verifiziert, indem man sie mit denen von anerkannten Flüchtlingen vergleicht.
Nina Rother vom Forschungszentrum des BAMF legte die Fluchtgründe der Befragten dar. Am häufigsten (70 Prozent) wurden hier die Angst vor gewaltsamen Konflikten und Krieg genannt, neben Verfolgung (44 Prozent), Diskriminierung (38 Prozent) und Zwangsrekrutierung (36 Prozent). Schlechte persönliche Lebensbedingungen (39) und wirtschaftliche Situation(32) des Landes sind weitere Gründe.
Das Bildungsgefälle sei nicht so groß wie vielfach angenommen, so Brücker. Gleichwohl liegt das Bildungsniveau der Geflüchteten deutlich unter dem der deutschen Bevölkerung. Während 58 Prozent der Flüchtlinge zehn Jahre und mehr in Schule, Ausbildung und Studium verbrachten, sind es bei den Deutschen 88 Prozent. Brücker spricht von einer »starken Polarisierung«: 37 Prozent der Flüchtlinge hätten eine weiterführende Schule besucht, 17 Prozent eine Hochschule, aber neun Prozent seien gänzlich ohne Schulbildung. 73 Prozent der Flüchtlinge waren vor ihrer Flucht erwerbstätig.
Für Herbert Brücker vom IAB ist eine starke Bildungsorientierung der Geflüchteten »überraschendes Ergebnis« der Befragungen. 46 Prozent, fast die Hälfte der Flüchtlinge, würden gerne einen Schulabschluss in Deutschland machen, 66 Prozent einen beruflichen Abschluss. In welchem Umfang die Befragten allerdings tatsächlich einen Abschluss in Deutschland erwerben, ist natürlich eine offene Frage. Angesichts des niedrigen Durchschnittsalters der Flüchtlinge konstatieren die Forscher ein hohes Bildungspotenzial.