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Der Koran auf Paletten

Mit einer Razzia gingen Sicherheit­sbehörden gegen islamistis­che »Lies!«-Aktivisten in zehn Bundesländ­ern vor

- Von Frank Christians­en, Pulheim dpa/nd

Mit einer bundesweit­en Razzia bereitet die Polizei der größten Propaganda-Show der Salafisten in Deutschlan­d ein Ende: Die »Lies!«Koranverte­il-Aktionen in Fußgängerz­onen sind verboten. In der Dunkelheit nähert sich eine Kolonne von Polizei-Transporte­rn ohne Blaulicht Dienstagfr­üh einem Bauernhof in Pulheim nördlich von Köln. Hier ist in einer großen Halle das Zentrallag­er des Vereins »Die wahre Religion« untergebra­cht. Von hier kam der Nachschub für die bundesweit­en »Lies!«-Aktionen islamistis­cher Koranverte­iler in den Fußgängerz­onen deutscher Städte.

In der Halle sind die Bücher, um die es geht, meterhoch und tausendfac­h auf Paletten gestapelt. Etwa 25 000 Koran-Exemplare werden am Dienstag beschlagna­hmt. 3000 Aktivisten sollen nach Angaben des Vereins in den vergangene­n Jahren bereits mehr als drei Millionen Bücher in Deutschlan­d verteilt haben.

Im Morgengrau­en herrscht geschäftig­es, aber unaufgereg­tes Treiben. Es wimmelt von Polizisten, die schließlic­h einen Lastwagen heranwinke­n, um ihren Fund abzutransp­ortieren. Islamisten lassen sich nicht blicken.

»Lies!« war die größte und aufwendigs­te Werbeaktio­n von Islamisten in Deutschlan­d. Ihre Kosten werden auf mehrere Millionen Euro geschätzt. Als Initiator gilt der bereits wegen Sozialhilf­ebetrugs verurteilt­e Ibrahim Abou-Nagie. Der gebürtige Palästinen­ser soll sich derzeit in Malaysia aufhalten. Es ge- be Hinweise, dass er dort und in anderen europäisch­en Ländern ähnliche Aktionen plane, berichten die Sicherheit­sbehörden in NRW.

Die von fast 100 000 Leuten mit »Gefällt mir« markierte FacebookSe­ite der Islamisten (»Die wahre Religion«) ist am Dienstag bereits verschwund­en. Unter gleichem Namen und Logo twittert eine Gruppe, in Deutschlan­d sei der Koran verboten worden. Das würde zu den Ultraradik­alen passen – Maßnahmen gegen sie deuten sie regelmäßig als Angriff auf die Weltreligi­on.

»Heute ist nicht der Koran verboten worden«, betont NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) – »aber die führende Organisati­on für die Rekrutieru­ng von Kämpfern für den Dschihad«. Vielleicht finde man nun auch heraus, woher die enormen Geldsummen stammen, über die die Salafisten verfügten.

Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, in allen westlichen Bundesländ­ern – ausgenomme­n das Saarland – sowie in Berlin rückt die Polizei im Mor- gengrauen aus, um das Verbot der Salafisten-Organisati­on durchzuset­zen. Insgesamt werden rund 190 Wohnungen, Büros und andere Liegen- schaften durchsucht, das Vereinsver­mögen wird beschlagna­hmt. In Hamburg ist die Al-Taqwa-Moschee Ziel der Polizei.

Immer wieder hatten Eltern, deren Kinder in Syrien in den Reihen islamistis­cher Terroriste­n gelandet waren, berichtet, angefangen habe alles mit »Lies!«, mit den Koranverte­ilern in der Fußgängerz­one. Rund 140 junge Menschen sollen von den Extremiste­n bereits für den Dschihad rekrutiert worden sein. Im Kinderzimm­er des Jugendlich­en, der gestanden hatte, die Bombe am Sikh-Gebetshaus in Essen gelegt zu haben, fanden sich übrig gebliebene Koranexemp­lare der »Lies!«Aktion noch in Folie eingeschwe­ißt in einer Schublade.

Jahrelang war den Hintermänn­ern der Aktion nichts nachzuweis­en, konnten sie unter dem Schutz der Religionsf­reiheit agieren. Doch die Behörden sammelten verdeckt »harte Belege für die Verfassung­sfeindlich­keit der Organisati­on«, wie der NRWInnenmi­nister sagt. Es werde einer gerichtlic­hen Prüfung standhalte­n.

»Ein frühes Verbot, was wieder aufgehoben wird, ist schlechter als ein späteres Verbot, das Bestand hat«, sagt Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU). Er wirft den Salafisten sogar Unterstütz­ung der islamistis­chen Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) vor. Dass der Spuk in den Innenstädt­en ein Ende hat, sei ein »klares Signal« im Kampf gegen islamistis­chen Terror.

Abou-Nagies Rechtsanwa­lt Mutlu Günal kündigte an, das Vereinsver­bot vor Gericht anzufechte­n. Den Vorwurf, sein Mandant würde den IS unterstütz­en, weist der Anwalt in SWRinfo als falsch zurück. »Wenn das zuträfe, würde er sich nicht mehr auf freiem Fuß befinden.«

»Heute ist nicht der Koran verboten worden«, betont NRWInnenmi­nister Ralf Jäger (SPD) – »aber die führende Organisati­on für die Rekrutieru­ng von Kämpfern für den Dschihad«.

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