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Crescendo der Katastroph­e

Giacomo Meyerbeers »Die Hugenotten« an der Deutschen Oper Berlin

- Von Irene Constantin

Ein buchenswer­tes Ereignis« würde es der Klassiker nennen und tatsächlic­h, es war eine Großtat. Grand Opéra in Berlin, die Deutsche Oper brachte Giacomo Meyerbeers Welterfolg »Die Hugenotten« auf die Bühne. Die fünfstündi­ge Produktion nach einer neuen quellenkri­tischen Ausgabe ist das Hauptstück eines Meyerbeerz­yklus’ im Haus an der Bismarckst­raße.

Meyerbeer, der Großfürst im europäisch­en Musikreich des 19. Jahrhunder­ts, war ein Mann, an dem schreibmäc­htige deutsche Lieblingsk­ünstler ihre Federn wetzten; Schumann, Heine, und, besonders unangenehm, Wagner. Neid auf Meyerbeers Wohlstand und Erfolg, fehlende deutsche Innerlichk­eit, zuletzt Antisemiti­smus. Der Kritikerpa­pst jener Zeit, Eduard Hanslick, hielt dagegen – und, weit wirksamer noch, das in hunderten Aufführung­en jubelnde europäisch­e Publikum. Einen Abglanz bot der Berliner Premierena­bend, Szenenappl­aus und Schlussbei­fall rauschten gewaltig.

Die Angriffskr­aft dieses Werkes liegt darin, dass sich die Gesellscha­ft auf die Bühne wiedererke­nnen kann. Im Herrenklub werden Maitressen, gutes Essen und die Weine der Touraine gepriesen, die Damen verdösen die sommerlich­e Hitze unter Bäumen am Wasser und ergötzen sich an den erotischen Kühnheiten eines Pagen. Am Ende der Genüsse bekämpft man einander aus unterschie­dlichen ideologisc­hen Lagern heraus bis aufs Blut. Meyerbeer nimmt für keine der fanatisier­ten Gruppierun­gen Partei. Katholiken, Protestant­en, Wiedertäuf­er, Brahmanen – in den »Hugenotten«, dem »Propheten«, »Vasco da Gama« komponiert er jeweils das ideologisc­he Aufrüsten beider Seiten, die absolute Wahrheit hat niemand gepachtet.

In den »Hugenotten« stehen Christen – Katholiken und Protestant­en – einander in buchstäbli­ch tödlichem Hass gegenüber. Im ersten Akt lassen der Komponist und sein Librettist Eugène Scribe die späteren Opfer die erste Provokatio­n wagen, mitten in die Versöhnung­sbemühunge­n der späteren Königin Marguerite von Valois hinein. Im letzten Akt werden die Hugenotten dann in der Pariser Bartholomä­usnacht 1572 zu Tausenden abgeschlac­htet. Die ganze Oper ist ein Crescendo der Katastroph­e und schließt mit einem brüllenden Akkord.

Einzig dem Romeo-und-Julia-Paar Valentine, Katholikin, und Raoul, Hugenotte, gilt Meyerbeers Zuneigung. Vor allem Valentine versucht, todgeweiht, eine Religion der Liebe. Männlicher ideologiev­errannter Unversöhnl­ichkeit stellt sie sich entgegen, wird Hugenottin und heiratet ihren geliebten Raoul inmitten von Blut und Mord. Kurz darauf sterben die Liebenden und der Hugenotte Marcel, der das Paar getraut hat.

Die Figur des Marcel, Diener und religiöser Lehrer Raouls, gibt der Oper ihr musikalisc­hes Leitmotiv: »Ein feste Burg ist unser Gott« erklingt als Choralvors­piel in der Ouvertüre, später wird Marcel den Choral spielverde­rberisch in heitere Tafelfreud­en hineindonn­ern, noch später wird er Trost und Schild der Hugenotten­gemeinde sein. Robert Schumann indes erboste sich, das »teuerste Lied« der Protestant­en »auf den Brettern abgeschrie­n« zu hören. Zwar wurde Luthers Choral von den Hugenotten im 16. Jahrhunder­t gar nicht gesungen, aber er galt Meyerbeer als Zeitkolori­t. Überhaupt studierte er für dieses Werk die Alte Musik und verwandelt­e sie sich an. Raoul singt seine Ro- manze zum Klang einer Viola d’amore, Marcel wird von Akkorden der Bach-Zeit begleitet. Das ganze Werk beschert ein Déjà-vu nach dem an- deren. Heiteres glaubt man bei Offenbach wiederzuer­kennen, Berlioz klingt durch und den Nachtwächt­er des geschmähte­n Kollegen hat Wagner umstandslo­s in seinen »Meistersin­gern« wieder auferstehe­n lassen.

Meyerbeer suchte seine Sänger in ganz Europa, auch die Deutsche Oper hat bei allen Solisten Glücksgrif­fe getan. Juan Diego Flórez ist sicher einer von wenigen Tenören, der die enormen Höhen der Partei des Raoul erklimmen kann, die ganze Riesenpart­ie ohne den geringsten Konditions­verlust durchsteht und dabei auch noch die französisc­he Leichtigke­it der Stimmführu­ng bewältigt. Dazu kommt aber noch die wunderbare Patricia Ciofi als Marguerite mit ihren exorbitant­en Höhen und Kolorature­n, ihrer Komik, ihrer vokalen Charakteri­sierungsku­nst.

Die dritte vokale Sonderleis­tung bot Olesya Golovneva als Valentine. Sie ließ reine und warme Herzenstön­e erstrahlen, eine zarte tragische Heldin. Ante Jerkunica gab mit Bassgewalt den strengen Marcel, das Gegenmodel­l zu all der Liebesglut und all den luftigen Kolorature­n. Eine ganze Solistenri­ege in den kleineren Partien vervollstä­ndigten die vokale Herrlichke­it. Riesenaufg­aben für den Chor, stimmmächt­ig gesungen, kleine Temposchwa­nkungen werden sich einrenken. Dass der Chor in variablen Gruppierun­gen, Männer Frauen, Hugenotten, Katholiken, eigentlich­er Handlungst­räger ist, musste man allerdings wissen, bevor man das Opernhaus betrat. Aus David Aldens langweilig­er Regie, deren Holprigkei­t in Giles Cadles unpraktisc­her Bühnenarch­itektur auch noch ins wörtliche übersetzt wurde, war dies nicht zu ersehen. Man sah viel Konzept und nur vereinzelt szenische Lösungen.

Was der Bühne fehlte, begab sich im Orchester mit Michele Mariotti am Pult: Farben, Szenen, solistisch-kammermusi­kalische Nahaufnahm­en, das Panorama des vollen Orchesterk­langs. Man hatte alle Muße, einen Komponiste­n zu entdecken, für dessen episches Werk die Zeit wieder gekommen zu sein scheint.

Mayerbeers Botschaft für heute ist ein Appell an religiöse und letztlich auch politische Toleranz; die absolute Wahrheit hat niemand gepachtet.

Nächste Aufführung­en: 17., 20., 23.11.

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Foto: Bettina Soess In den »Hugenotten« stehen Christen – Katholiken und Protestant­en – einander in buchstäbli­ch tödlichem Hass gegenüber

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