Scharfer Ton, schräge Art
Die DT-Schauspielerin Gudrun Ritter wird 80
Sie ist eine krähende, kindstötende Vollstreckerin. Ein Weltekel-Aufschwung, übern Krückstock gebeugt- den sie werfen kann wie eine Granate. Die Großmutter! Eine Stahlrute aus welkem, hartem Fleisch. Gudrun Ritter, vor geraumer Zeit am Berliner Ensemble, in Enrico Lübbes Inszenierung von Horváths »Geschichten aus dem Wiener Wald«. Ein Spiel, als sei das Böse die Erlösung.
Noch im kleinsten Auftritt hat sie eine präzise Schärfe. Sie kann über schmalste Lippen verfügen, als seien die schon jener schmale Grat, den sie gern geht: zwischen einem hilflos stummen Flehen und einer gallebösebitteren Hexenart; zwischen einer herb gehaltenen Güte und giftigster Abweisung.
Gudrun Ritter war Jahrzehnte eine Prägende am Deutschen Theater Berlin. Als Dagmar Manzel vor Jahren den Deutschen Fernsehpreis erhielt (»Als der Fremde kam«), da war auch Ritter nominiert, für eine Rolle im gleichen Film – die Manzel ging auf die Bühne und kriegte die obligate Danksagung so hin, dass sie erst einmal die Namen von Ost-Schauspielerin nannte, allen voran den Namen ihrer Kollegin Gudrun Ritter. Das war wie heiter-souveräne Aufklärung vor der A-, B- und C-Prominenz: Ach, ihr habt ja keine Ahnung, was wir für gute, große Theaterzeiten unser eigen nennen, und zwar in einem Gedächtnis, zu dessen Tiefen ihr keinen Zugang habt, und das ist traurig, denn dieser Zugang, also der Gewinn, wäre euch zu wünschen ...
Heute vor achtzig Jahren wurde Gudrun Ritter im erzgebirgischen Marienberg geboren. Die Absolventin der Theaterhochschule »Hans Otto« Leipzig kam Anfang der Sechziger nach Berlin. Durch Zufall, denn der Intendant jener BezirksstadtBühne, für welche die Ritter als Absolventin vorgesehen war, erschien nicht zum entscheidenden Vorspiel - da griff eben Wolfgang Langhoff zu. Talent braucht zur Entfaltung auch glückliche Umstände – so wie jede Leistungskraft Impulse benötigt durch Gleichgewillte. Gudrun Ritter hat sehr viel mit Regisseur Friedo Solter gearbeitet, sie spielte bei Wolfgang Heinz, Adolf Dresen, Alexander Lang, Thomas Langhoff.
In den besten Darstellungen gelang es ihr, oft ganz aus Zuständen einer abgearbeiteten Frau, etwas erhaben Stolzes zu entwickeln; ihre Grazie wuchs aus Strenge und Schräge. Ihre Gelöstheit wusste um die Mühen, Scheu und Zweifel zu tilgen. Geisterhaft bleich und ernst kann sie eine Feier des einsamen Herzens zelebrieren, und diesen Ernst lässt sie nahezu übergangslos in scheppernde, skurrile Ruppigkeit kippen; mit spitzen Wortnadeln dringt sie in Szenen ein, bis diese Szenen keifen oder kreischen. War die große Elsa Grube-Deister am Deutschen Theater das Runde, so lieferte die tolle Ritter das Spitze.
Nach wie vor ein Bleibendes und also wert, bei jeder Gelegenheit benannt zu werden: ihre Partnerschaft mit Kurt Böwe in Vera Loebners TVFilm »Späte Ankunft« (1989). Zwei Menschen in der Provinz, in vorsichtig gepanzerter Zuneigung zueinander. Gudrun Ritter spielte Eisen - ach, in der Kunst dieser Großartigen ist das nur ein anderes Wort für: Liebe.